Hausarzt der Zukunft Förderer der Gesundheit

Gesundheitspolitik Autor: Wolf Rüdiger Weisbach

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Eine Tätigkeit als Hausarzt, besonders auf dem Land, wird von jungen Ärzten gegenüber anderen ärztlichen Tätigkeiten als signifikant weniger attraktiv eingestuft. Was wird aus dem Beruf des Hausarztes, wenn dieser Trend anhält? Dr. Wolf-Rüdiger Weisbach ist selbst seit 40 Jahren hausärztlich auf dem Land tätig. Aufgrund seiner Erfahrungen wirft er einen Blick auf die erlebten, teilweise dramatischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte und entwickelt daraus Vorschläge für ein an die Erfordernisse der Zukunft angepasstes hausärztliches Berufsbild, mit denen der Hausarztberuf langfristig gesichert werden kann. Wir stellen diesen Beitrag zur Diskussion.

Zum Selbstverständnis der Hausarztgeneration in den Jahrzehnten nach dem Krieg bis etwa in die 1980er Jahre gehörte es, Tag und Nacht für die Patienten erreichbar zu sein. Der Hausbesuch war zentraler Bereich der ärztlichen Tätigkeit. Der „alte“ Hausarzt war Teil der Lebenswelt seiner Patienten. Dieses „genuine Berufs-Selbstverständnis“ stützte sich nicht nur auf das technisch-biologisch Machbare, sondern bezog auch Familie, die Umwelt, die soziale Lebenswelt in das Arzt-Patienten-Verhältnis mit ein.

Immer weniger wollen Hausarzt werden

Heute haben wir besonders in ländlichen Regionen zunehmend Probleme, geeignete Nachfolger für die inzwischen überalterte Generation der Landärzte zu finden. Studenten im Blockpraktikum meiner Lehrpraxis erweisen der hausärztlichen Arbeit zwar größten Respekt, dennoch ist für die meisten eine solche Tätigkeit nicht vorstellbar. Die Gründe sind breit gestreut: Interessanterweise wird die lebenslange Betreuung, die Nähe zum Patienten nicht selten als belastend empfunden. Die emotionale Distanz wird vermisst. Wichtigster Hinderungsgrund der vorwiegend weiblichen Jungärzte ist aber die zeitliche Belastung, die nicht mit Familienplanung und der heute geforderten „Work-Life-Balance“ zu vereinbaren ist. Natürlich spielt auch das Finanzielle eine große Rolle. Oft schon am zweiten Tag wird nach dem „Umsatz“ gefragt. Das „Preis-Leistungs-Verhältnis“ einer Landarztpraxis wird dabei offenbar als nicht sehr attraktiv beurteilt. Kontraproduktiv, ja abstoßend auf die Studenten wirkt die kafkaesk anmutende Regelungs- und Verwaltungsszene einer Praxis. Budgets mit Prüfungsorgien, die sich nicht an den Bedürfnissen der Kranken, sondern an Gaußschen Verteilungskurven orientieren, deformieren das hausärztliche Arztbild zunehmend.

Der Arzt mutiert zum Mediziningenieur

Das Image des Haus- bzw. Landarztes entspricht nicht dem Charisma des modernen Arztes, der als „Macher“ mit Hilfe der umfangreichen Medizintechnik, des Labors, überwältigender chirurgischer und medikamentöser Möglichkeiten Krankheiten repariert. Die Ethik ärztlicher Tätigkeit hat sich deutlich verändert. Die christlich-humanistisch fundierte Arbeitsgrundlage vergangener Ärztegenerationen, in der der Arzt auch als sinngebender Therapeut, nicht selten als Seelsorger in unserer säkularisierten Welt agierte, wird heute mehr und mehr auf eine Tätigkeit als „Mediziningenieur“ reduziert, der den Gesundheitsmarkt steuert und den Kranken als Kunden sieht. Diese Veränderung können wir zwar bedauern, müssen sie aber zur Kenntnis nehmen. Der Arzt mutiert (gezwungenermaßen?) zum Anbieter von Gesundheitsleistungen bis hin zu Wellness- und esoterischen, nicht selten obskuren alternativen Heilangeboten.

Wo findet in diesem Gesundheitsmarkt, wie er heute ohne Scham benannt wird, der Hausarzt seinen Platz? Wo kann er sich, wo muss er sich positionieren, wie muss er sich ausbilden, wenn er eine Zukunft haben soll?

Ein Paradigmenwechsel ist notwendig

Notwendig ist ein Paradigmenwechsel, weg vom Diktum der Krankheitsbehandlung hin zur Gesundheitsförderung. Ziel einer suffizienten Gesundheitspolitik muss es sein, dass die Qualität unseres Gesundheitssystems sich nicht nach der Zahl behandelter, sondern gesunder und geheilter Bürger bemisst. Dies sollte Anlass für eine Neubewertung der hausärztlichen Tätigkeit sein. Die medizinische Basisversorgung durch den Hausarzt ist essenziell. Zusammen mit der fachärztlichen und Klinikversorgung gewährt sie eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau. Die großen Anforderungen der Zukunft im Hinblick auf die chronischen, durch falschen Lebensstil verursachten Erkrankungen, besonders die zu erwartende Verdoppelung der Demenz- und Pflegepatienten in den nächsten 30 Jahren, werden, wenn sie überwiegend im fachärztlichen und Klinikbereich versorgt werden sollten, nicht mehr zu finanzieren sein. Nur der Hausarzt wird als Koordinator eines fachspezifischen multidisziplinären Teams von Ärzten und Komplementärberufen und auch Selbsthilfegruppen die dramatischen Probleme meistern können, ohne dass unser Gesundheitssystem an seine Finanzierungsgrenzen stößt.

Die hausärztlichen Tätigkeitsmerkmale erweitern

Dazu notwendig ist eine Erweiterung der hausärztlichen Tätigkeitsmerkmale. Neben der kurativen Medizin müssen die Gesundheitsförderung und die primäre Prävention einen höheren Stellenwert erhalten. Hausärzte und ihr Team müssen sich, zusammen mit den Gesundheitsämtern, darum kümmern, den Lebensstil der Bevölkerung nachhaltig positiv zu beeinflussen. Es wird den Mut mancher Politiker brauchen, sich gegen den Mainstream einer liberalen permissiven Gesellschaft zu stemmen. Denn "staatliche Regulierungsmechanismen", die krankmachende Prozesse positiv beeinflussen sollen, sind nicht "marktgängig". Aber es wird auf Dauer nicht akzeptiert und bezahlt werden können, dass der sich intensiv um seine Gesundheit bemühende und damit das System der Krankenversicherung schonende Bürger die Krankheiten seines Mitmenschen finanziert, der ohne Rücksicht durch Rauchen, Trinken, falsche Ernährung hohe Kosten verursacht. Freiheit heißt auch Pflicht zum verantwortlichen Handeln.

Ich bin zuversichtlich, dass diese neuen Aufgabenbereiche, die Arbeit in einem multidisziplinären Team, die Organisation delegationsfähiger Leistungen eine intellektuelle Herausforderung für den jungen Arzt sein könnten, ihn für diese neuen Bereiche hausärztlicher Arbeit zu begeistern. Sie böten ihm die kreative Chance, das Gesundheitsbewusstsein einer Kommune mitzugestalten und zu formen, und sie bei entsprechendem Interesse wissenschaftlich zu begleiten.

Doch dafür müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. So muss das Geld der Leistung folgen. Es kann nicht geduldet werden, dass die fachärztlichen Einkommen (nicht Umsätze!) im Durchschnitt deutlich über denen der Hausärzte liegen. Die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin ist heute manchen fachärztlichen Curricula vom Zeitaufwand her deutlich überlegen. Sinnvoll erscheinen eine Abkoppelung der hausärztlichen Budgets aus dem Gesamtetat der niedergelassenen Ärzte und eine Honorarform, in der eine hausärztliche Pauschale alle Leistungen der Praxis abdeckt. Nur Hausbesuche und die oben genannten neuen Aufgaben im sozialmedizinischen Bereich sollten separat vergütet werden. Sinnvoll wäre auch die Einführung von Karenztagen bei Arbeitsunfähigkeit. Nur so wird der Hausarzt von der Vielzahl an Bagatellerkrankungen entlastet, die ihm Zeit für ernsthafte Gesundheitsstörungen bzw. Beratungskonzepte, wie oben angedacht, kosten. Die Abschaffung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regelleistungsvolumina wäre eine weitere Hürde, die beseitigt werden muss, um die Attraktivität der hausärztlichen Arbeit zu fördern.

Neue Aufgaben erfordern neue Strukturen

Auf dem Land werden sich völlig neue Strukturen entwickeln, die gefördert werden müssen, um die ärztliche Basisversorgung in Zukunft zu gewährleisten. Für die Landbevölkerung ist es inzwischen selbstverständlich, ihre Einkäufe in sogenannten Mittelpunktzentren zu erledigen. So wird es auch nicht zu verhindern sein und akzeptiert werden müssen, dass auf dem Lande sogenannte Mittelpunktpraxen entstehen werden, welche die oben genannten hausärztlichen Komplementärberufe und Selbsthilfegruppen integrieren könnten. Praxen, die gegebenenfalls von den Kommunen, den Kassen oder KVen finanziert werden müssen. Medizinische Versorgungszentren (MVZ), auch rein hausärztliche, sind eine Alternative.

Das hausärztliche Team der Zukunft garantiert eine "Rund-um-die-Uhr-Versorgung" und durch einen Fahrdienst die Versorgung der Heime und bettlägerigen Patienten, besonders von Finalpatienten, denen das Sterben in anonymer Umgebung erspart wird. Dieses Team wird in der Lage sein, dringend notwendige Teilzeitstellen anzubieten, die dann auch von Ärzten aus der Stadt gerne genutzt werden würden.

Literatur:
Literatur beim Verfasser.

Autor:

Facharzt für Allgemeinmedizin
51570 Windeck-Herchen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (10) Seite 36-40
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.