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Praxiskolumne eRezept, eAU – und natürlich eMpörung

Autor: Dr. Nicolas Kahl

Sich mit Kolleg:innen auszutauschen und unterschiedliche Praxisverwaltungssysteme anzuschauen, lohnt sich. Sich mit Kolleg:innen auszutauschen und unterschiedliche Praxisverwaltungssysteme anzuschauen, lohnt sich. © Blue Planet Studio – stock.adobe.com
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Unser neuer Kolumnist führt seine Arztpraxis seit knapp 1,5 Jahren und hat sich mit digitalen Anwendungen vertraut gemacht. Dennoch vermisst er eine gemeinsame Vision der Selbstverwaltung.

Seit 15 Monaten bin ich jetzt als Facharzt für Allgemeinmedizin in einer Einzelpraxis niedergelassen. Aber auch, wenn man noch „frisch im Geschäft“ ist, hat man eine Sache relativ schnell begriffen: dass es in unserem Berufsstand zum guten Ton gehört, sich regelmäßig über reale und empfundene Ungerechtigkeiten lautstark zu empören.

In den vergangenen Wochen kam es insbesondere zum Thema eRezept, eAU und ePA zu großer eMpörung. Insbesondere nachdem ich auf Twitter angemerkt hatte, dass eRezept und eAU bei mir in der Praxis technisch gesehen bereits solide funktionieren, kam von einigen Kolleg:innen und insbesondere TI-Verweigernden deutliche Kritik. Ich würde noch nicht von einem ausgewachsenen Shit-Storm sprechen, aber eine beleidigte Brise war es durchaus, was mir da entgegenschlug.

Korrekt ist natürlich, dass neu eingeführte Technik ausgereift und leicht zu bedienen sein muss und außerdem verlässlich funktionieren sollte, um den in der Pandemie auf Hochtouren laufenden Praxisbetrieb nicht zu stören. Dass es dieser Teil der Digitalisierung jungen Kolleg:innen unattraktiver macht, sich in die Niederlassung zu begeben, wurde von den Kommentierenden meines Erachtens aber zu Unrecht behauptet. Sollte es doch so sein, würde ich jungen Kolleg:inen gerne hier und jetzt die Sorgen vor der Niederlassung nehmen – jedenfalls was die Digitalisierung angeht.

Vor ein paar Jahren sagte Jens Spahn vor einer KBV-Versammlung in Berlin den seitdem viel zitierten Satz: „Die Digitalisierung wird kommen – ob wir wollen oder nicht. Und die Patienten werden sie nutzen!“ Ich persönlich musste ihm da in Teilen zustimmen: Wir haben jetzt die Möglichkeit, diese Digitalisierung proaktiv und konstruktiv mitzugestalten. Dazu gehört zum Beispiel auch, Anwendungen wie das eRezept in den Testregionen konstruktiv zu begleiten, bevor sie in der Fläche kommen. Deswegen mache ich das auch mit meiner Praxis. Alternativ können wir versuchen, möglichst lange am Status quo festzuhalten – bis wir in Rente gehen und das Problem ungelöst an die Folgegeneration vererben.

Sicher ist: Disruptive Technologien werden vor der ambulanten Versorgung nicht halt machen. Mir persönlich fehlt deswegen eine Vision der Selbstverwaltung dazu. Oder zumindest eine offene Diskussion darüber, wie wir den Prozess proaktiv mitgestalten können – statt uns nur zu eMpören und reflexartig einen „Stopp“ für alle eProjekte zu fordern.

Meine Empfehlung an die jungen Niederlassungswilligen: Schaut Euch die verschiedenen Praxisverwaltungssysteme (PVS) in Euren Weiterbildungspraxen an und tauscht Euch auf Fortbildungen mit Euren Kolleg:innen dazu aus. Ich habe vor der Niederlassung viel mit Kolleg:innen diskutiert, die zeitgleich Praxen übernommen haben. Für uns gab es nicht „das eine“ perfekte PVS, viele der modernen Systeme kann man gut auf die eigenen Arbeitsabläufe abstimmen. Für uns war es wichtiger, dass wir einen guten Support vor Ort haben. Hängt die Praxisleitung ewig in irgendwelchen landesweiten anonymen Hotlines oder gibt es eine agile IT-Firma als direkten Betreuer? Wie schnell kann jemand vor Ort sein, wenn es mal richtig knallt in der IT-Anlage?

Vor meiner Niederlassung habe ich mir dann viele verschiedene Praxen angeschaut. Bei jeder (!) war klar: Hier muss ich in die IT-Infrastruktur investieren, weil ich so, wie es ist, in den nächsten Jahren nicht verlässlich arbeiten kann. In der Woche vor der Übernahme meiner jetzigen Praxis habe ich dort dann einen Kilometer Netzwerkkabel verlegen lassen und die gesamte IT erneuert. Inklusive PVS. Heute freue ich mich jeden Tag darüber, diesen Schritt gemacht zu haben.

Ich sehe nicht in der anstehenden Digitalisierung ein Hindernis für die Niederlassung, sondern eher im von der KBV mitverantworteten Digitalisierungsstau in den Praxen. Dessen ungeachtet habe aber auch ich mich, wie es sich als Niedergelassener gehört, seit meiner Praxisübernahme viel empört. Zum Beispiel darüber, dass es für die Abrechnung der COVID-Impfung 44 verschiedene Abrechnungsziffern zu beachten gibt und ich in Bayern zusätzlich in der Ziffer die Chargennummer des Impfstoffs dokumentieren muss. WARUM?

Ein erfahrener Kollege sagte dazu nur trocken: „Reg‘ dich nicht über Dinge auf, die du nicht ändern kannst. Sonst hältst du den Beruf nicht durch.“ Hm. Junge Kolleg:innen: Bitte empört euch mit mir!

Unser neuer Kolumnist Dr. Nicolas Kahl stellt sich vor

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich im Januar 2021 mit 33 Jahren als Facharzt für Allgemeinmedizin in einer Einzelpraxis niedergelassen. Während meiner Weiterbildung habe ich in vielen verschiedenen Praxen und Fachrichtungen gearbeitet, um eine möglichst breite hausärztliche Ausbildung zu erlangen. In jeder Praxis habe ich von den Kolleg:innen wertvolle Dinge gelernt, die es mir erleichtert haben, „meinen“ Weg der Praxisführung zu finden.

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