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IT-Systeme und Corona Kein Happy End mit Jens Spahn

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Pandemie, halbgare Gesetze und unausgereifte IT-Systeme stellen Praxen vor eine Belastungsprobe. Pandemie, halbgare Gesetze und unausgereifte IT-Systeme stellen Praxen vor eine Belastungsprobe. © iStock/doble-d
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Nach vier Jahren voller Gesetze und Verordnungen mit den Schwerpunkten Digitalisierung und Pandemie hat Jens Spahn in der Vertragsärzteschaft viel Sympathie verloren. Kurz vor seinem Amtsende regten Delegierte der KV Bayerns sogar die sofortige Demission an.

Die überraschende Mitteilung des BMG, dass pro Vertragsarzt und Woche nur noch 30 Dosen von Bion­tech/Pfizer bestellt werden können und stattdessen der Impfstoff von Moderna genutzt werden soll, sorgte in der Vertreterversammlung der KV Bayerns für schlechte Stimmung. Die einstimmig beschlossene Resolution, die Vorgabe solle – wegen der Verunsicherung der Bürger und des Beratungsmehraufwandes für die Praxen – umgehend zurückgenommen werden, ansonsten sei der Minister abzuberufen, machte schnell die Runde. Andere KVen und Verbände legten nach. Spahn erklärte im ZDF: Er könne das nicht zurücknehmen, da sich die Lager mit den Biontech-Beständen leerten. 

Delegierte wie Vorstand sahen in dem Vorfall ein typisches Verhalten. KV-Chef Dr. Wolfgang Krombholz kritisierte als Merkmale Spahnscher Politik: „Eile vor Gründlichkeit“ („halbgare Gesetze“, die mit Versuch und Irrtum nachgebessert werden), „gesetzgeberische Finesse“ (regulatorische Änderungen auf den letzten Drücker, Omnibusgesetze) sowie eine mit „fehlender Wertschätzung“ verbundene Überlastung der Praxen. Letzteres bezieht sich vor allem auf das aktuelle Dilemma, dass die Praxisteams in der Pandemie alle Hände voll zu tun haben, aber sich zugleich darum kümmern müssen, dass ihre IT-Systeme das Erstellen und Versenden von elektronischen AU-Bescheinigungen und Rezepten pünktlich bewerkstelligen können.

Dr. Petra Reis-Berkowicz, Vorsitzende der KVB-Vertreterversammlung, hat im Bundestag eine Petition eingereicht. Sie verlangt: Vor der Einführung der verpflich­tenden elektronischen Übermittlung von AU und Verordnungen haben zwölf Monate lange Flächentests zu erfolgen, ebenso für alle künftigen Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI). Und: Ersatzverfahren müssen dauerhaft angewendet werden können. Wird die Petition (www.kvb.de/petition-ti) bis Mitte Dezember von 50.000 Menschen online und mit Unterschriftenlisten in Praxen mitgezeichnet, erhält Dr. Reis-Berkowicz die Möglichkeit, ihr Anliegen vor den Abgeordneten des Petitionsausschusses vorzutragen.

Nach Angaben von KV-Vize Dr. Pedro Schmelz waren Ende des dritten Quartals 14.772 bayerische Praxen an die TI angeschlossen. Das sind rund 87 %. Die Zahl der Praxen, denen wegen ihrer TI-Abstinenz Honorar gekürzt wurde, sank von 4.055 (1/2019) auf 1.889 (2/2021). Die Honorarkürzungen summierten sich bislang auf 15 Mio. Euro.

Besorgniserregende Berichte über Erfahrungen mit der eAU

Die KVB sammelt seit Ende Oktober online Erfahrungsberichte von Praxen zur eAU und meldet diese zur Fehlerbehebung an KBV und gematik. Dr. Schmelz sprach von „besorgniserregenden Berichten“. Beispielsweise würden Praxisverwaltungsprogramme zum Teil Fehler bei der eAU-Datenerstellung enthalten. Auch seien eAUs durch Übermittlungsprobleme von KIM-Diensten verloren gegangen. Einige Krankenkassen schickten schon bei „kleinsten Formfehlern“, etwa zu vielen Leerzeichen, Fehlermeldungen. 

Auch beim Erproben des eRezepts zeigten sich Umsetzungsprobleme und eine „unzureichende Reife“, so Dr. Schmelz. Allein im Oktober habe es im TI-Produktivbetrieb sieben Störungen gegeben, deren Behebung im Schnitt zwei Wochen gedauert habe. „Wir nehmen es nicht länger hin, dass unsere Mitglieder von der Politik und Industrie schikaniert werden, und als Versuchslabor der Digitalisierung herhalten müssen“, verkündete der KV-Vize.

Das frühere KVB-Vorstandsmitglied Dr. Ilka Enger kommentierte diese Klagen als „Krokodilstränen“. Statt z.B. etwas gegen die Sanktionierung von Mitgliedern zu unternehmen, heiße es stets: Die KV müsse das umsetzen.

Quelle: Vertreterversammlung der KV Bayern

Dr. Petra Reis-Berkowicz, Vorsitzende der Vertreterversammlung der KV Bayerns Dr. Petra Reis-Berkowicz, Vorsitzende der Vertreterversammlung der KV Bayerns © KV Bayern
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