Medizinstudium 2020 Es ist 1 vor 12!

Gesundheitspolitik Autor: Ingolf Dürr

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Den Termin ihres 50. Geburtstags am 12. Februar 2016 nutzte die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), um in Berlin noch einmal nachdrücklich auf das Problem des drohenden Hausärztemangels in Deutschland aufmerksam zu machen. Vordringlich geht es der Fachgesellschaft darum, die Allgemeinmedizin bereits im Studium zu stärken, damit mehr junge Ärzte frühzeitig die Attraktivität dieses Fachs kennenlernen und später den Hausarztberuf ergreifen. Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch, doch es gibt Widerstände, die noch überwunden werden müssen.

Die Lage ist bekannt: Derzeit findet nur jeder zweite Hausarzt einen Nachfolger für seine Praxis. Allein um den Status quo aufrechtzuerhalten, müssten mindestens doppelt so viele Fachärzte für Allgemeinmedizin weitergebildet werden, wie dies derzeit der Fall ist. Das Potenzial dazu ist vorhanden, denn 35 % der Absolventen des Medizinstudiums könnten sich eine Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin vorstellen. Tatsächlich tun dies dann aber derzeit nur rund 10 %.

Wichtige Weichenstellungen

"2016 ist ein Schicksalsjahr für die Zukunft der Allgemeinmedizin", mit diesem dramatischen Appell machte DEGAM-Präsident Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach die Brisanz der derzeitigen Situation deutlich. Denn in den nächsten Monaten würden wesentliche politische Weichenstellungen bezüglich des Medizinstudiums und der Weiterbildung getroffen, die Einfluss darauf haben werden, ob die Gefahr eines Hausärztemangels durch die richtigen Maßnahmen noch abgewendet werden kann.

Ein zentraler Punkt ist dabei der Masterplan Medizinstudium 2020, der regeln soll, wie das Studium der Medizin an den Hochschulen in den nächsten Jahren strukturiert wird. In einer gemeinsamen Konferenz der Gesundheits- und Wissenschaftsminister des Bundes und der Länder soll dieser Masterplan demnächst verabschiedet werden. Um einen Durchbruch in der Nachwuchsfrage zu erreichen, ist ein seit langem erklärtes Ziel der DEGAM, der Allgemeinmedizin im Studium ein größeres Gewicht zu verleihen. Eine Forderung lautet hier, im Praktischen Jahr (PJ) ein obligatorisches Pflichtquartal in der Allgemeinmedizin einzuführen.

Gelernt wird nur, was geprüft wird

Die Gründe dafür erläuterte Dr. Maren Ehrhardt, die Stellvertretende Sprecherin der DEGAM-Sektion "Studium und Hochschule": Die Allgemeinmedizin ist das Fach, welches Studierenden der Humanmedizin einen vertieften Einblick in die ambulante primärärztliche Versorgung der Bevölkerung bieten kann.

Unabhängig von der späteren Tätigkeit ist dies für alle Studierenden von Belang, da alle Ärzte in der Lage sein müssen, zum Beispiel im Rahmen von Notdiensten oder bei Notfällen eine fundierte Ersteinschätzung bei häufigen Gesundheitsproblemen vorzunehmen. Alle Ärzte müssen darüber hinaus die Dringlichkeit beurteilen und qualifiziert reagieren können.

Grundvoraussetzung hierfür ist eine gute strukturierte Ausbildung im Fach Allgemeinmedizin. Die Allgemeinmedizin ist darüber hinaus prädestiniert dafür, den Studierenden auch die wichtigen Aspekte der Gesundheitsförderung, Gesundheitsbildung und Prävention zu vermitteln. Wer 3 Monate kontinuierlich einen Hausarzt und seine Patienten begleitet, der erlebe dann auch die Attraktivität des Fachs und werde sich später eher dafür entscheiden, so die Hoffnung.

Darüber hinaus sei es auch wichtig, die Allgemeinmedizin als Prüfungsfach in der mündlich-praktischen Prüfung zu etablieren. Denn es sei eine bekannte Tatsache, dass nur das intensiv gelernt wird, was prüfungsrelevant ist.

Unterstützt wird die geplante Quartalisierung des PJ und die Einführung eines neuen Pflichtteils von Dorit Abiry, die derzeit an der Charité in Berlin Medizin studiert. Bei der konkreten Ausgestaltung des Pflichtabschnitts komme es aber darauf an, die Studierenden mit ins Boot zu holen. Denn dort gebe es erheblich Widerstände, wie sie aus eigener Erfahrung berichten könne. Die DEGAM sollte diese Widerstände ernst nehmen und die Betroffenen ausführlich über die Hintergründe des Pflichtquartals Allgemeinmedizin informieren und einen Dialog anbieten. Ein Kompromiss sei durchaus möglich, vor allem wenn die DEGAM sich auch hinter die Forderung der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (BVMD) nach einer PJ-Reform stellen würde. Hier gehe es insbesondere um eine Neuregelung der Aufwandsentschädigung, der Fehltage sowie des Lehrangebots.

Kompromiss ist möglich

Den Ideen für eine PJ-Reform stehe die DEGAM durchaus aufgeschlossen gegenüber, so Prof. Gerlach. Und auch mit der BVMD sei man schon geraume Zeit im Gespräch bezüglich des Pflichtquartals in der Allgemeinmedizin. Auch die Medizinstudierenden sehen sehr wohl Defizite in der ärztlichen Ausbildung hinsichtlich der ambulanten Medizin. Noch immer hätten viele Studierende falsche Vorstellungen von der beruflichen Realität der niedergelassenen Hausärzte und Spezialisten. Daher müssten die ambulante Versorgung sowie deren Fragestellungen und Abläufe bereits zu Studienbeginn integriert werden und die Studierenden über die gesamte Dauer ihrer Ausbildung begleiten.

Hier liegen DEGAM und BVMD nahe beieinander. Und auch den Wechsel von Tertialen zu Quartalen im PJ hält die BVMD für eine sinnvolle Lösung, da er den Studierenden mehr Wahlfreiheit ermöglicht und ihnen die Chance bietet, persönlichen Interessenschwerpunkten nachzugehen. Man liegt bei DEGAM und BVMD also gar nicht so weit auseinander. Einem Kompromiss, zum Beispiel das neue Pflichtquartal über den allgemeinmedizinischen Radius hinaus auf den ambulanten Sektor – bei Hausärzten und Spezialisten unabhängig von der Fachrichtung – oder die ländliche Grundversorgung auszuweiten, habe man sich auch schon angenähert. Allerdings hätten sich zwischenzeitlich auch von anderer Seite Widerstände ergeben, so Prof. Gerlach.

Förderung der Weiterbildung

Eine zweite wesentliche Entscheidung wird ebenfalls in den nächsten Monaten fallen. Es geht um die Neufassung der Rahmenvereinbarung zur Förderung der Weiterbildung nach § 75a SGB V durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung, den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Deutsche Kranken-

hausgesellschaft. Hier wird über die Förderung der Weiterbildung von zukünftigen Fachärzten für Allgemeinmedizin in Kliniken und Praxen entschieden.

Neu und für den Gesamterfolg ausschlaggebend ist die erstmals mögliche bundesweite Förderung von universitär angebundenen Kompetenzzentren, die es bisher nur in Heidelberg, Frankfurt und Marburg gibt. Hier erhalten junge Ärzte in Weiterbildung die notwendige emotionale Rückenstärkung und fachliche Unterstützung. Die Kompetenzzentren erreichen dies durch ein Mentoring, welches auf bestehende Sorgen und Ängste eingeht, sowie durch strukturierte Begleitseminare, die gezielt auf fachliche und organisatorische Herausforderungen der Praxistätigkeit vorbereiten. "Statt sich einsam "durchzuwursteln" findet der allgemeinmedizinische Nachwuchs hier erstmals eine emotionale und fachliche Heimat", stellt Dr. Hannah Haumann, Vorstandsmitglied der Jungen Allgemeinmedizin Deutschland (JADE), fest. Die JADE ist die bundesweit vernetzte Arbeitsgemeinschaft junger Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin und junger Fachärzte für Allgemeinmedizin.

Der Allgemeinmedizin Flügel verleihen

Gelingt es, diese für den Gesamterfolg maßgeblichen Verbesserungen in der Aus- und Weiterbildung des dringend benötigten Nachwuchses umzusetzen, käme das einem entscheidenden Durchbruch in der Nachwuchsfrage gleich. Die Allgemeinmedizin bekäme Flügel und die Chancen, dass auch zukünftig eine flächendeckende gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden kann, würden sich dramatisch verbessern.

Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (5) Seite 22-24
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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