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Telemedizin ja, aber bitte menschlich bleiben

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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Die Telemedizin verspricht eine neue, schöne Welt der Effizienz und Kostenersparnis. Doch kann ein Computer Menschen aus Fleisch und Blut ersetzen?

Gerade habe ich in einer Fachzeitung über die gesundheitspolitisch relevanten Aspekte gelesen, die im neuen Koalitionsvertrag festgeschrieben wurden. Beeindruckt hat mich die Absichtserklärung, die sogenannte Telemedizin finanziell besonders fördern zu wollen.


Nun, Telemedizin ist ja ein weiter Begriff: In einem Prospekt für eine Anleihe im Online-Healthcare-Bereich wird ein joggender Endzwanziger am weißen Sandstrand gezeigt, der mit glücklichem Lächeln ein Gerät betrachtet, das an seinem Oberarm befestigt ist – einschließlich Bildschirm in Oberarmgröße. Daneben das Foto eines weiß gekleideten, vermutlich ebenso sportlichen Mannes um die vierzig, der telefoniert. Und auf seinem supersauber spiegelnden, weißen Schreibtisch stehen nur ein Bildschirm und ein Telefon (ihh, mit Schnur!), darauf ringelt sich auch noch dekorativ ein Stethoskop. Der Hintergrund ist unscharf.

»Gerade die Älteren suchen das Gespräch mit dem Arzt«

Zumindest von den Farben her wird suggeriert, dass sich der telefonierende Kollege ebenfalls am Strand befindet. „Der Telemedizin gehört die Zukunft!“ steht unter dieser Werbekampagne. Und, dass „mittels Telemedizin die älter werdende Bevölkerung bei geringer werdenden Mitteln adäquat versorgt werden kann“. Wie? Ist das etwa mit Telemedizin gemeint?


Natürlich leuchtet es mir ein, dass eine schnelle Übermittlung von Röntgen- oder CT-Bildern, die auch heute noch manchmal mit der Post versandt werden, von Vorteil ist, zumal wenn in Notfällen oder bei Intensivbehandlungen Eile geboten ist und der Befund mit einem Spezialisten am anderen Ende der Republik oder gar in einem anderen Land diskutiert werden soll.


Auch die kontinuierliche Aufzeichnung eines EKGs in bestimmten Schrittmachertypen, also ein Dauer-Event-Recorder, ist für die Diagnostik und Therapie nützlich. Der Ladestatus der Batterie und die Funktionsfähigkeit der Elektroden lassen sich dabei gleich mit überprüfen. Und die Rate von Todesfällen konnte so reduziert werden. Hier erscheinen technische Weiterentwicklungen und Telemedizin sinnvoll.


Jedoch: Wenn zum Beispiel die Blutdruckwerte kontinuierlich per App an eine Zentrale übermittelt oder über ein zugeschaltetes Handy nachts die Dauer-EKGs in die Defibrillator-Ambulanz übertragen werden, ist das zwar technisch eindrucksvoll, aber ohne eine Fachkraft, die die eingehenden Werte überwacht und den Einzelfall klinisch bewertet, ziemlich sinnlos.


Und da haben wir es schon wieder: Man braucht Personal! Ärzte und Pflegekräfte, die diese Arbeit übernehmen, mit den Patienten Kontakt aufnehmen, sie beraten und gegebenenfalls einbestellen. Oder gleich den Notarzt vorbeischicken! Man denke nur an den Diabetiker im hypoglykämischen Koma oder den Hypertoniker mit Apoplex. Gut, vielleicht wird weniger Personal benötigt, vielleicht können die Dienstbezirke noch größer werden auf dem Land, aber so ganz ohne die ach so kostenintensiven Fachleute geht es halt doch nicht.

»Heilende Hände ersetzt kein Computer«


Und was bei all diesen technischen Segnungen das völlig Unverständliche ist: Erfahrungsgemäß wollen doch gerade die meisten dieser Patienten – eben ältere Menschen mit Diabetes, Herzinsuffizienz oder Hypertonie – das persönliche Beratungsgespräch! Sie wollen einem Menschen aus Fleisch und Blut gegenübersitzen und mit ihm oder ihr die körperlichen Beschwerden und auch die Alltagsprobleme besprechen.


Sie wollen persönlich und nicht am Telefon oder im Internet darauf vorbereitet werden, wie sich das anfühlt, wenn der implantierte Defi auslöst, und was sie tun können, um ein hypoglykämisches Koma zu vermeiden. Ja, und viele Patienten wollen körperlich berührt werden von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin, auch wenn es manchmal nur ein Händeschütteln ist. Sie wollen – kaum traue ich mich, es zu schreiben – eine möglichst vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung! Und das ist ja nun einmal unsere hausärztliche Domäne.


Über „heilende Hände“ und „Energieübertragung“ mittels elektromagnetischer Wellen, die alle auch technisch nachweisbar sein sollen, wird immer wieder geschrieben. Die Abgrenzung zur Esoterik erscheint mir oft schwierig, die Abgrenzung zur Telemedizin aber gar nicht so sehr. Ich sehe es jedenfalls so: Wir brauchen unsere fünf Sinne für die Diagnostik, unseren sechsten Sinn als Spürsinn und unseren Verstand für das Zusammenführen aller erhobenen Befunde (Telemedizin eingeschlossen). Und darüber hinaus sind bei der Therapie „heilende“ Worte, „heilende“ Blicke, „heilende“ Berührungen, ja, vielleicht sogar „heilende“ Gedanken immer noch fundamental.


Denn: „Was unserem Leben Sinn gibt, ist Zugehörigkeit.“ (David Steindl-Rast)

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