Katastrophale Kassen-Schieflage GKV-Zusatzbeiträge: Meinungen und Interessen blockieren nötige Entscheidungen
Die GKV-Finanzen sind angeschlagen – steigende Zusatzbeiträge und strukturelle Defizite bringen das System an seine Grenzen.
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Aktuelle Berechnungen des BKK-Dachverbandes zeigen, dass der durchschnittliche GKV-Zusatzbeitrag im kommenden Jahr weiter steigen wird. Ursächlich sind neben wachsenden Ausgaben für Leistungen und Arzneimittel, versicherungsfremd eingesetzte Beiträge, u.a. zur Finanzierung der gesundheitlichen Versorgung der Bürgergeldbeziehenden (10 Mrd. Euro pro Jahr) und wegen der durch die Länder nicht geleisteten Investitionsfinanzierung für Krankenhäuser (3,5 Mrd. Euro Deckungslücke).
Politik muss „Mut zur Zumutung“ beweisen
Einen Paradigmenwechsel erwartet deshalb Dr. Francesco De Meo, CEO des Med:On MVZ. Er spricht sich für weniger bürokratische Kontrolle und mehr autonomiebasierte Steuerung auf regionaler Ebene aus, für eine Vernetzung der Sektoren unter „einem gemeinsamen, silofreien und flexiblen Budgetsystem“. Für ihn ist „Mut zur Zumutung“ gefragt, eine ehrliche Debatte über Defizite und eine klare politische Strategie, die dann auch umgesetzt wird. Es gehe schließlich auch darum, die Demokratie zu erhalten: „Wenn wir es nicht schaffen, werden die Menschen das, was wir nicht getan haben, mit einem blauen Brief quittieren.“
„Dass wir Reformen brauchen ist keine Frage“, erklärt Tino Sorge, Parlamentarischer Staatssekretär im BMG und langjähriger CDU/CSU-Bundestagsabgeordneter. Reformen seien wegen verschiedener politischer Auffassungen der Akteure jedoch nur bedingt umsetzbar, man komme meist nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, rechtfertigt er die politische Zurückhaltung. Als Hürde stellt der Politiker auch die Grenzen des Föderalismus dar, an die die Politik gebunden ist. So ist z. B. die Krankenhausplanung schließlich Ländersache.
Die Lage der Krankenkassen sei schlecht wie nie, ja katastrophal, betont der gesundheitspolitische Sprecher des Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsförderung, Prof. Dr. Boris Augurzky. Der GKV-Beitrag liege bei 17,x % und der Zusatzbeitrag gehe jetzt „richtig nach oben“. 2020 seien es 14,x % Beitragssatz gewesen.
Als notwenige Hebel bei Reformen listet der Ökonom u.a. eine effektive Patientensteuerung, ein für alle offenes Primärversorgungsmodell mit Hausärzten, Pflege- und Assistenzkräften, eine Notfallreform sowie mehr Ergebnisverantwortung der Leistungserbringer auf. Das Krankenhaus und die fachärztliche Versorgung sieht er „am Ende der Nahrungskette“. Auch eine sozial abgefederte Selbstbeteiligung der Patientinnen und Patienten schlägt der Wissenschaftler vor: gedeckelt bei maximal 1 % des beitragspflichtigen Einkommens. So wie bei der Kfz-Vollkaskoversicherung mit Eigenbeteiligung, aber weit entfernt von der Teilkaskoversicherung, stellt er klar.
Ein regionales Gesundheitsbudget, wie von Dr. De Meo favorisiert, unterstützt auch Prof. Augurzky. Regionen von 200.000 bis 300.000 Einwohnern könnten so 1 Mrd. Euro – ca. 4.000 Euro pro Kopf – verfügbar bekommen – bei frei gestaltbarem Einsatz, sofern die Ergebnisqualität stimmt. Kassen und KVen müssten mitmachen und begonnen werde in ländlichen Regionen.
Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes fordert, erst einmal Klarheit darüber zu geschaffen, was vonseiten der Leistungserbringer zu tun ist, damit die Kosten nicht weiter ausufern. Man müsse auch mit Gewerkschaften und Apotheken darüber sprechen. Ein Selbstbehalt der Versicherten ist für ihn jedenfalls „kein Allheilmittel“. Unterstützung kommt von Karin Maag, Unparteiisches Mitglied im G-BA: „Der wichtigste Hebel für die Sicherung einer gerechten und sicheren Gesundheitsversorgung ist eine von der Bevölkerung als gleichmäßig und gerecht empfundene Belastung aller Akteure des Gesundheitswesens bei den notwendigen Sparmaßnahmen.“
26. Eppendorfer Dialog