DEGAM Leitlinien für die hausärztliche Patientenversorgung

Gesundheitspolitik Autor: Anne Barzel, Cathleen Muche-Borowski, Marin Beyer und Martin Scherer

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Die Leitlinienarbeit der DEGAM wird von der Ständigen Leitlinienkommission (SLK) koordiniert und geschultert. Die SLK besteht aus DEGAM-Mitgliedern, die sich für Leitlinien interessieren und/oder in die Leitlinienarbeit involviert sind. Aktuell arbeiten etwa 50 SLK-Mitglieder ehrenamtlich als Autorinnen und Autoren an DEGAM-Leitlinien und vertreten als Mandatsträger die DEGAM bei Leitlinien anderer Fachgesellschaften.

Das Spektrum der Leitlinienarbeit reicht von DEGAM S1-Handlungsempfehlungen, DEGAM-Leitlinien der Klassen S2k und S2e bis hin zu interdisziplinären S3-Leitlinien und Nationalen Versorgungsleitlinien, die zusammen mit anderen Fachgesellschaften erstellt werden.

Die hausärztliche Perspektive einbringen

In der Leitlinienarbeit nimmt die DEGAM mit ihrer SLK eine besondere Stellung ein. Unter allen 173 Fachgesellschaften der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Fachgesellschaften) vertritt die DEGAM als einzige die Perspektive und Belange der hausärztlichen Versorgung. Diese Schlüsselrolle zeigt sich eindrucksvoll in den zahlreichen Einladungen anderer Fachgesellschaften zur Mitarbeit an ihren Leitlinien. Bei der DEGAM-Beteiligung in der Leitlinienentwicklung anderer Fachgesellschaften gelingt es auf verschiedene Art und Weise, die hausärztliche Perspektive einzubringen. Oft findet dies im kollegialen Austausch statt, gelegentlich verbunden mit der Aufnahme eines SLK-Mitglieds in die Steuergruppe einer Leitlinie. Andernorts bedarf es der Moderation oder auch Schlichtung, die zu Sondervoten der DEGAM, einem hausärztlichen Kapitel oder in Einzelfällen auch zum Ausstieg aus der Leitlinienarbeit führen können. In diesem Prozess der Konsensfindung kommt der AWMF, insbesondere dem AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement (IMWi) eine besondere Rolle zu. Nicht nur, dass Mitarbeiter des IMWi Konsensuskonferenzen professionell moderieren, sondern auch, indem die AWMF die Bedeutung der hausärztlichen Versorgung als besonders relevant für die Nutzer von Leitlinien erkannt hat und gegenüber anderen Fachgesellschaften vertritt. Zuletzt hat dies zu einer Vereinbarung über die Abstimmungsverhältnisse in Konsensuskonferenzen geführt, die unter Berücksichtigung der Bedeutung der Fachgesellschaften für die Primärversorgung ausgewogen (paritätisch) zusammengesetzt sein sollten. Dies ist ein wichtiger Meilenstein für die Sichtbarkeit hausärztlich relevanter Versorgungsaspekte in Leitlinien.

Zwischen Auftrag und praktischer Umsetzung

Im Kreis der AWMF wird inzwischen wahrgenommen, dass die DEGAM nicht nur ein Fach, sondern die Grundversorgung im primärärztlichen Versorgungssektor repräsentiert. Diese Rolle führte in den letzten Jahren zu einer stetig wachsenden Beteiligung der DEGAM an aktuell insgesamt 51 interdisziplinären Leitlinien, Nationalen Versorgungsleitlinien und Leitlinien aus dem Onkologischen Leitlinienprogramm. In der Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften sieht sich die DEGAM in einer besonderen Verantwortung für die Praxistauglichkeit von Leitlinien in der Primärversorgung, indem sie auf die Ausarbeitung geeigneter Schlüsselfragen achtet und sich für die Formulierung praxisrelevanter Empfehlungen einsetzt. Unabhängigkeit von der Industrie und die Darlegung potenzieller Interessenskonflikte sind hierbei ein wichtiges Anliegen. Für ihre eigenen Leitlinien (aktuell 39) hat die DEGAM dazu seit Beginn einen methodisch transparenten und nachvollziehbaren Prozess der Leitlinienentwicklung, den DEGAM-10-Stufenplan, etabliert. Eine finanzielle Unterstützung der Autorinnen und Autoren durch die DEGAM ist nur in sehr begrenztem Umfang möglich. Für die Arbeit an DEGAM-Leitlinien wurde bisher ein eher symbolisches Autorenhonorar gezahlt, gestaffelt nach dem Aufwand in Höhe von 5.000 Euro für eine S3-Leitlinie, 2.000 – 3.000 Euro für eine S2-Leitlinie und 1.000 Euro für eine S1-Leitlinie.

Professionalisierung der DEGAM-Leitlinienarbeit

Die Entscheidungsprozesse in der SLK folgen demokratischen, in einer Satzung festgelegten Grundregeln. Der anfangs über Rundmails und einen "Listserver" geführte Austausch wurde im Verlauf durch den SLK-Newsletter und einen eigenen passwortgeschützten Bereich "SLK intern" auf der DEGAM-Website abgelöst. Hier wird informiert, kommentiert und abgestimmt nach Regeln, die sich die SLK selbst gegeben hat. Zweimal jährlich treffen sich die Mitglieder (in ihrer Freizeit) auf einer SLK-Sitzung zur inhaltlichen Arbeit und Abstimmung über die programmatische Ausrichtung der DEGAM-Leitlinienarbeit. Die Mitglieder berichten über den aktuellen Stand der Leitlinien, an denen sie mitarbeiten, neue Leitlinienvorhaben werden vorgestellt und diskutiert, neue Mitglieder können auf Antrag aufgenommen werden, Aufgaben werden verteilt. Die DEGAM unterstützt diese Treffen finanziell durch Übernahme der Reisekosten für die Teilnehmer der Frühjahrssitzung.

Im 2-Jahres-Turnus wählen die SLK-Mitglieder einen Sprecher und einen Stellvertretenden Sprecher. In engem Austausch mit dem DEGAM-Präsidium leiten die Sprecher die SLK-internen Prozesse und vertreten die DEGAM-Leitlinienarbeit nach außen. Sie werden unterstützt durch die DEGAM-Geschäftsstelle Leitlinien, die an einem universitären Standort, einem Institut für Allgemeinmedizin, verankert ist. Nach Düsseldorf und Rostock ist die Geschäftsstelle seit November 2015 am Institut für Allgemeinmedizin in Hamburg ansässig.

Im Sinne der weiteren Professionalisierung wurde die DEGAM-Leitlinienentwicklungsstelle geschaffen, um die Qualität von DEGAM-Leitlinien durch methodische Kompetenz und Expertise sicherzustellen. Leitlinienautorinnen und -autoren werden in ihrer Arbeit unterstützt, beispielsweise bei der Anmeldung neuer Leitlinienvorhaben, der Literaturrecherche oder der Erstellung eines Evidenzreports. Neben der individuellen Beratung bietet die Leitlinienentwicklungsstelle maßgeschneiderte Fortbildungen rund um das Thema Leitlinien und koordiniert die Entwicklung neuer Leitlinienformate und -projekte. Seit 2013 wurden inzwischen 16 S1-Handlungsempfehlungen zu umschriebenen, von Hausärztinnen und Hausärzten als besonders relevant benannten Themen unter der Federführung der Leitlinienentwicklungsstelle erstellt. Aktuell koordiniert die Leitlinienentwicklungsstelle die Entstehung der beiden neuen S3-Leitlinien "Schutz vor Über- und Unterversorgung" und "Multimorbidität". Die Komplexität dieser Themen erforderte zunächst die Entwicklung einer eigenen methodischen Herangehensweise. Dafür hat die DEGAM auch international Anerkennung erfahren.

Zukunftsperspektive der SLK

Die aktive Mitarbeit der SLK an inzwischen über 50 Leitlinien führt zu spürbaren personellen Engpässen. Immer häufiger müssen Anfragen anderer Fachgesellschaften abgesagt werden, da die Ressource DEGAM-Leitlinien-Autor und -Mandatsträger knapp ist. Daher hat die SLK eine Initiative zur Basisverbreiterung gestartet, um neue Mitglieder zu gewinnen und die Qualität der DEGAM-Leitlinienarbeit langfristig sicherstellen zu können. Den Auftakt haben im Jahr 2015 eine Einführungsveranstaltung auf dem DEGAM-Kongress in Bozen und ein Wochenend-Workshop zur "Nachwuchsförderung" im Oktober in Hamburg gebildet.

Ziel ist es, die Diversität der SLK im Sinne einer guten Mischung aus Praktikern, wissenschaftlich Tätigen und in der Leitlinienarbeit bereits methodisch Versierten zu fördern. Das Interesse der mehrheitlich hausärztlich tätigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer übertraf die Erwartungen. Dennoch gilt es zu bedenken, dass die Leitlinienarbeit für den primärärztlichen Versorgungssektor bislang von einer mit rund 5.000 DEGAM-Mitgliedern vergleichsweise kleinen Fachgesellschaft getragen wird. Anzustreben wäre eine substanzielle Strukturförderung für hausärztliche Leitlinien, die nicht nur vom Ehrenamt und den Beiträgen der DEGAM-Mitglieder getragen wird. Die Herausforderungen zukünftiger Leitlinienarbeit für die hausärztliche Patientenversorgung liegen in der Bearbeitung versorgungsrelevanter Themen, einer echten Beteiligung von Patientinnen und Patienten und einer "Tagesaktualität" der Schlüsselempfehlungen.


Autor:
DEGAM-Geschäftsstelle Leitlinien c/o Institut für Allgemeinmedizin
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
20246 Hamburg

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (9) Seite 26-30
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

Abb. 1: Kurzversionen der DEGAM-Leitlinien Abb. 1: Kurzversionen der DEGAM-Leitlinien
Abb. 2: Arbeitsatmosphäre bei einer SLK-Sitzung im Februar 2016 Abb. 2: Arbeitsatmosphäre bei einer SLK-Sitzung im Februar 2016