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Kodierungs-Betrüger – Mir stinkt’s!

Autor: Dr. Frauke Höllering

© fotolia/qingwa/privat
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Das Problem der Nachcodierung ist immer mehr auf dem Vormarsch und viele Ärzte werden hierfür an den Pranger gestellt, so auch Dr. Frauke Höllering.

Mag sein, dass alle 68-er und meine Altersgenoss(inn)en einfach müde vom Kampf sind und sich ihre Aufmüpfigkeit in stumpfe Resignation gewandelt hat. Vielleicht sind wir auch altersmilde geworden (nur was mich angeht, habe ich da doch mächtige Zweifel), und unsere jungen Kolleginnen und Kollegen sind anscheinend von geradezu erschütternder Indolenz gegenüber den Beleidigungen und Gängelungen unserer Zunft.

Worum es mir geht? Darum, dass ich wieder mal in die Reihe geldgieriger Betrüger gestellt werde, die andere Menschen um ihre wohlverdiente Barschaft bringen. Dass große, seriöse Tageszeitungen meinem verbrecherischem Tun halbseitige Artikel gewidmet haben, während nirgendwo auch nur eine winzige Gegendarstellung oder auch nur eine andere Sicht der Dinge zu lesen war. Ich gestehe es darum hier ohne Scham ein: Ja, ich habe nachcodiert! Ich bin Täter und Opfer zugleich, wurde von den Krankenkassen drangsaliert, von Codierungsberatern gedrängelt und mit irrwitzigen Geldsummen im Centbereich bestochen, Diagnosen in kleine Ziffern umzuwandeln.

Lange hatte ich mich gewehrt, bis mir die nervigen Codierungsanforderungen so auf den Senkel gegangen sind, dass ich die Segel gestrichen und meine kostbare Freizeit der undankbaren Aufgabe gewidmet habe, Hunderte Patienten nach fehlenden Diagnosen durchzuscannen und diese zu ergänzen. Die dafür in Aussicht gestellten Entlohnungen waren so winzig, dass sie nicht als Honorar und schon gar nicht als "Bestechung" bezeichnet werden konnten. Obendrein erhalten wir Codierungsschafe sie nur, wenn die betroffenen Patienten weder geria­trisch noch chronisch krank sind.

"Ich werde in die Reihe geldgieriger Betrüger gestellt"

Ich kann mich, ehrlich gesagt, nicht erinnern, irgendeinen Patienten mit neuen Dauerdiagnosen versehen zu haben, der weder das eine noch das andere war. Dass ich umsonst gearbeitet habe, ist noch das kleinste Problem.

Aber ein Betrüger sein? Wer ist eigentlich auf die irrwitzige Idee gekommen, dass wir Diagnosen nachcodieren, die aus der Luft gegriffen sind? Das wurde in irgendeinem Medium frech behauptet und von den anderen dumpf übernommen, ohne auch mal für zwei Cent Hirn zu investieren, um ein kleines bisschen nachzudenken. Warum sollten wir Diagnosen erfinden? Das würde uns doch nicht helfen und nur unsere Patienten belasten, die vielleicht irgendwann Wind davon bekämen, dass ihre Krankenkasse sie für herzkrank hält, obgleich sie das nicht sind. Was für ein Käse! Wir codieren einfach die, die bisher unter den Tisch gefallen sind.

Den schwergewichtigen Hypertoniker, dessen "Adipositas" mit einem BMI zwischen "30 und 35" zwar offensichtlich ist, aber bisher eben nicht unter den Diagnosen aufzufinden war. Die Diabetikerin, die Probleme mit dem Gefühl in ihren Füßen hat, aber bisher noch nicht die Dauerdiagnose "Diabetes mit neuropathischen Komplikationen". Die depressive Patientin, von der wir hofften, dass ihr Tief eine Quartalsdiagnose bliebe, die aber nun doch ein wenig länger im Keller der Depression verblieb und die Dauerdiagnose "mittelgradige depressive Episode" noch nicht hat.

"Warum sollten wir Diagnosen erfinden?"

Den Patienten der vor einem hal­ben Jahr zu uns gewechselt ist und dessen Diagnose "Hyperurikämie" bisher gar nicht bekannt war. Die menopausale Dame, die sich ständig Sorgen macht, dauernd Schlafmittel haben will und zu ihrer psychosomatischen Diagnose auch die "nicht organische Schlafstörung" nachcodiert bekommt. Mehr nicht. Aber die Öffentlichkeit stellt sich vor, wie wir nächtens am Schreibtisch in Gegenwart schmieriger, gut bezahlter Codierungsberater Patientenakten fälschen, um unser ohnehin unverschämt hohes Honorar in noch unermesslichere Höhen zu treiben.

Es mag für meine Journalisten­kolleg(inn)en beflügelnd sein, mit solchen Bildern das sowieso schon schwer angeschlagene Arztbild weiter in die Betrügerecke zu schieben. Aber warum sich keiner von uns dagegen wehrt, verstehe ich nicht. Vielleicht, weil diese Attacke schon wieder eine Weile her ist und längst andere Säue durchs Dorf getrieben werden? Keine Ahnung. Aber ich wehre mich schon mal hier und bei der nächsten Attacke auf meine Profession schreibe ich einfach mal einen Leserbrief. Tun Sie das doch auch mal!

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