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KV Berlin: Steht der Neuanfang auf der Kippe?

Gesundheitspolitik Autor: Hermann Müller

© fotolia/Brian Jackson/Rawpixel.com/Kassenärztliche Vereinigung Berlin
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Persönliche Interessen und Eitelkeiten könnten bei der bevorstehenden Wahl des neuen Berliner KV-Vorstands für Überraschungen sorgen. Hinter dem „Projekt Neuanfang“ stehen Fragezeichen. Am Samstag den 14.01.2017 kommt es zur ersten Nagelprobe.

Fachärztin Dr. Margret Stennes und Hausarzt Mathias Coordt sind Favoriten bei der Wahl des neuen Berliner KV-Vorstands. Die „AG Konstruktive KV“ schickt das gemischte Doppel am 11. Februar ins Rennen. Das Bündnis verfügt in der Vertreterversammlung (VV) über eine hauchdünne Mehrheit von 21 der 40 Sitze. Die Wahl könnte spannend werden. Die Frontlinien sind kompliziert, und es geht nicht nur um die Sache: Persönliche Interessen und Eitelkeiten könnten für Überraschungen sorgen. Hinter dem „Projekt Neuanfang“ stehen Fragezeichen.

Am Samstag (14.1.2017) kommt es zur ersten Nagelprobe. Nach der Auszählung der Stimmen bei der Neuwahl zur VV im letzten Herbst war die Opposition (Fachärzte 2.0, MVZ-Ärzte, Pädiater, Psychotherapeuten, Hausärzte für Berlin) zufrieden. Zusammen mit dem BDA verfügten die Vorstandskritiker über eine komfortable Mehrheit von 26 Sitzen in der 40-köpfigen VV. Die Vorstandsliste der Fachärzte war abgestürzt von 21 auf 12 Sitze, sie stellt zusammen mit den Medi-Fachärzten nur 14 Delegierte.   

Der Neubeginn schien in Reichweite

Wahlgewinnerin Dr. Stennes hatte mit 484 Stimmen das mit Abstand beste Wahlergebnis erzielt. Ihre Liste „Fachärzte 2.0“ hat der Vorstandsliste viele Mandate abgenommen, ist mit acht Sitzen zweistärkste Kraft in der VV. Der zweite Gewinner: Dr. Detlef Bothe, Initiator der „Hausärzte für Berlin“, erzielte 291 Stimmen. Seine Liste ließ mit 529 Stimmen die BDA-Liste von Dr. Wolfgang Kreischer (484 Stimmen, fünf Sitze) hinter sich. Der BDA verlor drei Sitze.    

Nach dem Wählervotum wollten die Dres. Stennes und Bothe in den neuen Vorstand. Die beiden Reformer benötigten aber Koalitionspartner. Die neu gegründete „AG Konstruktive KV“ (Fachärzte 2.0, MVZ-Ärzte, Pädiater, Hausärzte für Berlin, Psychotherapeuten) beschloss: Wir ziehen mit zwei Kandidaten ins Rennen: einem Facharzt und einem Hausarzt. Intern wurde gewählt. Bei den Fachärzten setzte sich Dr. Stennes gegen die Gynäkologin Dr. Christiane Wessel (Fachärzte 2.0) durch.  

Die Liste „Hausärzte für Berlin“ entschied sich für Dr. Bothe. Der listenintern knapp unterlegene Diplom-Mediziner Mathias Coordt meldete aber in der AG plötzlich Ansprüche auf eine eigene Kandidatur an. Dabei hatte Vorsitzende des NAV-Virchowbundes Berlin-Brandenburg auf der Bothe-Liste mit nur 83 Stimmen eine böse Wahlschlappe erlitten und den erneuten Sprung in die VV verpasst. Doch in der AG setzte sich Coordt gegen Dr. Bothe durch.

Nur eine hauchdünne Mehrheit für „AG Konstruktive KV“

Jetzt steht das „Projekt Neuanfang“ auf Messers Schneide. Die Wahl von Dr. Stennes, sie kandidiert jetzt für die AG zusammen mit Coordt für den Vorstand, scheint plötzlich nicht ganz sicher. Die AG verfügt mit 21 Stimmen nur über eine hauchdünne Mehrheit, die fünf BDA-Vertreter sind schwer einzuschätzen. Vor allem die Fachärzte wollen die Wahl von Dr. Stennes in den Vorstand verhindern. Sie ist seit 2014 Vorsitzende der VV und gilt als schärfte Kritikerin des jetzigen Vorstandes, der von einem harten Kern der Facharztliste bis zuletzt gestützt wurde.  

Die Fachärzte verzichten auf einen Kandidaten aus ihrer Liste, sie haben Dr. Matthias Lohaus nominiert. Ein taktisches Spiel: Der HNO-Arzt und Listenführer der Medi-Fachärzte gehört zum harten Kern der Fachärzte, sitzt als Vertreter der Vorstandsliste in der VV.  

Was machen die fünf BDA-Vertreter? Der umtriebige Dr. Kreischer hat eigene Ambitionen „und verbreitet maximale Unruhe“, stöhnt ein VV-Mitglied. Trotz Wahlschlappe seiner Liste wird der Berliner BDA-Chef am 11. Februar kandidieren - gegen Coordt. Dr. Kreischer spekuliert offenbar auf Stimmen der Fachärzte. Er könnte im Gegenzug die Kandidatur von Dr. Lohaus unterstützen, dieser könnte mit bis zu 19 Stimmen rechnen. Durch einen solchen Kuhhandel und die Unwägbarkeiten einer geheimen Wahl könnte es für Dr. Stennes noch eng werden.  

Vermutlich hat Coordt gegenüber Dr. Kreischer bessere Karten. Der smarte Arzt tanzt auf vielen Hochzeiten, ist gut vernetzt und kommunikativ, pflegt Kontakte zur Facharztliste und kann dort mit Unterstützung rechnen. „Die Fachärzte könnten mit Coordt gut leben, wollen aber Stennes verhindern“, heißt es. Nicht ausgeschlossen ist, dass Coordt und Dr. Lohaus das Rennen machen. „Dann wäre das Projekt Neuanfang gestorben“, befürchtet ein Insider.  

Dabei sollte der 11. Februar nach dem erklärten Willen oppositionellen Koalition Startschuss für den Neuanfang sein. KV-Chefin Dr. Angelika Prehn, ihr Vize Dr. Uwe Kraffel und Beisitzer Burkhard Bratzke haben viel Porzellan zerschlagen. Die Ärzteschaft ist gespalten, das Ansehen beschädigt, die Verwaltung frustriert. Das „Meisterstück“ gelang dem Vorstand Anfang 2011, als er sich nach der Wiederwahl Übergangsgelder von zusammen 549.000 Euro auszahlen ließ. Trickreich eingefädelt und rechtswidrig, wie sich später herausstellte. Die Aufsicht zwang den Vorstand zur Rückzahlung, die drei müssen sich demnächst wegen des Vorwurfs der „Untreue in einem schweren Fall“ vor einer Strafkammer des Landgerichts verantworten.  

Der künftige Vorstand muss Ärzteschaft und Verwaltung in ruhiges Fahrwasser führen und ungelöste Probleme angehen. So wurden trotz Einschaltung von Wirtschaftsprüfern Ungereimtheiten bei der Honorarverteilung zwischen Haus- und Fachärzten nicht geklärt. Es geht um einen zweistelligen Millionenbetrag. Insbesondere KV-Vize Dr. Kraffel wird vorgeworfen, seit zwei Jahren die Aufklärung zu torpedieren.

Harter Kern hält dem Vorstand die Treue

Trotzdem hält ein harter Kern von etwa 15 Fachärzten („Vorstandsliste“) dem  Vorstand die Treue; er verhinderte eine Abwahl. Diese scheiterte an der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit. Und bei der Neuwahl schafften erstaunlich viele Vertreter der Facharztliste wieder den Sprung in die VV, darunter auch Beisitzer Burkhard Bratzke. Dr. Prehn und Dr. Kraffel kandidierten nicht. 

Dritter Vorstand soll ein Nicht-Mediziner werden - mit Führungs- und Verwaltungserfahrung und ohne Verstrickung in die Scharmützel der KV Berlin. Bewerber auf dem Kreis der leitenden KV-Angestellten dürften aus dem Rennen sein.

Für die Suche des dritten Vorstandsmitglieds wurde eine sechsköpfige Findungskommission gebildet. Mögliche Kandidaten wurden gesichtet und angesprochen. Offen ist, ob sich ein qualifizierter Bewerber mit einer sicheren und gut dotierten Stelle auf dieses Wagnis einlässt. Der Vorstandsjob an der Spree kann schnell zum Himmelfahrtskommando werden. 

Auf der konstituierenden Sitzung der neuen VV am Samstag (14.1.) kommt es zur ersten Nagelprobe. Nach einem Votum der AG „Konstruktive KV“ soll Dr. Wessel für den Vorsitz kandidieren und Stennes-Nachfolgerin werden. Die Frauenärztin könnte allerdings mit Dr. Christian Messer einen Gegenkandidaten bekommen. Nach unbestätigten Gerüchten wollen die Fachärzte den ärztlichen Psychotherapeuten, der wie Dr. Lohaus in der jetzigen VV sitzt, ins Rennen schicken.

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