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Primärarztsystem „Fehlsteuerung können wir uns nicht länger leisten“

Gesundheitspolitik Autor: Dr. Ingolf Dürr

Der neue Bundesvorstand des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands: (v.l.n.r.) Torben Ostendorf, Ulf Zitterbart, Anke Richter-Scheer, Nicola Buhlinger-Göpfarth, Markus Beier, Barbara Römer, Christina Spöhrer, Christian Sommerbrodt, Oliver Funken. Der neue Bundesvorstand des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands: (v.l.n.r.) Torben Ostendorf, Ulf Zitterbart, Anke Richter-Scheer, Nicola Buhlinger-Göpfarth, Markus Beier, Barbara Römer, Christina Spöhrer, Christian Sommerbrodt, Oliver Funken. © Marcus Urban
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Erstmals unter dem Namen „Hausärztinnen- und Hausärzteverband“ trafen sich 120 Delegierte aus den Landesverbänden zum 44. Deutschen Hausärztetag – der jetzt Hausärztinnen- und Hausärztetag heißt. Auf der Agenda stand neben der Vorstandswahl auch eine Abrechnung mit der Gesundheitspolitik. Denn die Stimmung ist angespannt.

Nach dem Rücktritt von Ulrich Weigeldt als Bundesvorsitzendem des Deutschen Haus­ärzteverbandes im September 2022 hatte Dr. Markus Beier die Nachfolge angetreten. Schon in seiner damaligen Vorstellungsrede hatte Dr. Beier hervorgehoben, dass er die Arbeit im Vorstand des Verbandes vor allem als Teamarbeit ansehe, er wolle die Arbeit auf mehrere Schultern verteilen. Während zunächst ein neuer Name für den Verband gefunden worden war, in dem sich auch die Haus­ärztinnen klar repräsentiert sehen können, machte Dr. Beier nun auch seine Idee der Teamarbeit als Doppelspitze sattelfest. 

Schon in seinem ersten Jahr als Bundesvorsitzender hatte er sich seine Arbeit mit seiner ersten Stellvertreterin Prof. Dr. Nicola ­Buhlinger-Göpfarth geteilt. Das habe sehr gut funktioniert, besonders angesichts der komplexen gesundheitspolitischen Herausforderungen, die keiner allein bewältigen könne, so Dr. Beier. Da jetzt turnusgemäß Neuwahlen anstanden, schlug er eine Satzungsänderung vor, die eine Doppelspitze regulär ermöglichte. Die Idee stieß bei den Delegierten auf offene Ohren. 

Politik darf Hausärzte und -ärztinnen nicht ignorieren

Bevor zur Wahl geschritten werden konnte, galt es zunächst einmal, die aktuelle Lage zu analysieren. Teilweise geriet dies zu einer harschen Abrechnung mit der Politik, aber auch mit den Körperschaften. Denn deutlich wurde: Die Frustration in den Hausarztpraxen wächst, steigende Kosten bei einer mehr oder weniger stagnierenden Honorarentwicklung, Personalmangel, eine dysfunktionale Digitalisierung und überbordende Bürokratie zehren an den Nerven der Hausärztinnen und Hausärzte. 

Positiv zu Buche schlage wenigs­tens, dass der Verband sehr gut dastehe, die Mitgliederzahl wachse und man in der Gesundheitspolitik bei vielen Themen Ausrufezeichen habe setzen können, z.B. beim Hitzeschutz. Dass die Politik die Haus­ärzte ignoriert, werde so nicht bleiben, ist sich Dr. Beier sicher. Im Gegenteil: Viele würden inzwischen den Verband um seine politische Schlagkraft beneiden.

Entbudgetierung muss jetzt endlich kommen

Ganz oben auf der Liste der Forderungen des Verbandes steht die Entbudgetierung des hausärztlichen Bereichs. Diese findet sich auch im Koalitionsvertrag der Ampel. Und auch Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach hatte beim vorherigen Hausärztetag versprochen, dass die Entbudgetierung komme. Passiert ist aber in diese Richtung noch nichts. 

Sabine Dittmar (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im BMG, bestätigte beim diesjährigen Gesellschaftsabend des Verbandes abermals: „Die Entbudgetierung des hausärztlichen Bereichs ist in Arbeit und wird kommen.“ Doch wann und wie wird das passieren? 

Dr. Beier und Prof. Buhlinger-Göpfarth nahmen jedenfalls nicht nur das BMG ins Visier, sondern auch die KBV. Entscheidend sei, dass die Entbudgetierung als „MGVplus-Entbudgetierung“ vorgenommen werde, wie dies bei den Pädiatern bereits Anfang 2023 geschehen sei, forderte Dr. Beier. Denn nur so sei sichergestellt, dass das Geld, das den Hausärzten zusteht, nicht klammheimlich von den Krankenkassen wieder abgezogen werde. 

Dr. Beier wünschte sich für diese Forderung der Hausärzte auch eine rückhaltlose Unterstützung durch die KBV. Bislang sei davon allerdings noch wenig zu spüren. Wenn die KBV hier aber nicht mitziehe, sei sie keine Interessenvertretung der Haus­ärzte mehr, drohte Dr. Beier. 

Eine weitere Baustelle sei die unzureichende Patientensteuerung. Hier müsse die Politik anerkennen, dass Hausärzte diese Aufgabe am besten übernehmen könnten. Die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) mit mehr als neun Millionen Versicherten setze Maßstäbe und sei eine bundesweite Erfolgsstory sowie  ein Rettungsanker für die ambulante Versorgung. Die Forderung, dass die HzV der Standard in der hausärztlichen Versorgung werden müsse, wurde von den Delegierten mit kräftigem Beifall belohnt.

Mit Blick auf die Zukunft hält Dr. Beier eine Zeitenwende auch in der Gesundheitspolitik für notwendig. „Wir brauchen Strukturreformen; insbesondere ist ein hausärztliches Primärarztsystem nötig“, so der Bundesvorsitzende. Wer das nicht erkenne, dem sei nicht zu helfen. Ein Schritt in diese Richtung sei eine massive Stärkung der HzV. In Betracht käme z.B. ein Bonus für Versicherte in der HzV. Die Vorteile bei der Patientensteuerung und Prävention seien durch Studien klar belegt.

Gleichzeitig kämpft man um eine Verbesserung des EBM, so Dr. Beier. Hier müssten einige Eckpfeiler neu aufgestellt werden. So sei zum Beispiel eine Vorhaltepauschale für die hausärztliche Versorgung überfällig. Bei den Kliniken gehe das ja offenbar problemlos, wunderte sich Dr. Beier. 

Und auch der „Quartalswahnsinn“ müsse ein Ende haben: Patienten müssten unnötig in die Praxen kommen, nur weil der EBM es so wolle. „Das ist Fehlsteuerung, die wir uns nicht länger leisten können!“, erregte sich Dr. Beier. Er forderte zugleich, dass auch das Praxispersonal in den EBM eingepreist werden müsse. Die Patientenkontakte der MFA müssten eben auch anerkannt werden. In der HzV sei dies mit einem Teampraxiszuschlag in diesem Jahr geschehen.

Völlig unnötig seien dagegen Gesundheitskioske. Sie würden nur zu einer weiteren Zersplitterung der Versorgung führen, eine Menge Geld (400.000 Euro pro Kiosk und Jahr) kosten und Personal aus den Praxen abziehen. Im Vergleich dazu koste die Entbudgetierung des hausärztlichen Bereichs (mit geschätzt zwei bis vier Milliarden Euro) deutlich weniger. Der Appell des Vorstands „Entbudgetierung statt Kioske!“ fand unter den Delegierten lautstarke Zustimmung.

Die Doppelspitze für mehr Schlagkraft

Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband hat sich viel vorgenommen für die nähere Zukunft und dazu einen Forderungskatalog aufgestellt (siehe Kasten). Um für diesen Kampf gerüstet zu sein, soll künftig eine Doppelspitze im Bundesvorstand den Verband führen, schlug Dr. Beier den Delegierten vor. Die dafür notwendige Satzungsänderung wurde beschlossen und dann zur turnusmäßigen Wahl geschritten. 95 % der Delegierten stimmten dafür, dass Prof. Buhlinger-Göpfarth und Dr. Beier den Verband nun als gleichberechtigte Bundesvorsitzende führen. 

Forderungen der Hausärzte und Hausärztinnen

  1. Reform der Versorgungsstrukturen
  2. Moderne Teamstrukturen in Praxen fördern und Versorgungsressourcen schonen
  3. Angemessene und faire Finanzierung
  4. HzV als Präventionsleistung fördern
  5. Digitalisierung, die funktioniert
  6. Reform der Approbationsordnung

Als erster stellvertretender Bundesvorsitzender wurde Dr. Ulf Zitterbart aus Thüringen gewählt und zweite stellvertretende Bundesvorsitzende wurde Anke Richter-Scheer aus Westfalen-Lippe. Schriftführer ist nun Dr. Torben Ostendorf aus Sachsen. Die Funktion des Schatzmeisters übernimmt Christian Sommerbrodt aus Hessen. Beisitzerpos­ten haben jetzt Kristina Spöhrer aus Niedersachsen, Dr. Barbara Römer aus Rheinland-Pfalz und Oliver Funken aus Nord­rhein inne. 

Damit sei man gut aufgestellt, um die hausärztlichen Interessen mit viel Engagement, Leidenschaft und Durchsetzungsvermögen zu vertreten, bedankten sich Dr. Beier und Prof. Dr. Buhlinger-Göpfarth bei den Delegierten. Die Hausarztpraxen befänden sich aktuell im Krisenmodus. Mehr denn je brauche es einen starken und lauten Verband und die Schaffenskraft und die Ideen aller, um in dieser herausfordernden Zeit erfolgreiche Berufspolitik machen zu können.

Quelle: 44. Hausärztinnen- und Hausärztetag

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