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Arzneimittelmarkt „Rekordpreise und Rekordgewinne“

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Die Gewinnmargen liegen im Schnitt bei einem Viertel des Umsatzes. Die Gewinnmargen liegen im Schnitt bei einem Viertel des Umsatzes. © iStock/czarny_bez
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Der AOK-Bundesverband schlägt Alarm: Die Arzneimittelpreise wachsen vor allem bei Innovationen rasant und dementsprechend auch die GKV-Ausgaben. Die AOK hofft, dass die nächste Bundesregierung hier bremsend eingreifen wird.

„Wir brauchen schnell Verbesserungen“, sagt der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP. Die Dringlichkeit macht er am „Arzneimittel-Kompass 2021“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) fest. Demnach ist der Arzneiumsatz 2020 gegenüber dem Vorjahr um 4,9 % auf 49,2 Mrd. Euro gestiegen.

Der Durchschnittspreis einer Arzneimittelpackung bei Markteinführung hat sich in den letzten Jahren auf das 57-Fache erhöht: Betrug er im Jahr 2011 für ein Medikament, das in den vorangegangenen 36 Monaten auf den Markt kam, 902 Euro, wurden im August 2021 schon 51.189 Euro notiert. Der aktuelle Spitzenplatz wird laut WIdO von ­Libmeldy® mit einem Listenpreis von knapp 2,9 Mio. Euro belegt, einem Medikament zur Behandlung einer seltenen Erbkrankheit bei Kindern. Auf Platz 2 liegt die Gentherapie Zolgensma® gegen spinale Muskelatrophie mit knapp 2 Mio. Euro. Der Trend wird weiter nach oben gehen, ist das WIdO überzeugt.

Jeder zweite Euro für patentgeschützte Präparate

WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder spricht von einem „in Teilen entfesselten Arzneimittelmarkt der Rekordpreise und Rekordgewinne, in dem der tatsächliche Nutzen sowie die Sicherheit der Patientinnen und Patienten nicht ausreichend berücksichtigt werden“.

Die GKV wendete im vergangenen Jahr 24,2 Mrd. Euro für patentgeschützte Medikamente auf. Jeder zweite Euro der Arzneimittelkosten entfällt auf diesen Bereich. Zugleich sank die Verordnungsmenge auf einen Anteil von 6 % (2011: 15 %). „Hochpreiser“ ab 1000 Euro Apothekenverkaufspreis haben laut Schröder sogar nur einen Anteil von 1,1 % an allen 684 Millionen Verordnungen des Jahres 2020.

Im Gegensatz zu anderen Ländern in der EU stehen neue Medikamente in Deutschland Patienten ab dem Tag der Zulassung zur Verfügung. Nutzenbewertung und Festlegung des Erstattungspreises erfolgen erst später. Insgesamt 2,02 Mrd. Euro hätte die GKV laut Arzneimittel-Kompass in den Jahren 2011 bis 2020 einsparen können, wenn die zwischen GKV-Spitzenverband und Herstellern vereinbarten Erstattungsbeträge bereits ab der Markteinführung bzw. Zulassungserweiterung gültig gewesen wären.

Litsch bekräftigt deshalb eine schon länger geäußerte Forderung der AOK: die Einführung eines Interimspreises in Kombination mit einem rückwirkenden Erstattungsbetrag. Damit könne die Marktmacht der pharmazeutischen Hersteller im ersten Jahr bei den Preisen für neu eingeführte Arzneimittel gestoppt werden. Werde beim Marktzugang eines neuen Arzneimittels ein Übergangspreis festgelegt, der so lange gelte, bis er durch den ausgehandelten Erstattungsbetrag rückwirkend ersetzt werde, könne „der alte Webfehler des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes endlich behoben werden“, so Litsch.

Auch ein Anheben des Herstellerabschlags für patentgeschützte Arzneimittel von 7 auf 16 % könne den Kassen eine Atempause auf dem Arzneimittelmarkt verschaffen.

Gewinnmargen von im Schnitt einem Viertel des Umsatzes

Schröder berichtet von Gewinnmargen (vor Zinsen und Steuern) von durchschnittlich 25,7 % des Umsatzes – bezogen auf die 21 weltweit umsatzstärksten Unternehmen. Diese vereinten im vergangenen Jahr 53 % der Nettoumsätze des GKV-Gesamtmarktes auf sich.

BioNTech sei zweifelsfrei ein Innovator bei der Erforschung eines Impfstoffes gegen COVID-19. Aber seien prognostizierte Gewinnmargen von 70 % in 2020 und 2021 angesichts knapper Kassen, öffentlicher Investitionen und weltweit ungenügender Verfügbarkeit des Impfstoffes wirklich gerechtfertigt?, fragt der WIdO-Geschäftsführer.

Quelle: Pressekonferenz des AOK-Bundesverbandes

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