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DGIM 2022 In Kliniken passiert wenig, um die Risiken durch Medikationsfehler abzustellen

Gesundheitspolitik DGIM 2022 Autor: Michael Reischmann

Es mangelt nicht an Plänen und Versprechen, Patienten vor vermeidbaren Risiken durch Medikationsfehlern zu schützen. Es mangelt nicht an Plänen und Versprechen, Patienten vor vermeidbaren Risiken durch Medikationsfehlern zu schützen. © iStock/Artur Charkin
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Ein Charakteristikum von Medikationsfehlern ist, dass sie sich wiederholen – sogar dann, wenn die Verantwortlichen wechseln. Die Ursachen liegen nämlich nicht allein in Personen oder mangelhafter Organisation. Es gibt auch ein Systemversagen.

Wo ein Wille und Ressourcen sind, ist auch ein Weg: Im Flugbetrieb hat die Sicherheit der Passagiere höchste Priorität. Und auch im Straßenverkehr wurde viel getan, um die Zahl der tödlichen Unfälle zu minimieren. Anders ist es bei der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS).

Es mangelt nicht an Plänen und Versprechen, die Patienten vor vermeidbaren Risiken durch Medikationsfehlern zu schützen, doch die Realität in Praxen und Krankenhäusern sieht anders aus. Prof. Dr. Daniel Grandt, Chefarzt der Inneren Medizin I des Klinikums Saarbrücken und ausgewiesener Experte für AMTS, warnt jedenfalls: „Wir schützen Patienten bisher nicht vor der Schädigung durch Medikationsfehler, weil dies nicht oberste Priorität hat – weder für Leistungserbringer noch für die Behandlungseinrichtungen und auch nicht für die Politik.“ Er spricht von Systemversagen.

So sei z.B. bekannt, dass die Verweildauer und Behandlungskosten im Krankenhaus steigen, wenn die Arbeitsbelastung des Arztes zunimmt. Prof. Grandt zitiert eine dänische Studie, wonach die Mortalität für Patienten bei höchster Belegung signifikant höher war als bei einer Belegung von 80 %. Dennoch laute die „Systemvorgabe: Vollbelegung“. Der für das Handlungsergebnis Verantwortliche – der Arzt in der Praxis oder auch das Krankenhaus – habe keine Möglichkeit, die Rahmenbedingungen seines Tätigwerdens in inhaltlich notwendigem Umfang zu beeinflussen, sagt der Chefarzt.

Auch individuelle Fehler-Einflussfaktoren spielen eine Rolle

Zudem konkurriert die AMTS mit anderen Zielen, für deren Erreichen Risiken für Patienten in Kauf genommen werden. Prof. Grandt berichtet von einer Beobachtung von Klinikärzten in einer internistischen Abteilung: Ein Mediziner hatte 45 Minuten Zeit für die Aufnahme eines Patienten. Dabei wurde er bis zu neunmal für bis zu fünf Minuten – wegen der Versorgung anderer Patienten – unterbrochen. Von den verbleibenden 32 Minuten wurden im Schnitt zwei Minuten und 12 Sekunden für die Medikations¬anamnese verwendet.

Heikel wird es auch, „wenn zu wenig miteinander geredet“ wird, so der AMTS-Experte. Bei einer  Befragung von Mitarbeitern onkologischer Abteilungen in neun deutsch-schweizer Spitälern äußerten 53 % Bedenken zur Patientensicherheit in ihren Abteilungen. 43 % berichteten über die Nichteinhaltung wichtiger Sicherheitsregeln und 20 % gaben an, Probleme nicht durchgängig anzusprechen. Verschärft wird eine solche Konstellation durch individuelle Fehler-Einflussfaktoren wie die Risikowahrnehmung (Unterschätzung seltener Risiken) und -einstellung („Eine Tablette mehr oder weniger schadet dem Patienten schon nicht“).

Dass es mit dem Risikomanagement in deutschen Kliniken (ab 80 Betten) nicht zum Besten steht, zeigt eine vom Innovationsfonds geförderte Studie des Deutschen Krankenhausinstitutes. Demnach haben nur 7 % der Krankenhäuser ein schriftliches Konzept zur Verbesserung der AMTS. Einen schriftlichen Standard für die Medikationsanamnese pflegen 35 % der Häuser. Gut jedes zehnte Haus misst Kennzahlen zur Therapiesicherheit. Ein Drittel der Kliniken bietet AMTS-Fortbildungen für Ärzte und Pflegekräfte an.

Patientensicherheit ist auch Mitarbeiterschutz

Prof. Grandt kommt deshalb zu dem Schluss, dass die vermeidbaren Therapierisiken mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhalten sollten, damit politisch und organisatorisch für Abhilfe gesorgt wird. Er betont die Wichtigkeit, mit Krankenhausapothekern auf der Station zusammenzuarbeiten. Die Kliniken vertrauen auf die positive Wirkung von Fördergeld für ihre Digitalisierung gemäß Krankenhauszukunftsgesetz. Wichtige Erkenntnisse erhoffen sich Krankenkassen und Krankenhäuser von dem Innovationsfondsprojekt „Top“, an dem u.a. bundesweit zwölf stationäre Einrichtungen, aber auch einweisende Haus¬ärzte beteiligt sind. Ergebnisse sollen 2024 vorliegen.

Das beteiligte Universitätsklinikum Münster (UKM) hat sich bereits das Ziel von 0,0 Fehler bei der Arzneitherapie gesetzt und dies öffentlich gemacht. „Wer Katastrophen verhindern möchte, muss konsequent Abweichungen reduzieren. AMTS ist Unternehmenskultur“, sagt Dr. Christoph Klaas, Leiter der UKM-Apotheke. Das heißt: In den diversen Kliniken haben bei der Patientenaufnahme, während der Behandlung und bei der Entlassung dieselben Standards für die kontrollierte Arzneitherapie zu gelten. Patientensicherheit sei auch Mitarbeiterschutz, sagt Dr. Klaas.

Quelle: 128. Kongress der DGIM

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