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Praxiskolumne Gendern – muss das sein?

Autor: Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth

Viele wollen keine Entwicklung, sie wollen, dass alles so bleibt wie immer. Dabei vergessen sie, dass ungenaue Sprache zu ungenauem Denken führt. Viele wollen keine Entwicklung, sie wollen, dass alles so bleibt wie immer. Dabei vergessen sie, dass ungenaue Sprache zu ungenauem Denken führt. © BQ-Studio.ru – stock.adobe.com
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Sprache verändert sich schon immer. Warum ist es beim Gendern ein Problem? Unsere Kolumnistin findet: wir müssen nicht übers Gendern reden. Sondern es einfach tun!

Ich weiß schon, beim Thema Gen­dern werden viele von Ihnen genervt die Augen verdrehen. Und Fragen wie ,,Haben wir nichts Wichtigeres zu besprechen?“ habe ich im Zusammenhang mit Gen­derdiskussionen natürlich schon oft gehört.

Von mir aus müssen wir gar nicht übers Gendern sprechen, es würde im Jahre 2022 völlig ausreichen, es einfach zu tun. Dann wären auch keine emotionalen Stellvertreterdiskussionen nötig, um von den strukturellen Problemen wie 2000 Jahren Patriarchat abzulenken, die dazu geführt haben, dass unsere Sprache ist, wie sie ist.

Unsere Sprache ist nämlich immer schon gegendert – nur eben maskulin! Das generische Maskulinum ist aber keine grammatikalische Notwendigkeit, zu der es keine sprachlichen Alternativen gäbe. Es handelt sich vielmehr um eine alte Gewohnheit des Sprachgebrauchs, die von historischer männlicher Dominanz geprägt wurde.

Wir können das natürlich so lassen, aber in Artikel 3 des Grundgesetzes – Sie erinnern sich? – gibt es so eine Spielregel, auf die wir uns geeinigt haben. Da steht nun mal: ,,Niemand darf wegen seines Geschlechtes benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Wenn Frauen nicht genannt werden, ist dies faktisch eine Benachteiligung, es ist ungerecht, wenn Sprache die Hälfte der Menschheit nicht berücksichtigt.

Immer noch hören wir trotzdem weiter toxische Narrative, die uns Frauen erzählen, dass wir doch selbstverständlich immer mitgemeint seien und es doch wichtigere Themen als Sprache gebe. Ja, warum führen wir diese Diskussion denn dann? Wer Frauen tatsächlich mit meint, kann Frauen doch auch ansprechen.

Wozu Scheinargumente wie „Die schöne Sprache wird verhunzt“, „Es ist alles grammatikalisch falsch“ usw.? Sagt doch einfach, wie es ist, dass Ihr keinen Bock habt, Frauen angemessen sprachlich zu beteiligen. Das wäre dann zumindest ehrlich.

Sprache entwickelt sich. Wer einmal ein mittelalterliches Gedicht liest, merkt schnell, dass die damalige Sprache wenig mit der Sprache unserer Zeit zu tun hat. Uns erscheint diese Sprache verhunzt und unleserlich. Aus Sicht eines mittelalterlichen Menschen mag dies in Bezug auf unsere Sprache umgekehrt sein. Sprache verändert sich nolens volens ständig. Veränderung und Ablehnung von Veränderung gehören seit jeher zur linguistischen Geschichte.

Viele wollen keine Entwicklung, sie wollen, dass alles so bleibt wie immer. Damit zementieren sie aber die herrschenden Verhältnisse. Wir leben auch hierzulande immer noch in patriarchalen Strukturen. 70 % der unbezahlten Arbeit in Deutschland werden von Frauen erbracht. Im Gesundheitssektor werden sogar 80 % der Arbeit von Frauen geleistet, in den Gremien sind Frauen noch nicht einmal zu 30 % repräsentiert.

Sprache kann dazu beitragen, Frauen sichtbarer zu machen. Wenn man Leute nach ihrem ,,Lieblingssportler“ fragt, bekommt man signifikant andere Ergebnisse, als wenn man die gleichen Leute nach ihrer „Lieblingssportlerin“ fragt. Diese anderen Ergebnisse bekommen Sie immer, zu hundert Prozent! Das ist halt Wissenschaft. Einfach mal die linguistischen Studien der letzten Jahrzehnte lesen, bevor man eine Meinung rausblökt, und zum ­Gendern haben ja alle eine Meinung.

Ich bin manchmal der Diskussionsbeiträge von Menschen so müde, die sich noch nie tiefgreifend mit dem Thema beschäftigt haben, aber wissen wollen, dass sie nur Frauen kennen, denen es egal ist. Ja, die gibt es, natürlich gibt es die. Die haben sich oft genauso wenig mit dem Thema wissenschaftlich beschäftigt.

Um die Eingangsfrage nun zu beantworten: Wichtig scheint mir bei der Umsetzung von gendersensibler Sprache, dass wir einander sprechen lassen, wie wir wollen, dass eine Einführung flexibel und nicht dogmatisch geschieht. Es muss aber klar sein, dass gendersensible Sprache gerechter ist und die Präzision von Texten erhöht. Ungenaue Sprache führt zu ungenauem Denken, da bin ich ganz bei dem Philosophen Wittgenstein.

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