Arzneimittelpreise Sachverständigenrat fordert, Preise an den Mehrwert für Patient:innen zu koppeln

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Innovative Arzneimittel sind sehr teuer, der Sachverständigenrat fordert deshalb eine dringende Preisreform.
Innovative Arzneimittel sind sehr teuer, der Sachverständigenrat fordert deshalb eine dringende Preisreform. © pla2na – stock.adobe.com

Innovative Arzneimittel sind oft extrem teuer. Zwei Millionen Euro werden z. B. bei Gentherapien überschritten. Kann unser Gesundheitssystem diesen Belastungen auf Dauer Stand halten? Der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege meint nein und rät der Politik dringend eine Änderung in der Preisfestsetzung.

Mit Kosten jenseits von zwei Millionen Euro gelten die Gentherapien Zolgensma, Libmeldy und Hemgenix als die teuersten Arzneimittel weltweit. Aber auch andere, häufig genutzte Medikamente dringen bis in die 100.000-Euro-Region bei Preisen vor. Darauf verweist das Nachrichtenportal Apotheke adhoc anlässlich der Vorstellung des Gutachtens des Sachverständigenrates Gesundheit und Pflege zu Preisen innovativer Arzneimittel in Deutschland. Der Branchendienst listet eine große Zahl an teuren Medikamenten auf, unterteilt in Preiskategorien 100.000, 90.000, 80.000 Euro etc. Sie betreffen überwiegend Injektions- oder Infusionslösungen, aber auch Kapseln, Tabletten und Augentropfen finden sich darunter. 

Preisanstieg von 1.000 auf 50.000 Euro pro Innovation

Die hohen Preise für innovative verschreibungspflichtige Medikamente bringen die gesetzlichen Krankenkassen an ihre Belastungsgrenze. Allein 2024 sind die Arzneimittelausgaben der Kassen um 10 % gegenüber Vorjahr gestiegen. Laut Ratsmitglied Leonie Sundmacher lag der durchschnittliche Preis eines neu eingeführten patentgeschützten Arzneimittels vor 15 Jahren bei rund 1.000 Euro, zuletzt schwankte er um 50.000 Euro. „Vor diesem Hintergrund stellen wir mit unserem aktuellen Gutachten die Preisbildung für innovative Arzneimittel auf den Prüfstand“, sagt die Professorin für Gesundheitsökonomie an der TU München. 

„Dem hohen Aufwand an Personal- und Sachkosten steht kein entsprechend überdurchschnittliches  Ergebnis an Lebenserwartung oder  Lebensqualität gegenüber“, heißt es in dem in der Bundespressekonferenz vorgestellten und an Bundesgesundheitsministerin Nina Warken überreichten Gutachten. Die Autor:innen gehen von einem ineffizienten Einsatz der naturgemäß endlichen Ressourcen aus. Sie legen deshalb nahe, den Arzneimittelpreis stärker an den patientenrelevanten Mehrwert zu koppeln. Höhere Preise seien nur für Arzneimittel mit echtem Zusatznutzen gerechtfertigt. Deutschland zeichne sich im internationalen Vergleich durch eine hohe Verfügbarkeit und zügige Erstattungsfähigkeit neuer Arzneimittel aus. Allerdings werde dieser rasche und umfängliche Zugang zu pharmazeutischen Innovationen teuer erkauft.

Empfohlen wird konkret die Einführung eines extern festgelegten Interimspreises, dessen Höhe sich – bis auf begründete Ausnahmen – an der wirtschaftlichsten Alternative der festgelegten zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) orientiert. Der  weiterhin vom pharmazeutischen Unternehmen (pU) frei wählbare  Initialpreis sollte bis zum Abschluss  der Preisverhandlungen durch einen verpflichtenden Rabatt auf die Höhe dieses Interimspreises gesenkt werden. Nach den Preisverhandlungen ist die Differenz zwischen dem vorläufigen Interimspreis und dem letztendlich vereinbarten Erstattungsbetrag auszugleichen. 

Dieser Vorschlag bedeutet eine radikale Abkehr vom bisherigen System, das einen Hersteller in den ersten sechs Monaten nach Marktzulassung den Preis selbst bestimmen und von den Kassen bezahlen lässt. Erst danach folgen die Überprüfung des Zusatznutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und eine Preisanpassung. 

Wohlfahrtsverluste durch Monopolpreise vermeiden

Mit dem neuen System sollen Wohlfahrtsverluste durch Monopolpreise vermieden und gleichzeitig Innovationsanreize erhalten bleiben. Vorgeschlagen wird zugleich ein „Lernen des Gesundheitssystems“, bei dem, wie das Ratsmitglied Prof. Nils Gutacker erläutert, neue Erkenntnisse über den Nutzen eines alten Medikaments nach Markteinführung und aus der klinischen Praxis heraus systematisch gesammelt werden und für Preis-Nachverhandlungen genutzt werden. 

Im Prinzip gehe das jetzt schon. Es werde nur nicht immer konsequent gemacht – und wenn, dann oftmals auf Drängen der Hersteller, ergänzt der Professor für Health Economics, University of York, UK. Die Solidargemeinschaft werde nicht oft genug selbst aktiv, um zu prüfen, ob der Preis eines Arzneimittels gerechtfertigt erscheint – dabei müsse sie aber auch das Recht haben, sich selbstständig zu vergewissern, dass das Medikament hält, was es verspricht: „Hierzu bedarf es manchmal auch industrieunabhängiger Studien und es muss dem G-BA erlaubt werden, solche auch in Auftrag zu geben und zu finanzieren.“

Gesetzliche Krankenkassen loben die SVR-Vorschläge. „Wir brauchen Innovationen und Fortschritt bei Arzneimitteln. Das darf jedoch kein Freifahrtschein für unbegrenzte Preisforderungen sein“, so der Kommentar von Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbandes. Eine stärkere Transparenz und Kopplung der Preise an den belegten Zusatznutzen würden gerade bei den hochpreisigen Arzneimitteln – etwa im Bereich der Gen- und Zelltherapien – gebraucht. 

Klemm sieht das Gutachten zugleich als eine Absage an industriepolitisch motivierte Preisprivilegien zulasten der GKV: „Die Förderung des Wirtschaftsstandortes ist nicht Aufgabe der GKV.“ Das Gutachten sollte Basis der kommenden politischen Diskussionen im Rahmen des Pharma-Dialogs sein, meint Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. 

Welche Auswirkungen eventuelle Neuregelungen für die Pharmabranche hätten, ist unklar. Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) lobt das bisherige AMNOG-Verfahren. Die Häufigkeit der Erkrankungen, die mit neuen Arzneimitteln behandelt werden, war demnach zuletzt um 97 % geringer als noch vor 15 Jahren, zugleich sind die Behandlungsintervalle länger. „In einigen Fällen, so bei Gentherapien, handelt es sich sogar um hochinnovative Einmalanwendungen“, so der vfa. Irritierend in den Debatten sei die isolierte Fokussierung auf die Packungspreise neuartiger Therapien – „als wären wir in der Zeit vor zwei Jahrzehnten stehen geblieben“. 

Quelle:
Bundespressekonferenz