Praxiskolumne Bitte weniger Atteste und mehr Vertrauen
Eltern sollten darin bestärkt werden, selbst über die gesundheitliche Schulfähigkeit ihrer Kinder zu entscheiden.
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Statistisch wird jedes zweite Kind ab dem 13. Lebensjahr in einer Hausarztpraxis behandelt. Und mit zunehmendem Alter der Kinder wird die Wahrscheinlichkeit immer größer, dass die betreuende Praxis eine Hausarztpraxis ist. Die Behandlung von schulpflichtigen Kindern ist also eine Domäne der Allgemeinmedizin. Und damit landen wir bei einem Problem: den Schulattesten.
Ich sage „Problem“, weil von den Schulen häufig ärztliche Atteste angefordert werden, wenn Kinder erkrankt sind, und die normalen schriftlichen Entschuldigungen der Erziehungsberechtigten nicht akzeptiert werden. Es scheint einen Trend zu geben, dass es Eltern zwar erlaubt ist, die Zustimmung zu einer Operation ihres Kindes zu geben – oder eben nicht –, es wird ihnen aber nicht zugetraut zu beurteilen, ob ihr Kind so stark erkältet ist, dass es deswegen im Bett bleiben sollte.
Und ich betone: Es geht dabei nicht um die Bescheinigung nach Muster 21 für den „Bezug von Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes“. Es geht dabei um eine Bescheinigung für die Schule, dass das Kind nicht schulfähig ist.
Um diese unnötige Bürokratie zu bekämpfen und die Eltern vor überflüssigen ge-IGeLten Attesten zu schützen, haben wir in unserer Praxis eine feste Vorgehensweise etabliert: Für den Fall, dass ein Elternteil um ein Schulattest bittet, „weil die Schule das ab drei Tagen verlangt“, haben wir in unserer Software eine Briefvorlage hinterlegt. Auf Knopfdruck wird ein auf den Namen des Kindes personalisierter Brief ausgedruckt. Der bestätigt zum einen, dass das Kind zum aktuellen Datum in Betreuung unserer hausärztlichen Praxis ist. Wir nehmen zum anderen mit dem Schreiben dankend zur Kenntnis, dass die Schule für das Kind ein Attest anforderte. Und dann nehmen wir Bezug auf Paragraf 20 der Bayerischen Schulordnung, in dem geregelt ist, dass Schulen in besonderen Konstellationen ein Attest eines Arztes anfordern können (!) – aber keineswegs müssen.
Da die Schule in diesem besonderen Fall also von diesem ihrem Recht Gebrauch machen möchte, bitten wir die Lehrkraft dann freundlich, die Begründung für die Verpflichtung zum Attest auf der Rückseite unseres Schreibens genau zu erläutern sowie einen Telefontermin in unserer Sprechstunde zu vereinbaren, damit wir über die sozialen und gesundheitlichen Herausforderungen bei unseren pädiatrischen Patientinnen und Patienten informiert werden. Solange wir diese Rückmeldung nicht erhalten, gehen wir davon aus, dass elterliche Atteste weiterhin akzeptiert werden.
Kinder, die so auf nachvollziehbare Art von der Schule eine „erzieherische“ Attestpflicht aufgrund von gehäuftem Fehlen auferlegt bekommen, werden von uns informiert, dass sie in Zukunft von uns nur dann Atteste erhalten, sofern sie sich am ersten Tag des „Krankseins“ morgens um 8 Uhr zur Untersuchung in unserer Praxis einfinden. Was wollen wir mit diesem Vorgehen erreichen?
- Wir möchten die Eltern darin bestärken, dass sie selbst in der Lage sind, über die gesundheitliche Schulfähigkeit ihrer Kinder zu entscheiden, und dies dürfen.
- Wir möchten verhindern, dass Kinder vorgelebt bekommen, dass man wegen jeder Erkältung sofort zum Arzt gehen muss, und damit zu einer Erhöhung der gesellschaftlichen Gesundheitskompetenz beitragen.
- Wir möchten uns mit besonderer Aufmerksamkeit um die Kinder kümmern, die aus sozialen oder medizinischen Gründen unsere Aufmerksamkeit benötigen. Hierfür ist ein engerer Austausch mit den Schulen nötig, hilfreich und wird von uns erbeten.
Unsere MFA mit Kindern im Schulalter sind sehr skeptisch, ob wir dieses Vorgehen gegenüber den Schulen durchsetzen können. Ich persönlich bin wie immer grundoptimistisch, dass Veränderungen meist mit klarer und transparenter Kommunikation gut umsetzbar sind. Finden Sie unser Vorgehen nachvollziehbar? Dann entbürokratisieren Sie mit uns zusammen dieses Land ein wenig. Empowern wir die jungen Eltern und kümmern wir uns um die wirklichen „Sorgenkinder“, die es benötigen.
Ihr
Dr. Nicolas Kahl
Quelle: Medical-Tribune-Bericht