Hausärztemangel Jetzt ist die Selbstverwaltung am Zug

Gesundheitspolitik Autor: I. Dürr

Die Bundesregierung ist der Ansicht, sie habe durch neue gesetzliche Maßnahmen die geeignete Grundlage geschaffen, dem drohenden Hausärztemangel zu begegnen. Fast sämtliche Schranken für die Niederlassung seien beseitigt worden, fast alle möglichen Versorgungskonzepte könnten nun vor Ort umgesetzt werden. Jetzt aber seien insbesondere die Selbstverwaltung sowie die Bundesländer am Zug, etwas gegen den Hausärztemangel zu unternehmen. Doch hier geschehe noch viel zu wenig, beklagt Karl-Josef Laumann, der Patientenbeauftragte der Bundesregierung.

Seit Karl-Josef Laumann vor gut einem Jahr sein Amt als Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit übernommen hat, profiliert er sich als einer der vehementesten Verfechter einer flächendeckend gut ausgebauten hausärztlichen Versorgung. Immer wieder betont er, für wie bedeutsam er die Allgemeinmedizin für ein gut funktionierendes Gesundheitssystem hält und wie besorgniserregend er deshalb den absehbaren Mangel an jungen Hausärzten empfindet. Die Zahlen, die Laumann dazu nennt, zeigen, dass diese Besorgnis begründet ist.

Während 1995 bundesweit 46 092 Allgemeinärzte ihre Arbeit leisteten, waren es Ende 2013 nur noch 33 780 (Abb. 2). Und die sind immer älter. Laut Bundesärztekammer liegt der Schnitt derzeit bei 53,1 Jahren. Knapp jeder zehnte ist älter als 65, jeder dritte hat das 60. Lebensjahr überschritten. Und mit dem Nachwuchs hapert es auch: Hatten 1993 noch 18 355 Studierende ein Studium der Humanmedizin beendet, waren es 2012 nur noch 16 296. Parallel dazu sank die Zahl derer, die als Internisten und Allgemeinärzte anerkannt wurden. Vor 20 Jahren lag sie bei 1 878, nun aber nur noch bei 1 112. Ganz anders sieht es bei Fachärzten aus. Ihre Anerkennungszahl stieg von 8 136 auf 10 037 (Abb. 1). Das Verhältnis zwischen Allgemeinärzten und Spezialisten hat sich dadurch umgedreht. 1993 waren 59,7 % der Vertragsärzte in der hausärztlichen Versorgung tätig, 2012 lag die Quote bei nur noch 45,9 %. Der Facharztanteil dagegen stieg von 40,3 auf 54,1 %.

Regierung baut Hemmnisse ab

Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz habe die schwarz-rote Koalition das ihre getan und der Selbstverwaltung alle erdenklichen Gestaltungsspielräume an die Hand gegeben, um die hausärztliche Versorgung sicherzustellen. Dass Landärzte nicht mehr am Praxisort wohnen müssen, von Mengenbegrenzungen ausgenommen sind und für bestimmte Leistungen Preiszuschläge erhalten können, sei bereits seit längerem geregelt. KVen könnten in überversorgten Gebieten Arztsitze aufkaufen, Kommunen eigene Einrichtungen zur medizinischen Versorgung eröffnen.


Mit dem Versorgungsstrukturgesetz werde dieser Maßnahmenkatalog noch einmal erheblich erweitert, so Laumann.

  • So sollen die unbegründeten Unterschiede in den Gesamtvergütungen zwischen den Länder-KVen abgebaut werden.
  • Die von Spezialisten erbrachten hausärztlichen Leistungen sollen künftig nicht mehr den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütung mindern.
  • Die Zahl der geförderten Weiterbildungsplätze für Allgemeinmedizin soll bundesweit von derzeit 5 000 auf 7 500 Stellen erhöht werden.
  • Medizinische Versorgungszentren dürfen bald auch alleine von Hausärzten betrieben werden.
  • Hausärzte sollen durch den Einsatz nichtärztlicher Praxisassistentinnen (NäPa) entlastet werden. Für eine NäPa könne eine Hausarztpraxis eine finanzielle Förderung von bis zu 1 320 Euro im Quartal erhalten, wenn die Praxis pro Hausarzt und Quartal im Schnitt insgesamt mindestens 860 Fälle hat oder mindestens 160 über 65-jährige Patienten behandelt



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Selbstverwaltung nutzt die Chancen (noch) nicht

Einen flexibleren Instrumentenkasten hätten KVen und Krankenkassen in der Geschichte der Bundesrepublik wohl noch nie zur Verfügung gehabt, meint Laumann. Diese müssten nun aber auch davon Gebrauch machen. Aber das sei bislang noch nicht ausreichend geschehen, wirft er der Selbstverwaltung vor. Die KVen müssten ihren Sicherstellungsauftrag mit Kreativität und Engagement erfüllen. Ansonsten würden sie ihrer zentralen Aufgabe nicht gerecht, schimpft Laumann. Die Selbstverwaltung müsse angehenden Medizinern endlich mehr positive Anreize geben, Hausarzt zu werden und sich in unterversorgten Gebieten niederzulassen. Ob Zuschläge für Landarztpraxen oder die Gründung von Gemeinschaftspraxen oder Zentren mit familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen: Die Liste des gesetzlich Möglichen ist lang. Sie muss allerdings mit Leben gefüllt werden. In der Pflicht stünden jedoch auch die Bundesländer, die in der Hochschulpolitik die Hauptverantwortung tragen. Gerade die westdeutschen Länder müssten die allgemeinmedizinische Ausbildung qualitativ und quantitativ besser fördern und ihr so ein stärkeres Gewicht geben. Die Allgemeinmedizin müsse endlich aus ihrem Schattendasein herauskommen, das sie derzeit im inneruniversitären Wettbewerb der verschiedenen Ausbildungsschwerpunkte führe. Ansonsten sei die katastrophale Entwicklung nicht mehr aufzuhalten.

Die Allgemeinmedizin von Grund auf stärken

Das Allgemeinmedizin-Studium brauche neue Impulse. So würden erheblich mehr eigene Lehrstühle für Allgemeinmedizin an den medizinischen Fakultäten benötigt. Die organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen müssten reformiert werden. Man brauche eine deutlich größere Anzahl der Studienplätze und die Auswahl der Studienplatzbewerber müsse zielgerichteter erfolgen. Für eine gute Idee hält es Laumann zudem, ein Stipendienprogramm für diejenigen Studenten zu schaffen, die sich bereit erklären und motiviert sind, sich später in unterversorgten Regionen niederzulassen.

Wenn man nicht zügig beginne, energisch gegenzusteuern, laufe man nicht nur in ein medizinisches Gerechtigkeitsproblem, warnt der Patientenbeauftragte. Man werde auch eine Debatte über die Kassenbeiträge bekommen. Denn warum, so fragt er, sollten Bewohner ländlicher Regionen, in denen es nicht mal mehr Hausärzte gibt, für ihre Krankenversicherung genauso viel bezahlen wie gut versorgte Patienten in der Großstadt?

Wie kaum anders zu erwarten, begrüßt der Deutsche Hausärzteverband (DHÄV) ausdrücklich die Ansichten und Forderungen Laumanns, decken sie sich doch in weiten Teilen mit denen des DHÄV. Die Vorhaben der Bundesregierung würden in die richtige Richtung weisen.

Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (3) Seite 30-32
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Abb. 1: Entwicklung der Zahl der Facharztanerkennungen Abb. 1: Entwicklung der Zahl der Facharztanerkennungen
Abb. 2: Die Zahl der niedergelassenen Allgemeinärzte sinkt 
seit vielen Jahren Abb. 2: Die Zahl der niedergelassenen Allgemeinärzte sinkt seit vielen Jahren