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COVID-19: Kliniken passen Bettenbelegung an und verschieben planbare Eingriffe

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Rasant steigende Fallzahlen: Manche sprechen bereits von einem anrollenden Tsunami. Rasant steigende Fallzahlen: Manche sprechen bereits von einem anrollenden Tsunami. © iStock/Violetastock
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Eine der Kernfragen seit Beginn der Coronapandemie ist die, ob die intensivmedizinischen Kapazitäten auch bei hohem Bedarf ausreichen. Die Antwort wird in den kommenden Wochen und Monaten wohl erst die Realität geben. Bislang scheinen die Kapazitäten auszureichen.

Wurden noch im März die Intensivstationen durch Vorgaben des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Maximalversorgung von COVID-19-Patienten eingestellt und dafür planbare Leistungen gestrichen, entspannte sich die Lage im Sommer. Jetzt ziehen die Zahlen deutlich an. Nachzuverfolgen ist das auf der Webseite der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Die Kliniken müssen hier ihre ITS-Belegungen und ihre Notfallreservekapazitäten melden. Am 20. Oktober gab es demnach 30 188 Intensivbetten, 8870 waren frei. Belegt mit COVID-19-Patienten waren 879 Betten, etwa jeder zweite der schwer Erkrankten musste invasiv beatmet werden. Die Notfallreserve – innerhalb von sieben Tagen zusätzlich aufstellbare Intensivbetten – umfasste 12 350 Betten.

Etwa 6 % der Neuinfizierten müssen in die Klinik

Ob die Kapazitäten auf Dauer reichen werden, ist bisher unklar. Die Infektionszahlen und auch die Zahlen von Menschen mit COVID-19 steigen rasant, wie die täglichen Lageberichte des Robert Koch-Instituts verdeutlichen. Manche sprechen bereits von einem anrollenden Tsunami. Die Kliniker sind in Bereitschaft: „Wir stellen uns in den Krankenhäusern auf deutlich mehr COVID-19-Patienten ein“, so Dr. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes. Die Entwicklung der vergangenen vier Wochen deute darauf hin, dass je nach Alter etwa 6 % der Neuinfizierten eine Krankenhausbehandlung benötigten. Da inzwischen auch ein leichter Anstieg der COVID-19-Fälle in der älteren Bevölkerung zu verzeichnen sei, werde leider auch die Anzahl an schweren Verläufen zunehmen.

Die Krankenhäuser sind nach Aussage der Internistin grundsätzlich gut vorbereitet. Bei weiter steigenden Infektionszahlen im aktuellen Ausmaß müssten aber auf Länderebene Vorkehrungen für den Fall einer zunehmenden Auslas­tung von Intensivkapazitäten getroffen werden. „Ich halte ein gestuftes Vorgehen für sinnvoll, bei dem klar definiert ist, ab welchem Patientenaufkommen auf Normal- und Intensivstation jeweils zusätzliche Behandlungskapazitäten zur Verfügung gestellt werden müssen.“ Dr. Johna spricht sich dafür aus, dass parallel zum Bettenausbau planbare Eingriffe verschoben werden, auch um Personal anders einsetzen zu können.

Mangel an „Menschen hinter den Maschinen“

Das deutsche Gesundheitssystem wird in der Pandemie nicht überfordert, aber gefordert. So lautete die Einschätzung von Professor Dr. Reinhard Busse, Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen der TU Berlin, in einer Pressekonferenz der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Das bestätigten die anwesenden Ärzte. Es komme aber nicht nur auf die Bettenkapazitäten an, es müsse auch die „Menschen hinter den Maschinen“ geben – Mediziner und Pflegekräfte –, mahnte Professor Dr. Clemens Wendtner, Leiter der Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen am Klinikum Schwabing. Das Problem der Behandlung sei der Mangel an Pflegefachpersonal in der Intensivmedizin, sagte DIVI-Präsident Professor Dr. Uwe Janssens.

Manche Kliniken haben ihre Bettenbelegung bereits angepasst. Die Berliner Charité beispielsweise verschiebt planbare Eingriffe, so wie es auch im Frühjahr der Fall war. Das sei keine leichte Aufgabe, erklärt Vorstandsmitglied Professor Dr. Ulrich Frei. Es führe auch zu schwierigen ethischen Fragen, etwa im Umgang mit Herz- und Tumorkranken. Dies bestätigt der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums Frankfurt, Professor Dr. Jürgen Graf. Der Spätsommer habe in der Pandemie ein Gefühl der falschen Sicherheit gebracht, weil die Neuinfektionen seltener zu Erkrankungen geführt hätten. Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) hat Frühindikatoren entwickelt, die auf die Gefahr für die Überlastung des Gesundheitswesens durch ­COVID-19 hinweisen. Die theoretische Vorwarnzeit bis zur Überschreitung der Kapazität an Intensivbetten – abhängig von der Reproduktionszahl R und ausgehend von der durchschnittlichen aktuellen Zahl an Neuinfektionen – lag am 20. Oktober bundesweit im Schnitt bei 39 Tagen. Die Spanne reichte von Bremen und Berlin mit je 24 Tagen bis zu 79 Tagen in Sachsen-Anhalt. Berücksichtigt man noch eine Reaktionszeit von 21 Tagen, bis ein R-Wert erkannt und Maßnahmen wirksam implementiert sind, verblieben am 20. Oktober 18 Tage. Der Wert war seit Mitte Juli kontinuierlich gesunken. Am 13. Juli betrug die Vorwarnzeit noch 139 Tage. Am 3. April waren es 28 Tage. Im September bereits hat sich die Gesundheitsministerkonferenz mit dem Thema befasst und in einem Beschluss konstatiert, dass mit Blick auf die pandemische Gesamtlage die Versorgung im intensivmedizinischen Bereich stabil und belastbar sei. Kliniken verfügten für den Herbst und Winter 2020 über ausreichend Intensivbetten für respiratorische Erkrankungen.

Beatmungsgeräte: Lieferungen sollen reduziert werden

Es bestehe deshalb Einverständnis zwischen Bund und Ländern, dass der Bund – jenseits der bereits gelieferten oder in Auslieferung befindlichen Geräte – die Zahl der bestellten, aber noch nicht gelieferten Beatmungsgeräte durch Vereinbarungen mit den Herstellern so weit wie möglich reduziere. „Ziel ist es, dass im Ergebnis zwischen 5000 und 10 000 Beatmungsgeräte faktisch ausgeliefert bzw. als nationale Reserve gelagert werden; die darüber hinausgehende Menge von weiteren bis zu 17 000 Geräten wird nicht benötigt und der Auftragsbestand in Absprache mit den Herstellern seitens des Bundes entsprechend reduziert.“ Berlin zählt zu den Corona-Hotspots in Deutschland. Dennoch lag die Intensivbettenauslastung am 20. Oktober nur bei 6,4 %. Die sog. Corona-Ampel zeigte Grün. Erst ab einer Auslastung von 15 % schaltet sie um auf Gelb, bei 25 % auf Rot. Noch gibt es Spielraum, denn die Hauptstadt hat vorgesorgt, mit einem Reservekrankenhaus auf dem Messegelände. Hier können bei Bedarf bis zu 1000 Erkrankte intensivmedizinisch versorgt werden. Es sei ein zusätzlicher Baustein zu den gut aufgestellten 50 Notfallkrankenhäusern, so Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD).

Medical-Tribune-Bericht

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