Gesundheitsversorgung AOK setzt auf Hausärzte und Delegation

Seit Jahren und mit zunehmender Dringlichkeit entwickelt sich die Versorgung auf dem flachen Land zum Dauerbrenner der Gesundheitspolitik. Fraglos wollen die Menschen auch in der Provinz höchste Qualität "ohne die Beitragszahler zu überfordern", wie AOK-Chef Martin Litsch bei der Präsentation der Umfrage-Ergebnisse verdeutlichte.
Unzufrieden auf dem Land
Denn bei der Zufriedenheit mit den Verhältnissen offenbarten sich deutliche Unterschiede zwischen Stadt und Land. Wahrgenommen wird hier in kleineren Kommunen und Kleinstädten bis zu 20.000 Einwohnern perspektivisch eine Verschlechterung der Versorgung mit Haus- und Fachärzten sowie Krankenhäusern. Mit dem Angebot an Pflegeeinrichtungen ist auf dem flachen Land nur die Hälfte der Befragten zufrieden. Hier gibt es einen deutlichen "Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit", bedauerte Litsch. Prüfstein sei die konkrete Versorgung im Krankheitsfall. Hier hat ein Viertel der Befragten schon die Erfahrung gemacht, dass Behandlungsabläufe zwischen Ärzten schlecht abgestimmt waren. Bei denjenigen mit chronischen Erkrankungen liege der Anteil noch höher.
Von Digitalisierung bis Delegation
Mit ihrer Initiative "Stadt. Land. Gesund – für eine bessere ländliche Gesundheitsversorgung" möchte die AOK in den kommenden beiden Jahren konkrete Angebote schaffen, um eine gleichermaßen gute medizinische Versorgung in Stadt und Land sicherzustellen. Rund 100 Millionen Euro wolle man hier investieren, und dass vor allem in Projekte, die schon laufen. Dabei kann die AOK direkt an die Ergebnisse der Forsa-Studie anknüpfen. So bestätigt die Umfrage, dass die Bevölkerung offen ist gegenüber innovativen Versorgungsformen. Angebote wie die mit Ärzten abgestimmte Betreuung durch speziell qualifizierte medizinische Fachkräfte oder mobile Arztpraxen erreichen mit Zustimmungswerten von 91 bzw. 82 % eine hohe Akzeptanz. Auch die Nutzung von Videosprechstunden kann sich schon jeder Zweite vorstellen – allerdings vorrangig zur Befundbesprechung oder zur Abwicklung von Folgeterminen. Die Umfrage zeige darüber hinaus, dass entsprechende Lösungen von der Bevölkerung nicht nur akzeptiert würden, sondern dass die Menschen sie von ihrer Krankenkasse erwarten, so die AOK.
Kasten 1: Die Lösungsansätze der AOK für eine bessere Versorgung auf dem Land:
- Die sektorübergreifende Versorgung unter Ausbau der ambulanten Versorgung in Verbindung mit Telemedizin, Teilzeitarbeitsplätzen für Ärzte und kurzstationärer Versorgung zu stärken.
- Die Versorgungsassistenz weiterzuentwickeln zur Entlastung der Ärzte, wie dies von der Bevölkerung zunehmend akzeptiert werde.
- Die Digitalisierung auszubauen zur Überwindung räumlicher Distanzen. Der Ärztetag habe mit Lockerung des Fernbehandlungsverbotes dazu bereits die Weichen gestellt.
- Arztnetze zu fördern zur Überwindung der Abstimmungsprozesse zwischen den Ärzten zur berufsgruppenübergreifenden Koordination.
Zentraler Entscheidungsfaktor bei der Arztwahl sei die "nachweislich gute Qualität" (96 %). Dieses Kriterium rangiert noch deutlich vor einer guten Erreichbarkeit (89 %) oder einer kurzen Entfernung zur Wohnung (71 %). Digitale Lösungen und Delegationsansätze würden dafür sorgen, dass bei der Behandlung räumliche Distanz überwunden wird und Patienten einen schnelleren Zugang zur Versorgung bekommen, erklärte Dr. Irmgard Stippler, Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern. Es gebe interessante Schwerpunkte bei der sektorenübergreifenden Versorgung, den Versorgungsassistenzen, der Digitalisierung und den Arztnetzen, so die Chefin der AOK Bayern. Die Vertragspartner sollten deshalb den Mut haben, diese Ansätze zu erweitern. Denn letztlich würden dadurch Ärzte entlastet und die ambulante Versorgung vor Ort gestärkt.
AOK setzt auf eigene Kompetenzen
Die AOK glaubt aber auch erkannt zu haben: Mit zentral organisierten Zwangsmaßnahmen könne das Problem der Landflucht unter Ärzten nicht bewältigt werden: "Hier beißt sich die Politik auf Bundesebene schon seit Längerem die Zähne daran aus, den Landarztberuf wieder attraktiver zu machen", klagt Litsch. Wesentliche Maßnahmen würden nach Meinung des AOK-Chefs "ins Leere" laufen, wie er am Beispiel des Strukturfonds zur Förderung von ärztlichen Neuniederlassungen in unterversorgten Gebieten, der kaum abgerufen würde, erläutert. Ebenso werde das Terminservice- und Versorgungsgesetz "nur bedingt helfen", warnte er die Gesundheitspolitiker vor zu viel Euphorie.
Kasten 2: Die AOK kämpft um ihre Pfründe
Geht es der AOK tatsächlich nur um eine bessere medizinische Versorgung auf dem Land? Wohl nicht nur, denn im Hintergrund ist die AOK-Initiative auch eine Reaktion auf die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums, eine Regionalkomponente im Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich einzuführen. Diese Reform des Finanzausgleichs soll dazu beitragen, die Versichertengelder anders zu verteilen. Derzeit ist es so, dass jene Kassen, deren Mitglieder überwiegend auf dem Land leben, enorme Rücklagen anhäufen. Der Grund: In ländlichen Regionen ist das Angebot an Ärzten und Kliniken eher kleiner und daher auch die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen geringer. Das heißt: Die betreffenden Krankenkassen – und dazu zählt ganz klar die AOK – sparen Geld. Die AOK profitiert also davon, dass sie für ihre Versicherten auf dem Land mehr Geld erhält, als sie für deren Versorgung ausgibt. So sieht das zumindest Sigrid König vom BKK-Landesverband Bayern in einem Gespräch mit dem "Handelsblatt". AOK-Chef Litsch fürchtet denn auch, dass durch die Einführung einer Regionalkomponente ein Milliardenbetrag aus den unterversorgten ländlichen Regionen in tendenziell eher überversorgte Städte umgeleitet würde. Und das träfe vor allem die AOK heftig. Litsch bezeichnete solche "Metropolzuschläge" daher auch als "versorgungspolitisch wahnwitzig". Vertreter der Ersatzkassen und der Betriebskrankenkassen, deren Versicherte eher in städtischen Regionen leben, erhoffen sich von der Regionalkomponente hingegen, dass die Verzerrungen bei der Verteilung der Versichertengelder beendet werden. Zwischen den Krankenkassen scheint sich da ein heißer Konflikt anzubahnen.
Nicht zuletzt wollte die AOK mit der Umfrage aber auch deutlich machen, dass die Befragten ihrer Krankenkasse eine hohe Kompetenz beim Management von Versorgungsangeboten einräumen. Die AOK interpretiert das dann so: Die ärztliche Freiberuflichkeit und die arztzentrierte Versorgung seien nicht mehr das alleinige Mittel, man brauche neue Lösungen.
Autor:
Hans Glatzl
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (7) Seite 35-39
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.