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Über graue und weiße Scheidungen

Autor: Dr. Jörg Vogel

Schneckentempo in der Lieferkette: In der Hausarztpraxis unseres Kolumnisten treffen aktuell sechs Dosen auf 400 wartende Impflinge. Schneckentempo in der Lieferkette: In der Hausarztpraxis unseres Kolumnisten treffen aktuell sechs Dosen auf 400 wartende Impflinge. © Maria – stock.adobe.com; MT
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Melinda und Bill Gates lassen sich scheiden! Und auch unser Kolumnist denkt über eine Scheidung nach: von unserem Gesundheitssystem. Er schämt sich für den Impfstoffmangel.

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Nach mehr als siebenundzwanzig Jahren Ehe lassen sich Melinda und Bill Gates scheiden. Gemäß ihrer Haarfarbe auch „graue Scheidung“ genannt. Über das Warum darf man rätseln. Am Geld kann es auf jeden Fall nicht liegen. Denn Bill Gates zählt mit einem geschätzten Vermögen von 120 Milliarden Dollar nun nicht gerade zu den Ärmsten dieser Welt. Im Gegenteil. Die Pandemie ist ihm bekommen wie eine Badekur. Microsoft hat Umsatz und Gewinn im Zeitraum der Pandemie um 19 % bzw. 31 % gesteigert. Es bedurfte anscheinend dieser Krise, um die zwischenmenschliche und geschäftliche Kommunikation der Menschen endgültig in die Wolken des Internets zu verlagern.

Jedenfalls denke auch ich immer häufiger an eine Scheidung. Nicht von meiner Frau, sondern vom deutschen Gesundheitswesen und seinen „Würdenträgern“. Und zwar meis­tens am Freitag, wenn ich die Zahl der COVID-19-Impfdosen erfahre, die unsere Praxis erhält. Seit einigen Wochen sind es neben den fälligen Zweitimpfungen ganze sechs! Nein, nicht Vials – Impfdosen! Von BioNTech. Die angekündigte AstraZeneca-Lieferung wird immer wieder verschoben. Und die Patienten immer wieder umbestellt. Mehrmals pro Woche! Und Johnson & Johnson kam hier noch gar nicht an.

Sechs Impfdosen für eine Warteliste von ca. 400 Patienten. Ich schäme mich regelrecht für diesen Zustand. Und die Menschen glauben uns diesen Mangel nicht. Suggerieren ihnen doch tagtäglich unsere Politiker, dass es vorangeht. Insbesondere auch der Landesvater von Brandenburg und sein Innenminister. Letzterer hat sogar eine Impf-Taskforce gegründet – etwas, was Politiker gerne tun, um kompetenten Aktionismus vorzutäuschen. Nur änderte das leider gar nichts angesichts des „immer noch recht knappen Impfstoffs“.

Seit Wochen stehen in der Praxis die Telefone nicht mehr still. Bereits schon vor dem Ende der Priorisierung. Die Helferinnen werden bedrängt, beschimpft und genötigt. Es kommen sogar Leute in die Praxis, um „endlich einmal Klartext zu reden!“. Oder es wechseln langjährige Patienten zu Kollegen, in der Hoffnung, dass „man dort nicht so langsam ist“.

Ich selbst arbeite inzwischen zwei Mal in der Woche nach Feierabend und am Wochenende in verschiedenen Impfzentren mit. Nicht nur, weil es ordentlich bezahlt wird. Auch wegen des Gefühls, etwas tun zu können, damit diese blöde Pandemie zu ihrem Ende kommt.

Dort trifft man dann viele Kollegen, denen es genauso geht. Einige haben das Impfen gegen COVID-19 in ihren Praxen sogar ganz aufgegeben. Sie und ihre Helferinnen halten dieses Klima der Wut und der Vorwürfe nicht mehr aus. Sie haben also eine Art „weiße“ Scheidung von dieser Gesundheitspolitik vollzogen (gemäß ihrer Kittelfarbe). Genau wie andere Kollegen hier, die jetzt vorzeitig in den Ruhestand gehen. Auch wegen der ab Juli drohenden Digitalisierung unseres Praxisalltags, die wie eine Schlechtwetterfront immer näher rückt. Man versuche nur einmal, bis dahin den geforderten digitalen Arztausweis zu beantragen ...

Einige finden nicht einmal einen Nachfolger für ihre Praxis. Somit entgeht ihnen das traditionelle „Altersruhegeld“ durch den Verkauf ihrer Praxis nebst Goodwill. An eine Art von Abfindung ist also bei uns niedergelassenen Ärzten nicht zu denken. Trotz des über dreißig Jahre währenden treuen Dienstes an Patienten und Krankenkassen.

Bei Melinda Gates wird das wohl etwas anders aussehen. Das frisch getrennte Paar strebt offenbar eine Aufteilung des Vermögens an. Da dürften locker 50 Milliarden Dollar rausspringen. Obwohl, was sind heute noch 50 Milliarden Dollar! Dafür bekommt man gerade mal 25 Milliarden Tassen Kaffee. Und da hat man noch nicht einmal ein Stück Kuchen dabei!

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