Hausärztemangel Den gibt’s doch gar nicht – oder doch?

Konkret besagt die Antwort des BMG, dass 99,8 % der Menschen in Deutschland einen Hausarzt in weniger als 10 Kilometer Entfernung haben. Das Ministerium verweist dabei auf eine Auswertung der im Bundesarztregister hinterlegten Adressdaten von Hausarztpraxen. Demnach wohnten 2016 circa 173.000 Menschen in Deutschland – 0,2 % der Bevölkerung – weiter als 10 Kilometer vom nächst erreichbaren Hausarzt entfernt. Von einem Hausärztemangel betroffen seien lediglich die Bewohner von Inseln sowie dünn besiedelte Gebiete insbesondere in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen sowie im Grenzgebiet zu Österreich und Luxemburg", erklärte das Bundesgesundheitsministerium.
In Europa ganz oben dabei
Den Berechnungen zufolge ist die Hausarztdichte in der Bundesrepublik mit 1,7 je 1.000 Einwohner größer als in den meisten europäischen Ländern. Lediglich in Portugal und Irland liege der Wert mit 2,4 beziehungsweise 1,9 höher. Nach Ministeriumsangaben ist die Zahl der Hausärzte im ländlichen Raum in den vergangenen Jahren nur geringfügig gesunken – von 16.966 (2012) auf 16.895 (2016). Das BMG verweist allerdings darauf, dass die klassische Einzelpraxis auf dem Rückzug sei. Ersetzt werde sie zunehmend durch kooperative Strukturen wie Berufsausübungsgemeinschaften und Medizinische Versorgungszentren (MVZ). So habe es im Jahr 2016 rund 2.490 Zulassungen für solche Einrichtungen im ländlichen Raum gegeben.
Bitte keine Landarztquote
Positiv aufgenommen wurde diese Nachricht von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). "Die ambulante Versorgung in unserem Land ist – allen manchmal herbeigeredeten Unkenrufen zum Trotz – sehr gut", kommentierte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV. Die Kassenärztlichen Vereinigungen stellten die Versorgung überall sicher, so Gassen, auch dort, wo sich jegliche Infrastruktur schon zurückgezogen hat, wo es keine Bürgerämter, Feuerwehren, Postfilialen oder auch die berühmten Tante-Emma-Läden mehr gebe. Gleichzeitig warnte Gassen vor Zwangsmaßnahmen wie einer verbindlichen Landarztquote. Solche Quoten würden Jungmediziner eher von einer Niederlassung abschrecken. Mit Zwang sei nichts zu erreichen. Wichtiger sei es, dass Kommunen ein Standortmarketing betreiben, damit Ort und Region für Ärzte und deren Familien als Lebensmittelpunkt interessant sind. Weiterhin plädierte der KBV-Chef dafür, die Deckelung von Grundleistungen, also die Budgetierung ärztlicher Leistungen, abzuschaffen.
BMG arbeitet mit falschen Zahlen
Heftigen Widerspruch erntete die Stellungnahme des BMG hingegen von der DEGAM. Bei den Angaben zur Hausarztdichte in Deutschland beziehe sich das Gesundheitsministerium wohl auf Daten der OECD. Diese seien aber falsch, kritisiert die DEGAM und legt ganz andere Zahlen vor.
So seien im Jahr 2015 nach Angaben des Bundesarztregisters 54.094 Ärzte hausärztlich tätig gewesen. Bei einer Bevölkerung von 82,5 Mio. Einwohnern ergebe sich daraus eine Hausarztdichte von 0,66 Hausärzten/1.000 Einwohner (vgl. Tabelle). Damit lande Deutschland am unteren, und nicht am oberen Rand der OECD-Tabelle. Entsprechendes gelte für die von der OECD veröffentlichte Relation von Generalisten zu Spezialisten: In Deutschland seien nur noch weniger als 15 % der Ärzte als Generalisten tätig – etwa die Hälfte des OECD-Durchschnitts, monierte die allgemeinmedizinische Fachgesellschaft.
Empfehlungen gegen Landarztmangel
Der Hausarztmangel sei ein seit Jahren zunehmendes Problem in Deutschland und betreffe längst nicht mehr nur ländliche Bereiche – die Konsequenz könne mangels realistischer Alternativen nur sein, die Empfehlungen des Sachverständigenrates dringlich umzusetzen, die da lauten:
- Eine schnelle Verbesserung der hausärztlichen Nachwuchssituation. In den nächsten Jahren müssten sich jährlich etwa 3.500 Personen zum Facharzt für Allgemeinmedizin qualifizieren. Das entspräche etwa 30 % des ärztlichen Nachwuchses gegenüber den bisher etwa 11 %.
- Einleitung von Maßnahmen, die es sowohl den Hausärzten als auch den Spezialisten ermöglichen, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Die Primärversorgung durch ein hausarztgeleitetes Team von Fachkräften müsse hier gefördert werden.
- Maßnahmen, die der Abnahme der Zahl bzw. des Arbeitsvolumens von erwerbstätigen Ärzten entgegenwirken. Dazu gehöre die Vereinfachung bürokratischer Regelungen auf dieser Versorgungsebene (z. B. Arzneimittel-/Arbeitsunfähigkeits-/Heilmittelrichtlinie/Prüfverfahren und Regresse).
- Eine Besserstellung der Vergütung hausärztlicher Tätigkeit, z. B. durch Besserstellung hausärztlicher Arbeitsweise und Primärversorgung in der GOÄ.
- Der Abbau von Über- und Fehlversorgung.
Man ist angesichts dieser aktuellen Diskussion schon etwas erstaunt, dass die Debatte um die drohende Gefahr oder das Bestehen eines Hausärztemangels überhaupt noch einmal so aufflammen kann.
Quellen:RedaktionsNetzwerk Deutschland, KBV, DEGAM
Autor:
Ingolf Dürr
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (5) Seite 34-35
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.