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Glosse Alles muss man selber machen!

Aus der Redaktion Autor: Tobias Stolzenberg

© MTD
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Automatisierung und Digitalisierung verändern unseren Alltag rasend schnell. Ist das wirklich immer Fortschritt? Und wo führt uns das hin? Eine Glosse.

Die Digitalisierung schreitet stetig voran und unsere Welt verändert sich radikal. Was uns einmal als Befreiung von mühseligen Aufgaben erschien, hat sich schon längst als Geist entpuppt, den wir so bald nicht mehr in die Flasche zurückbringen werden.

Früher kam der Postbote klingelnd und pfeifend und brachte Freude in Form von Paketen und Päckchen an die Haustür. Heute hingegen macht man sich selber auf den Weg, um seine Pakete aus den mysteriösen Automaten der Packstationen zu befreien.

Überhaupt, die Post: Einst zuverlässiger Zuträger von Briefen, scheint sie sich immer mehr von den Menschen und der Welt zurückzuziehen. Nicht einmal Rechnungen bringt sie mehr ins Haus. Die gibt es mittlerweile als Download im (selbstverwalteten) Kundenaccount. Und so erfordert sogar der banale Vorgang des Bezahlens bestellter Waren und Dienstleistungen Know-how, Organisationsvermögen und reichlich Eigeninitiative.

Die ist mittlerweile auch im Frank­reichurlaub gefordert: Dort gibt es auf der A79 eine 88 km lange mautpflichtige Teststrecke, auf der Kameras die Nummernschilder der vorbeirauschenden Fahrzeuge einlesen. Binnen 72 Stunden müssen sich die Durchreisenden auf der zugehörigen Internetseite einloggen und bargeldlos ihren Wegzoll von 2,30 Euro (!) entrichten. Wer das nicht will oder nicht kann, hat sich auf einem der überfüllten Rastplätze am Kassenautomaten anzustellen.

Ich bin mir sicher, auch der Frisörsalon, einst Ort der Entspannung und des Wohlbehagens, wird für uns schon bald ganz neue Herausforderungen bereithalten. „Haben Sie sich unsere Tutorials angesehen? Na dann, legen Sie los, da ist der Spiegel“ sind die Worte der Hairstylistin, die ihre Zeit und ihr Talent endlich wichtigeren Aufgaben widmen kann.

„Bitte schneiden Sie doch selber“, sagt auch der Chirurg, während er in Gedanken schon längst bei der nächsten virtuellen Konferenz über den Fortschritt der Chirurgie ist. Und während Patienten als medizinischer Selbstversorger noch zögerlich mit Skalpell, Schere und Tupfer hantieren, fragt man sich: Müssen wir denn wirklich alles selber machen? 

Tobias Stolzenberg
Medizinredakteur

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