Ärzteatlas Genug Ärzte, aber schlecht verteilt?

Gesundheitspolitik Autor: Ingolf Dürr

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Im Frühjahr 2016 hatte die Bundesärztekammer (BÄK) neueste Zahlen zur Ärztestatistik vorgelegt. Das Fazit: Zwar steigt die Zahl der Ärzte, aber der Bedarf wächst noch schneller. Kurz: Es fehlen Ärzte. Zu einer etwas anderen Einschätzung kommt nun das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). Dort meint man, dass es genügend Ärzte gibt, diese aber falsch verteilt sind.

Laut BÄK erhöhte sich die Zahl der gemeldeten ärztlich tätigen Mediziner im Jahr 2015 leicht um 6.055 auf 371.302 bundesweit (+ 1,7 %). Ambulant tätig waren 150.106 Ärzte, ein Plus von 1,5 %. Gleichzeitig stieg aber auch die Zahl der Behandlungsfälle kontinuierlich an. So erhöhte sich die Zahl der ambulanten Behandlungsfälle von 2004 bis 2014 um 152 Millionen. Als Konsequenz forderte die BÄK, die Zahl der Medizinstudienplätze um mindestens 10 % zu erhöhen und vor allem, Medizinstudierende gleich zu Beginn des Studiums an die Allgemeinmedizin heranzuführen, um den Ärztemangel im hausärztlichen Bereich zu mildern.

Der aktuelle Ärzteatlas des WIdO sieht die Lage entspannter: Im internationalen Vergleich stehe Deutschland bei der Arztdichte mit 4,1 praktizierenden Ärzten je 1.000 Einwohner auf einem der Spitzenplätze. Die Zahl liege um knapp ein Viertel über dem internationalen Durchschnittswert. Der Ärzteatlas 2016 zeigt zudem, dass die Arztdichte in Deutschland zwischen 1991 und 2015 um knapp 50 % zugenommen hat. Bei den niedergelassenen Ärzten gebe es folglich keinen Ärztemangel, sondern vielfach Überversorgung. Als problematisch wird allerdings angesehen, wie diese Ärzte verteilt sind. So binde die Überversorgung in einigen Regionen Ressourcen, die anderswo fehlen würden, sagte Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK anlässlich der Veröffentlichung.

Arztzahlen liegen über dem "Soll"

Im Jahr 2015 wurden mit 456 berufstätigen Ärzten je 100.000 Einwohner deutschlandweit fast 50 % mehr Mediziner gezählt als noch im Jahr 1991 mit 304 Ärzten. Dabei verzeichneten alle Bundesländer deutliche Zuwächse. Seit 1980 hat sich die Arztdichte in Deutschland mehr als verdoppelt. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Arztdichte auf Platz 5 von insgesamt 34 Staaten.

Nach den Regeln der aktuellen Bedarfsplanung für die ambulante vertragsärztliche Versorgung liege in Deutschland daher insgesamt kein Ärztemangel vor, vielmehr werde das Plansoll über alle Arztgruppen hinweg bundesweit um fast ein Drittel übertroffen, so das WIdO. Der Gesamtversorgungsgrad liege bei sämtlichen Fachrichtungen deutlich über dem Soll.

Selbst im vieldiskutierten hausärztlichen Bereich ergebe sich 2015 bundesweit ein Gesamtversorgungsgrad von 109,6 %. Bezogen auf die Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen gebe es nirgendwo eine Unterdeckung. Insgesamt seien 44 % aller Planungsbereiche bei Hausärzten rechnerisch überversorgt. Es gebe also insgesamt mehr Hausärzte, als im Rahmen der Bedarfsplanung nötig wären, meint das AOK-Institut, schränkt dann aber doch ein, dass es zum Teil enorme regionale Unterschiede gibt: Einer Unterversorgung oder drohenden Unterversorgung in einigen Landstrichen stehe eine deutliche Überversorgung insbesondere in Ballungsgebieten und für Ärzte attraktiven Regionen gegenüber.

Nachwuchs vor allem bei Hausärzten benötigt

Vor allem im hausärztlichen Bereich gebe es eine große Zahl an älteren Ärzten, die bald Praxisnachfolger suchen werden oder dies bereits tun. Bundesweit ist ein Drittel der Hausärzte 60 Jahre oder älter. Zwar müsse, insbesondere in den überversorgten Städten und Kreisen, nicht jeder frei werdende Arztsitz wieder besetzt werden. Kritischer stelle sich die Lage allerdings dort dar, wo ungünstige Faktoren zusammenkommen: niedriger Versorgungsgrad, hoher Altersanteil bei den Ärzten und Schwierigkeiten mit der Wiederbesetzung. Auch das WIdO kommt daher zu der Folgerung: Ärztlicher Nachwuchs werde in den kommenden Jahren vor allem im hausärztlichen Bereich benötigt.

Kritik am Zahlenwerk des WIdO kommt von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) (siehe auch Seite 3). So seien die Arztzahlen zwar gestiegen, aufgrund aktueller Entwicklungen wie Anstellung und Teilzeit sei die Zahl geleisteter Arztstunden aber lediglich um 0,2 % angewachsen. Diese Trends habe die Analyse des WIdO nicht berücksichtigt. Klar sei außerdem, dass die Zahl der Hausärzte im Jahr 2015 um 1.170 gesunken sei.

G-BA soll Bedarfsplanung aktualisieren

Deutlich wird, dass die aktuelle Bedarfsplanung nicht mehr der Versorgungsrealität entspricht. Deshalb hat der Gesetzgeber schon im letzten Jahr den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) damit beauftragt, bis Ende 2016 neue Bedarfsplanungsrichtlinien zu erarbeiten, in denen auch die demografische Entwicklung sowie die Morbiditätsstruktur berücksichtigt werden sollen. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein.


Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (15) Seite 36-39
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

Abb. 1: Soll-Ist-Vergleich — Gesamtversorgungsgrade der Hausärzte* nach KVen 2015, * Allgemeinärzte, praktische Ärzte, nicht fachärztlich tätige Internisten ohne Kinderärzte, Quelle: Meldungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und Berechnungen des WIdO Abb. 1: Soll-Ist-Vergleich — Gesamtversorgungsgrade der Hausärzte* nach KVen 2015, * Allgemeinärzte, praktische Ärzte, nicht fachärztlich tätige Internisten ohne Kinderärzte, Quelle: Meldungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und Berechnungen des WIdO
Abb. 2: Regionale Verteilung der Hausärzte* (Vertragsärzte) nach Planungsbereichen 2015, * Allgemeinärzte, praktische Ärzte, nicht fachärztlich tätige Internisten ohne Kinderärzte, Quelle: Meldungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und Berechnungen des WIdO Abb. 2: Regionale Verteilung der Hausärzte* (Vertragsärzte) nach Planungsbereichen 2015, * Allgemeinärzte, praktische Ärzte, nicht fachärztlich tätige Internisten ohne Kinderärzte, Quelle: Meldungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und Berechnungen des WIdO