Gesetzgebung „Die Politik will Ärzte nicht drangsalieren“

Allen Beteiligten einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte die zeitgleich stattfindende Verabschiedung des Pflegepersonalstärkungsgesetzes im Bundestag. Da war Jens Spahn leider unabkömmlich und konnte sich so der direkten Konfrontation mit den Vertretern der niedergelassenen Ärzte nicht stellen. Statt seiner musste dann sein Staatssekretär das heiß umstrittene Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) in seinem Grundsatzreferat verteidigen.
Den meisten Arztpraxen geht es doch gut
Er zeigte sich darin sehr verwundert über die vehemente Ablehnung des Gesetzes seitens großer Teile der Ärzteschaft, schließlich belegten doch alle Statistiken, dass es den meisten Arztpraxen in Deutschland derzeit gut bis sehr gut gehe. Zudem sei die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) intensiv in die Erarbeitung des Gesetzes eingebunden gewesen. Den Verdacht, die Politik wolle die Ärzte mit dem TSVG drangsalieren, wies Gebhart deshalb zurück.
Die heftigste Kritik hatte sich in den letzten Wochen an der Erhöhung der Mindestsprechstundenzahl auf 25 Stunden entzündet. Doch hier versuchte der Staatssekretär abzuwiegeln: "Wer jetzt schon mehr als 25 Stunden arbeitet, für den ändert sich nichts." Und inzwischen habe man auch die Hausärzte bereits davon ausgenommen, dass sie 5 offene Sprechstunden pro Woche anbieten müssten.
Mehr Arbeit gibt mehr Geld
Stattdessen verwies Gebhart auf die Chancen, die das TSVG böte: "Wer mehr arbeitet, soll auch mehr verdienen!" Dafür stelle man immerhin eine dreistellige Millionensumme zur Verfügung. Zudem werde eine Reihe von Leistungen dann extrabudgetär vergütet. Einer grundsätzlichen Entbudgetierung ärztlicher Leistungen, wie vom NAV-Virchowbund immer wieder gefordert, erteilte Gebhart allerdings eine Absage. Ob das sinnvoll wäre, sei reine Spekulation. Vielmehr bat er die Ärzte daher darum, das Gesetz doch erst einmal wirken zu lassen.
Gebhart versicherte, dass Politik und Gesellschaft sehr zu schätzen wüssten, was die Ärzte leisten. Deshalb wolle man vonseiten der Politik versuchen, die anstehenden Veränderungen nicht gegeneinander, sondern miteinander anzugehen. Und dazu äußerte er auch gleich einige Ideen. Um die Unterversorgung in manchen Regionen zu bekämpfen, müssten die KVen eigene Praxen aufbauen. Flexible Arbeitszeitmodelle für angestellte Ärzte könnten helfen, mehr junge Ärzte aufs Land zu holen. Dabei sei die Einzelpraxis für ihn kein Auslaufmodell, aber es sei eben nur noch ein Modell von mehreren.
Digitalisierung erfolgreich gestalten
Große Hoffnung setzt Gebhart in die Digitalisierung. Man habe im Gesundheitsministerium eine neue Abteilung für Digitalisierung und Innovationen installiert, die nun die Rahmenbedingungen für diese Technologie setzen werde. Die Videosprechstunde werde ja bereits erprobt, und bei der elektronischen Patientenakte mache man Fortschritte, sie solle bis 2021 fertig sein. "Wenn wir das alles richtig machen, kann es die Arbeit der Ärzte sehr erleichtern", versprach der Staatssekretär. Um dies erfolgreich zu gestalten, müsse man aber an einem Strang ziehen, so seine Forderung an die Ärzte.
Gebhart übermittelte noch die hohe Wertschätzung, die auch sein Chef Jens Spahn den Ärzten gegenüber empfinde, und entzog sich aus Termingründen dann rasch der Diskussion mit den niedergelassenen Ärzten.
Die wäre sicherlich noch interessanter geworden, hätte der Staatssekretär daran teilgenommen und reagieren können, z. B. auf die Richtigstellung, zu der sich der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen genötigt sah: Die KBV sei zwar eingebunden gewesen in die Entwicklung des TSVG, allerdings sei die Kritik der KBV eben allzu oft nicht berücksichtigt worden, stellte Gassen klar.
Politik misstraut der Selbstverwaltung
NAV-Chef Dr. Dirk Heinrich meinte, das TSVG zeuge von einem tiefen Misstrauen gegenüber der ärztlichen Selbstverwaltung. Das Gesetz werde mehr Überwachung, mehr Bürokratie und dadurch auch mehr Kosten verursachen. Heinrich räumte aber ein, dass die Ärzteschaft bei der Terminpolitik tatsächlich reagieren müsse, allein schon um den Befürwortern strenger Reglementierungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. So halte er das "Lieblingsprojekt" von Minister Spahn – die offenen Sprechstunden – für durchaus sinnvoll, aber eben nur, wenn dies freiwillig erfolge. Ansonsten sei dies ein extrem schwerer Eingriff in die Praxisorganisation, den man so nicht hinnehmen könne.
Die im TSVG vorgesehene Ausweitung und Stärkung der Terminservicestellen (TSS), über die Patienten rund um die Uhr online oder telefonisch Termine in Arztpraxen vereinbaren können sollen, bezeichnete Heinrich als ein Ärgernis. Denn die Terminvergabe sei ein Dreh- und Angelpunkt der ärztlichen Freiberuflichkeit. Dass Ärzte derzeit oft schon die Terminvergabe freiwillig professionellen Anbietern wie bspw. Jameda überlassen und dafür sogar bezahlten, sei einfach dumm, so Heinrich. Er schlug vor, stattdessen die TSS zum Nutzen der Ärzte weiterzuentwickeln: Möglichst viele Ärzte sollten Teile ihres Terminmanagements den TSS anvertrauen, denn diese seien schließlich in der Hand der KBV und gehörten daher "uns Ärzten". 60 bis 70 % des Terminvergabe-Marktes könnten so in der Hand der Selbstverwaltung bleiben, schätzte Heinrich und prophezeite: "Anbieter wie Jameda & Co werden dann bald vom Markt verschwinden." Das sei eine große Chance für die Selbstverwaltung, so der NAV-Chef.
Noch sei der Zug des TSVG nicht endgültig abgefahren, zeigte sich Heinrich leicht optimistisch. Man werde weiterhin mit konstruktiver Kritik versuchen, noch auf das Gesetzgebungsverfahren einzuwirken.
Autor:
Dr. Ingolf Dürr
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (20) Seite 32-33
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.