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Kommentar Nüchtern betrachtet

Aus der Redaktion Autor: Kathrin Strobel

© MT
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Das Glas Sekt zum Frühstück, der Verdauungsschnaps nach dem Essen: Über solche Bräuche hat sich lange kaum jemand gewundert. Doch die Zeiten ändern sich – und das ist gut so. Ein Kommentar.

Vergangenes Wochenende in einer Mannheimer Bar: Ich war den relativ langen Weg mit dem Auto gekommen und hatte Lust auf einen gut gemachten Cocktail – ohne Alkohol. Gibt es das? Das gibt es! In diesem Fall war es ein „Sober Sour“, den ich bestellte. Die Basis: ein alkoholfreier Gin. Sauer, süffig, erfrischend. Es standen noch weitere Optionen auf der Karte. Und so ist es nicht nur dort, sondern inzwischen in fast jeder gut aufgestellten Cocktailbar. „Etwas trinken gehen“ bedeutet 2023 nicht mehr zwingend „Alkohol trinken“. Eine Entwicklung, die es sich lohnt, zu kommentieren!

Als mich vor zehn Jahren das Epstein-Barr-Virus erwischte, entwickelte ich eine Begleithepatitis. Auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus signalisierte mir meine Leber noch lange Zeit sehr deutlich: Alkohol ist ein Gift, auf das ich eine ganze Weile verzichten möchte. Und so kam es, dass ich etwa ein Jahr lang keinen Tropfen Alkohol trank. Die Leber hätte mir bereits nach ein paar Wochen wieder das Go gegeben – aber ich wollte einfach nicht. Großen Anteil daran hatte die Tatsache, dass es immer wieder zu kritischen und verständnislosen Rückfragen kam, wenn ich etwas Alkoholfreies bestellte. Damals, mit Mitte zwanzig, nervte mich das so kolossal, dass ich allein schon aus Trotz damit weitermachte. 

Mir wurde in dieser Zeit nahezu täglich vor Augen geführt, wie tief Alkohol in unserer Kultur verankert ist. Kein festlicher Empfang ohne Sekt, keine Weißwurst ohne Weißbier (das gilt zumindest in meiner Heimat), kein hochpreisiges Menü ohne die passende Weinbegleitung (wohlgemerkt pro Gang!). Wer nicht trinken will, kann oder sollte, kam lange Zeit regelrecht in Erklärungsnot. Das Default-Setting war ein Drink in der Hand. Davon abzuweichen, erforderte fast schon Mut – und die Auswahl an adäquaten Alternativen zum Standard erwies sich meist als mau.

Seit 2013 hat sich glücklicherweise einiges getan. Das merke ich in der Cocktailbar. Das belegen aber auch Zahlen. Bereits seit einiger Zeit erreicht der von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung jährlich mittels Befragung erfasste Alkoholkonsum unter jungen Leuten bis 25 Jahre regelmäßig neue Tiefstände. Ich wünsche mir, dass dieser Trend so weitergeht. Und dass die Liste der alkoholfreien Cocktails in den Bars noch länger wird. Prost!

Kommentar von Kathrin Strobel
Redakteurin Medizin

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