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Corona: Zwischenbilanz eines Hausarztes

Autor: Dr. Jörg Vogel

Eine Pandemie ohne Patienten – das hätte Dr. Vogel nie für möglich gehalten. Eine Pandemie ohne Patienten – das hätte Dr. Vogel nie für möglich gehalten. © iStock/Meredith Heil; MT
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Als Tatortkomissar fragte Manfred Krug des Öfteren seinen Partner Brockmöller: „Nun Brocki, was lernt uns das?“ Das fragt sich nun auch unser Kolumnist, wenn es um die Coronapandemie geht.

Wir haben Mai 2020 und damit Monat 3 der Corona­krise. Zwar bietet jede Krise auch Chancen, aber was hat diese uns nun gebracht? Zu allererst eine bisher nicht für möglich gehaltene Einschränkung unserer Grundrechte. Und wenn es nach unseren Polit-Oberen geht, sollen einige dieser Einschränkungen noch länger so bleiben. Mit ihren „Öffnungsdiskussionsorgien“ hat die Bundeskanzlerin übrigens sichere Chancen auf das „Unwort des Jahres“.

Andere nennen das, was uns hier auferlegt wurde, die „neue Wirklichkeit“. Wirklich? Gut, man findet auch Positives: Das Volk ist geeint im Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und ächtet jeden, der keinen hat. Man lernt, mit den Augen zu flirten. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gibt’s ohne Arztbesuch – paradiesische Zustände für manche! Und: Ärzte und Ehepartner von Refluxpatienten genießen es, vom Foetor ex ore verschont zu bleiben. Oder vom spritzenden Odem der Spuck-Speaker.

Aber auch sonst gibt es Bemerkenswertes. Zumindest aus haus­ärztlicher Sicht. So lernen scheinbar eine ganze Menge unserer älteren Patienten, dass man eine gewisse Zeit überleben kann, ohne jede Woche den Doktor zu besuchen. Und die Jüngeren, dass nicht jedem Mückenstich eine Blutvergiftung folgt. Eine Epidemie bedeutet offenbar nicht automatisch ein Massenaufkommen Geschädigter in der Arztpraxis. In meinem Fall und dem vieler Kollegen hier: kein einziger SARS-CoV-2-Positiver. Eine Pandemie ohne Patienten! Das hätte ich im Medizinstudium nie geglaubt. Aber es ist ja auch gut so!

Nur gar so leer bräuchte die Praxis nun auch nicht zu sein. Obwohl, so hat man mehr Zeit für die völlig entnervten jungen Eltern. Sie müssen Homeoffice machen und ganz nebenbei ihre zwei oder drei Kinder bändigen. Soll das die „neue Wirklichkeit“ sein, die uns die Politiker und einige Virologen aufdrücken wollen?

Die Menschen besinnen sich wieder auf den Urlaub in der Heimat. Gezwungenermaßen. Nur, dass bis jetzt niemand sagen kann, wohin mit den vielen inländischen Reisenden. Bei zwei Metern Abstand im Hotel und fünf Metern am Strand. Wahrscheinlich sieht man dann im Morgengrauen dort ältere Herren, die sich mit Badehandtüchern ihren Claim abstecken.

Hochzufrieden dürften indes viele Politiker sein. Denn die Regierungsparteien haben anscheinend Vertrauen zurückgewonnen. Entschiedenes Handeln zahlt sich eben aus: Bleibt der Verlauf so milde, hat man alles richtig gemacht. Kommt noch eine Welle, wurde zumindest alles versucht. Nur die Grünen dürfen nicht zufrieden sein: Jetzt, wo hier die Umwelt ob der fehlenden Emissionen jubiliert, müssen sie sich medientauglich an den (bald eisfreien?) Nordpool beamen, um die Erderwärmung anzuprangern.

Ach ja, die Publikumsmedien. Bei denen kann ich überhaupt nichts Positives finden. Sie haben die Epidemie eigentlich erst zur Krise gemacht. Wie kann man dermaßen von dem Wunsch beseelt sein, seine Konkurrenten mit immer noch schlimmeren Nachrichten und Bildern zu übertreffen? Wem nützt das, außer der eigenen Quote?

Da erschien anfangs jeder Verdachtsfall auf den Titelseiten. ZDF und ARD übertrafen sich in Sondersendungen. Präsentiert das ZDF täglich die neuesten Zahlen vom Robert Koch-Institut, so kontert die ARD eine halbe Stunde später mit den noch höheren Zahlen der „renommierten Johns-Hopkins-Universität“. Nein, nicht einfach nur „Johns Hopkins“ – es muss schon „renommiert“ davor stehen. Ist das RKI nicht renommiert genug?

Nun, irgendwann geht auch das vorbei. Und die inzwischen äußerst medienerprobten Virologen verschwinden wieder in ihren Laboren. Aber lehrreich war das Ganze allemal!

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