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Digitalisierung und Honorierung Folgt das Geld der Leistung?

diatec journal Autor: Toralf Schwarz

Hoher Aufwand, keine verbindlichen Strukturen, fehlende Abrechnungsmöglichkeiten: Bei der Digitalisierung muss sich aus Sicht der niedergelassenen Diabetologen noch viel tun. Hoher Aufwand, keine verbindlichen Strukturen, fehlende Abrechnungsmöglichkeiten: Bei der Digitalisierung muss sich aus Sicht der niedergelassenen Diabetologen noch viel tun. © Stratocaster – stock.adobe.com
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Toralf Schwarz, seit Mai Vorsitzender des Bundesverbands Nieder­gelassener Dabetologen, zeigt auf, was sich bei der Digitalisierung und Honorierung der damit verbundenen diabetologischen Leistungen ändern muss.

Blickt man aus wirtschaftlicher Sicht auf Digitalisierung, so wird landläufig angenommen, dass diese zur Kosteneinsparung führen wird. Das ist allerdings zu einfach gedacht. Denn Digitalisierung bedeutet zunächst nur die Umwandlung analoger Daten in digitale Formate (d.h. die Wandlung stufenloser in diskrete, endliche Werte). Digitalisierung ist zum Überbegriff für alle Vorgänge geworden, die je nach Umfeld als „digitale Transformation“, „digitale Revolution“, „E-Administration“, „digitale Infrastruktur“ oder „digital Lifestyle“ bezeichnet werden. 

Datengetriebene Diabetologie

In diesem Umfeld findet sich auch die „digitale Praxis“ wieder. Nun ist die Diabetologie mehr als viele andere Fachgebiete „datengetrieben“. Eine gute Therapie von Menschen mit Typ-1-Diabetes ist heute ohne technische Hilfsmittel nicht mehr denkbar. Dabei beschreiten wir übrigens tendenziell einen umgekehrten Weg: von diskreten Zahlenwerten an willkürlich gewählten Zeitpunkten hin zu einer möglichst stufenlosen Messung der Glukosespiegel – und weg von einer punktuellen Insulinapplikation zu kontinuierlicher, glukoseadjustierter Insulingabe. In diesem Sinne ist die digitale Praxis in jeder Schwerpunkpraxis schon seit Jahren Standard. Das heißt aber auch, dass der Umfang der zu verarbeitenden Information erheblich zunimmt. Die Auswertung eines AGP-Profils benötigt wesentlich mehr Zeit, als die Auswertung eines Diabetes-Tagebuches mit vier Messwerten pro Tag. Ganz neue Erkenntnisse über Glukoseverläufe beim Sport oder in der Nacht erfordern auch eine Umsetzung in die Therapie, müssen in Schulungen und in der kontinuierlichen Betreuung der Patienten umgesetzt werden.

All das bedingt einen gesteigerten Betreuungsaufwand der zwar mit einer verbesserten Stoffwechselkontrolle „belohnt“, aber nicht honoriert wird. Und dieser Betreuungsaufwand ist nicht einmalig oder befristet, sondern über die gesamte Dauer der Therapie begleitend zu leisten. In den regionalen DMP-Verträgen und Diabetesvereinbarungen werden zwar technische Leistungen teilweise berücksichtigt, so wird in Sachsen die Ersteinstellung auf eine CSII mit 128 Euro, zusätzlich bis zu 5-mal 26 Euro für die strukturierte Einzelberatung, vergütet. In Westfalen-Lippe wurde jetzt erstmals auch ein Honorar von 80 Euro für die Umstellung von einem AID-System auf ein anderes verhandelt (s. Seite 12). In den meisten Verträgen sind jedoch selbst solche geringen Vergütungen gar nicht erst zu finden.

Fehl­interpretierte EBM-Ziffer

Aber es gibt doch die „Technikziffern“ 03355, 04590 und 13360? Nun, diese Abrechnungsmöglichkeit für die „Anleitung eines Patienten … zur Selbstanwendung eines rtCGM…“ ist wohl eine der am häufigsten fehlinterpretierten EBM-Ziffern. Während Kostenträger diese gern als Abgeltung für die bisher für Kassenpatienten noch nicht honorierte SPECTRUM-Schulung sehen, interpretieren die Anbieter der Systeme sie gern als Legitimation, die vom Gesetzgeber geforderte Einweisung in die Anwendung des Medizinprodukts auf die Praxen abzuwälzen. Und wir Ärzte haben bis zur Klarstellung durch den Bewertungsausschuss im Frühjahr 2023 angenommen, die Vergütung wäre für die kontinuierliche, begleitende Anleitung – ergo Auswertung des AGP-Profils – gedacht. 

Nun ist klargestellt, dass diese Abrechnungsmöglichkeit ausschließlich für die vertiefende Anleitung (nach Einweisung!) in den Umgang mit einem neuen Messsystem liegt, also dem Training der Anwendungssicherheit, nicht aber der Auswertung und schon gar nicht der Schulung in der Selbstanwendung. Jetzt wird deutlich, dass für Schulung und Auswertung Abrechnungsmöglichkeiten fehlen. Diese Leistungen dürften wir, streng genommen, nicht erbringen, ohne sie den Patienten (oder Kostenträgern) in Rechnung zu stellen. Logisch wäre, wenn die Auswertung von CGM-Profilen als eigenständige Leistungsposition endlich Aufnahme in den EBM finden würde – ähnlich der Auswertung eines Langzeit-EKG oder einer Polygrafie. Die Schulungen könnten, wenn ein Wille da wäre, unproblematisch in die regionalen Verträge aufgenommen werden. 

Dieser Wille ist jedoch gerade nicht zu erkennen, im Gegenteil, die (bisher schon lächerlich niedrige) Vergütung für die Übermittlung von eArztbriefen wurde ersatzlos gestrichen und angeforderte Kopien (z.B. für den MD) sind schon seit Langem kostenlos zu erstellen – natürlich analog, da der Medizinische Dienst nicht an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen ist. Ein anderes Kapitel sind die DiGA. Ganz unabhängig davon, ob Kosten von etwa 500 Euro pro Quartal dem erzielbaren Nutzen angemessen sind, ist der Erklärungs- und Beratungsaufwand bei der Verordnung wesentlich größer als z.B. bei der Verordnung von Metformin oder einer podologischen Behandlung. Die im EBM vorgesehene Honorierung ist daher nicht adäquat.

Digitalisierungsmodell ohne fundierte Grundlage

Digitalisierung bedeutet natürlich nicht per se einen erhöhten Aufwand, sie kann auch von administrativen Aufgaben befreien und uns so die knappe Zeit für die Patientenversorgung besser nutzen lassen. Richtig verstanden und eingesetzt spart sie Ressourcen und Geld und verbessert die Patientenversorgung. Das wäre dann auch zumindest kostenneutral. Umso mehr schauen wir mit gewisser Verwunderung auf das, was uns seit nunmehr 20 (!) Jahren von der Politik als „Digitalisierung“ angeboten wird. Von Beginn an zum Scheitern verurteilt, wurde mit großem Kostenaufwand versucht ein Modell zu implementieren, dem vor allem an einem mangelte: an einer fundierten Grundlage. Will man auf digitaler, nicht mehr analoger Grundlage Daten nutzen, müssen zuerst verbindliche Strukturen festgelegt werden.

ePA: zu kompliziert und zu nutzerfeindlich

Wie ist man aber bei der Einführung der ePa vorgegangen: Die Akte wurde definiert, die Art und Weise der Befüllung und auch die Zugriffsberechtigungen wurden festgelegt. Aber der Akte fehlt jegliche Struktur (und nebenbei auch jede Verbindlichkeit). Dies ähnelt einer Bibliothek ohne Regale und Register, aber mit Tausenden Büchern und mehreren Filialen. Was fehlt ist ein einheitlicher Standard, der festlegt, welche Daten wie gespeichert werden – nur so sind Informationen jederzeit und von jedem aufzufinden. Dafür braucht man einen definierten Gesundheitsdatensatz – ähnlich den Versicherstammdaten

Dabei liegt der ePA ein durchaus sehr sinnvoller Gedanke zugrunde. In der ePA sollen alle Diagnosen, Befunde, Epikrisen, Verordnungen von Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln sowie weitere wichtige Gesundheitsinformationen eines Patienten zentral gespeichert werden. So sollen nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern alle dafür zugelassenen Teilnehmer (Praxen, Kliniken, Sanitätshäuser, Apotheken, Therapeuten, Krankenkassen, Versicherungen usw.) fach-, einrichtungs- und sektorenübergreifend diese Daten lesen, speichern und weiterverarbeiten können. Allerdings wurde bereits dieser Prozess viel zu kompliziert und nutzerfeindlich gestaltet. Das ist der Grund, weshalb die ePA bisher nur 0,5 % der Versicherten nutzen. Auch wenn aus Gründen des Datenschutzes in Deutschland vermutlich keine andere Lösung möglich ist, erscheint es paradox, wenn Versicherte die gespeicherten Informationen selektiv freigeben oder sperren können. Zu allem Überfluss wurde für die Zugangsberechtigten differenziert festgelegt, welche Informationen sie einsehen dürfen und welche nicht. Unter diesem Gesichtspunkt ist die ePA aber z.B. in einem Notfall nicht mehr als verlässliche Informationsquelle nutzbar.

Auch die von der DDG entwickelte eDA leidet leider unter den Problemen der ePA, denn sie ist als Ergänzung dazu konzipiert. Dabei hat die DDG jedoch zunächst die Semantik der zu integrierenden Daten festgelegt und eine Struktur zur Erfassung der Daten festgelegt. Leider wurden für die geplante Testung eines Prototyps im Rahmen eines Innovationsfondsprojektes keine Mittel bewilligt. Die eDA könnte dennoch genutzt werden – aber leider nicht von jeder Schwerpunktpraxis, sondern nur, wenn der Anbieter des Praxisverwaltungssystems sie implementiert. 

Torschlusspanik im BMG

Erst im März dieses Jahres hat man das Problem auch im Bundesgesundheitsministerium erkannt und nun soll alles ganz schnell gehen – Torschlusspanik ist offenbar auch hier eingekehrt. Deshalb hat es eine Digitalisierungsstrategie entwickeln lassen und diese im März verkündet. 

Die alte ePA ist tot, die neue ist eine Datenplattform, in der statt Dokumenten strukturierte Daten zwischen allen Behandelnden ausgetauscht und geteilt werden können. Diese Datenplattform muss deshalb in der Lage sein, die Daten aus verschiedenen Dokumenten zusammenzuführen - z.B. eine Entwicklung der Medikation über einen Zeitraum darstellen können, nicht nur die Medikationspläne einzeln anzeigen. Das klingt banal, ist aber in der (deutschen) Praxis schwer umzusetzen. Dabei sind die notwendigen Standards zum Datenaustausch schon lange definiert. Nur konnten bisher die Anbieter von Softwareprodukten diesen Austausch zwischen verschiedenen Systemen (Interoperabilität) erfolgreich verhindern. 

Das soll jetzt per Gesetz erzwungen werden – reichlich spät, wenn man sich einmal anschaut, wie die Situation in anderen europäischen Staaten ist. Auch dort die gleiche „klinische Trägheit“, doch an den Ärzten liegt es nicht. Wir agieren – in Bezug auch die Digitalisierung etablierter Prozesse - nicht als Ärzte, sondern als Unternehmer. Nur Veränderungen, die mit einem betriebswirtschaftlichen Vorteil oder zumindest ohne Nachteil umgesetzt werden können, werden auch eingeführt. Jede andere Handlung wäre zum Nachteil der Praxis und damit auch der Patienten. 

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