Versorgungforschung Nah genug am Hausarzt und am Patienten?

Kolumnen Autor: Raimund Schmid

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Auf den ersten Blick kann man fast euphorisch werden. 75 Millionen Euro stehen ab 2017 zur Verfügung, um endlich die Versorgungsforschung in Deutschland voranzutreiben. Und tatsächlich befassen sich viele der über 60 Projekte mit Themen, mit denen sich viele Hausärzte und Patienten tagtäglich herumschlagen müssen.

Hausärzte müssen beteiligt sein

Zum Beispiel bei der Arzneimittelversorgung. So soll ein Projekt der Uni Witten/Herdecke eine interprofessionelle Toolbox entwickeln, um die Medikation und die Applikation von Arzneimitteln für Heimbewohner zu optimieren. Ziel des Projektes ist es, mit einer dosierteren Medikamentenverordnung nicht nur die Anzahl potenziell inadäquater Arzneimittel zu reduzieren, sondern damit auch Stürze zu vermeiden, die Hospitalisierungsrate zu senken und die Zahl dringlicher Hausarztbesuche zu verringern. Gut, dass auch Hausärzte in dem Projekt verankert sind.

Die passgenaue Medikation steht auch im Fokus eines Registers, das eine Reihe von Universitäten mit dem Wissenschaftlichen Institut der TK für die drei Krebsindikationen Multiples Myelom, sowie die metastasierenden Mammakarzinome und Prostatakarzinome etablieren wollen. Auch hier geht es nicht um hochtrabende neue wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern um neue versorgungs- und alltagsrelevante Daten etwa bezüglich einer sicheren und wirksamen Anwendung von Arzneien.

Die Uniklinik Hamburg-Eppendorf und das Helmholtz Zentrum München wollen künftig verstärkt die Lebensqualität ins Visier nehmen. So soll ein standardisiertes Instrument zur Lebensqualitätsmessung für Patienten nach Schlaganfall entwickelt werden. Und in München soll der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von COPD-Patienten auf den Grund gegangen werden, um in Zukunft die weiterhin umstrittenen Effekte von DMP-Programmen besser beurteilen zu können.

Ergebnisse müssen praxistauglich sein

Und schließlich soll in mehreren Projekten evaluiert werden, wie die Delegation und auch die Substitution ärztlicher Leistungen durch qualifizierte nicht-ärztliche Berufsgruppen gelingen kann. Erfolgreich können diese Forschungsansätze aber nur sein, wenn die folgenden drei Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Die Ergebnisse werden nur dann einen Nutzwert für Hausärzte und Patienten haben, wenn sie auch praxistauglich sind.
  • Sie werden nur dann praxistauglich sein, wenn Hausärzte und andere Berufsgruppen an der Versorgungsbasis nicht nur als schmückendes Beiwerk mitlaufen, sondern aktiv und gleichberechtigt mitwirken.
  • Die Mitwirkung wird sich aber nur dann auszahlen, wenn die Modelle, die zu positiven Effekten geführt haben, dann auch auf breiter Ebene eingesetzt oder gar in die Regelversorgung überführt werden.

Genau daran hat es bisher – etwa bei der Delegation oder auch bei der Medikation – stets gehapert. Daher wäre es längst überfällig, wenn neue Erkenntnisse auch endlich einmal zu praktischem Handeln führen würden. Oder anders ausgedrückt: Versorgungsforschung um der Versorgung und nicht nur um der Forschung willen, das wünscht sich ganz ohne Euphorie

Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (4) Seite 36
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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