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Notaufnahmen beschränken, Portalpraxen erweitern

Gesundheitspolitik Autor: Petra Spielberg

Die Reform der Notfallversorgung wird zum Prüfstein für Politik und Ärzteschaft.
Die Reform der Notfallversorgung wird zum Prüfstein für Politik und Ärzteschaft. © Fotolia/M.Dörr & M.Frommherz
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Für die alte und neue Bundesregierung genießt die Reform der Notfallversorgung höchste Priorität. Allerdings scheiden sich die Geister über den besten Lösungsweg.

Seit Ende August 2016 läuft am Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) ein Pilotprojekt für eine Portalpraxis zur Versorgung von Notfallpatienten. Die Entscheidung fiel gemeinsam mit der Kassenärzt­lichen Vereinigung Berlin. Seither versorgen Vertragsärzte außerhalb der regulären Sprechstundenzeiten an Wochenenden und Feiertagen in den Praxisräumen des ukb Patienten, bei denen keine Dringlichkeit für eine Behandlung besteht. Bei Bedarf können die Ärzte auf die Diagnostik des ukb zurückgreifen. Akute Notfälle wiederum werden direkt von den Spezialisten der Klinik versorgt.

„Diese Regelung ist für alle Patienten ein Gewinn. Patienten ohne Dringlichkeit werden in der Regel früher als bisher untersucht, weil sie nicht warten müssen, bis die akuten Notfälle versorgt wurden“, so Prof. Dr. Axel Ekkernkamp, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des ukb. Das Klinikpersonal könne sich dagegen intensiver als bisher um die Schwerkranken und Schwerverletzten kümmern.

Das Pilotprojekt soll dazu beitragen, die Rettungsstellen zu entlasten und die ambulante Behandlung sektorenübergreifend zu stärken. Das Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) sieht seit 2016 eine solche Option ausdrücklich vor.

Berlin ist ein Beispiel für Modelle, die eine räumlich integrierte Notfallversorgung erproben, um die chronische Überlastung der Strukturen zu stoppen (s. Kasten). Pro Jahr suchen nach Angaben der Bundesärztekammer (BÄK) etwa 25 Millionen Patienten die Notfallambulanzen der Krankenhäuser auf. Das sind doppelt so viele wie im Jahr 2005. Die jährlichen Steigerungsraten betragen 4 bis 5 %. Ein Großteil der Patienten könnte in den Praxen behandelt werden.

G-BA schlägt eine gestufte Notfallversorgung vor

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) schlägt für eine Reform eine gestufte Notfallversorgung vor – mit Mindestvorgaben für die beteiligten Krankenhäuser zu Art und Anzahl von Fachabteilungen, zu Anzahl und Qualifikation des Fachpersonals sowie zum zeitlichen Umfang der Notfallleistungen. Die Regelungen sollen auch als Berechnungsgrundlage für Zu- und Abschläge in der Krankenhausfinanzierung dienen.

Das vom G-BA erstellte Konzept sieht z.B. vor, dass Kliniken, deren Intensivstationen über weniger als sechs Beatmungsgeräte verfügen, künftig nicht mehr an der Notfallversorgung teilnehmen dürfen. Gleiches gilt für Einrichtungen ohne zentrale Notaufnahme oder Computertomografen, die nicht rund um die Uhr verfügbar sind.

Die ärztliche Selbstverwaltung kritisiert die Pläne. BÄK-Präsident Dr. Frank-Ulrich Montgomery hält das Konzept für unausgegoren, einseitig und nicht praxistauglich. Er vermisst eine seriöse Folgenabschätzung und fordert eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Selbstverwaltung, um einen Abbau von Versorgungskapazitäten zu verhindern. Der G-BA-Vorsitzende Professor Josef Hecken wiederum wirft der BÄK Verzögerungstaktik vor.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fürchtet ebenfalls, dass es innerhalb der Kliniklandschaft zu einem Kahlschlag vor allem zulasten kleinerer Einrichtungen kommen könne, sollten die Reformpläne des G-BA Wirklichkeit werden. „Auf Kante genähte Krankenhauskapazitäten kann niemand ernsthaft wollen“, so Geschäftsführer Gerhard Baum. Derzeit nehmen 1785 Hospitäler an der Notfallversorgung teil. Der Chef der KBV, Dr. Andreas­ Gassen, wirbt für mehr Kooperation von niedergelassenen und Klinikärzten. Er fordert auch eine extrabudgetäre Finanzierung der Notfallversorgung. „Wenn man hier den großen Wurf bekommen will, dann wird das nicht im Korsett einer Gesamtbudgetierung funktionieren.“ Einig sind sich Vertrags- und Klinikärzte, dass Integrierte Notfallzentren die Bereitschaftsdienstpraxen ersetzen sollen.

116117 und 112 sollten zusammengeschaltet werden

„Die Politik ist aufgefordert, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Rufnummer des vertragsärztlichen Notdienstes 116117 mit der Notfallnummer 112 zusammengeschaltet und auch tags­über erreicht werden kann“, sagt Dr. Susanne­ Johna, Bundesvorstandsmitglied des Marburger Bundes.

Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung des Gesundheitswesens spricht sich für eine Zusammenlegung der Telefonnummern aus. Über die Standorte für die Integrierten Notfallzentren sollten die Länder entscheiden.

Für Dr. Johna ist die Reform der Notfallversorgung zudem ein Prüfstein zur Überwindung der Sektorengrenzen: „Krankenhäuser und KVen sollten sich nicht als Konkurrenten bergreifen, sondern als Mitgestalter der künftigen Versorgung aus einer Hand.“

Gesetzesantrag im Bundesrat

Anfang März hat das Land Schleswig-Holstein einen Gesetzesantrag zur Verbesserung der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit im ärztlichen Notdienst mittels weiterentwick­elter Portalpraxen im Bundesrat eingebracht. Seit 2007 betreibt die KV des Landes 33 Portalpraxen außerhalb der regulären Sprechstundenzeiten in oder in der Nähe von Krankenhäusern. Die Leistungen erbringen niedergelassene Ärzte im Bereitschaftsdienst. Da eine Öffnung auch zu regulären Praxissprechzeiten nicht erlaubt ist, landen viele Patienten mit akutem, aber nicht lebensbedrohlichem Behandlungsbedarf weiterhin in den stationären Notaufnahmen. Schleswig-Holstein fordert daher, in Ausnahmefällen eine ambulante Versorgung in den gemeinsamen Anlaufstellen auch während der Sprechstundenzeiten zu ermöglichen, um die Notaufnahmen zu entlasten. Derart weiterentwickelte Portalpraxen würden den vom Sachverständigenrat fürs Gesundheitswesen vorgeschlagenen integrierten Notfallzentren entsprechen.
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