Anzeige

Kommentar Schuldfragen gefährden Solidarprinzip

Aus der Redaktion Autor: Isabel Aulehla

© MT
Anzeige

Wer ungeimpft mit COVID-19 auf der Intensivstation liegt, sollte einen Teil der Kosten selbst tragen, meint der Präsident des Bundessozialgerichts. Er beginnt damit eine polemische Debatte. Ein Kommentar.

Sollten ungeimpfte COVID-19-Patienten, die mit schwerem Verlauf auf der Intensivstation landen, an den Kosten der Behandlung beteiligt werden? 

Rainer Schlegel, der Präsident des Bundessozialgerichts, meinte kürzlich, er halte das für zulässig. Zwischen 60.000 und 200.000 Euro zahle das Gesundheitssystem für die intensivmedizinische Betreuung solcher Fälle, gibt er zu bedenken. Solidarität sei schließlich keine Einbahnstraße. 

Was er damit wohl sagen möchte: Personen, die sich unsolidarisch verhalten, indem sie sich nicht impfen lassen, sollen auch keine finanzielle Solidarität erwarten, wenn sie selbst erkranken. Auf den ersten Blick ist es verlockend zuzustimmen. Die Diskussion ist beispielsweise von Fallschirmspringern bekannt: Wer sich bewusst völlig erwartbaren Gefahren aussetzt, der soll bitte auch selbst zahlen, wenn sie eintreten, oder?

Ansatzweise findet sich solches Denken sogar in der Gesetzgebung. So werden Versicherte, bei denen nach medizinisch nicht indizierten Maßnahmen wie Tätowierungen, Piercings oder Schönheits-OPs Komplikationen auftreten, „in angemessener Höhe“ an den Kosten beteiligt. Also scheint es folgerichtig, Menschen, die eine medizinisch empfohlene Impfung unterlassen, ebenfalls zur Kasse zu bitten, wenn sie erkranken. 

Denkt man Schlegels Idee jedoch weiter, müsste bei jedem behandlungsbedüftigen Leiden abgewogen werden, ob die betreffende Person das Risiko nicht hätte reduzieren können. Menschen mit Diabetes oder kardiovaskulären Erkrankungen müssten sich vorwerfen lassen, sie hätten sich gesünder ernähren oder mehr Sport treiben können. Auch Krebspatienten, die ihre Vorsorgetermine nicht wahrgenommen haben, müssten ihre Behandlung dann zu Teilen selbst bezahlen. Glücklicherweise stehen solche Modelle aber sozial­politisch bislang nicht zur Debatte. 

Auch wenn der BSG-Präsident es sicherlich nicht beabsichtigt hat, mutet es polemisch an, danach zu fragen, wer der Solidargemeinschaft mit welcher Berechtigung auf der Tasche liegt. Solche Debatten führen nicht nur zu Missgunst und Unzufriedenheit mit dem Sozialstaat. Sie verschlimmern auch die ohnehin schon vorherrschende Spaltung der Gesellschaft in Impfbefürworter und Impfverweigerer.

Isabel Aulehla
Redaktion Gesundheitspolitik

Anzeige