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Apotheken mit ärztlicher Leistung „Unklug, das Potenzial nicht zu nutzen“

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Impfungen gegen Grippe und COVID-19 können auch von Apotheker:innen durchgeführt werden. Impfungen gegen Grippe und COVID-19 können auch von Apotheker:innen durchgeführt werden. © dusanpetkovic1 – stock.adobe.com
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Apothekenkunden können seit einiger Zeit von pharmazeutischen Dienstleistungen profitieren. Doch die Leistungen werden nur verhalten angeboten und angenommen. Irritiert sind die Pharmazeuten über die ablehnende Haltung der Ärzteschaft.

Apotheker dürfen seit Herbst 2022 gegen Grippe impfen. Impfungen gegen COVID-19 als Regelversorgung sollen hinzukommen, sobald der Vertrag zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apotheker Verband (DAV) vereinbart ist (das Schieds­amt ist angerufen). Geplant war ab Ostern. Und auch pharmazeutische Dienstleistungen (pDL), verankert im Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz, stehen Patienten nach und nach zur Verfügung. Patienten haben Anspruch auf folgende pDL:

  • Standardisierte Risikoerfassung – hoher Blutdruck (Vergütung für die Apotheke: 11,20 Euro)
  • Erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Üben der Inhalationstechnik (Vergütung: 20 Euro)
  • Erweiterte Medikationsberatung – bei Polymedikation (Vergütung 90 Euro)
  • Pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten sowie bei bei oraler Antitumortherapie (je 90 Euro plus 17,55 Euro für das Follow-up-Gespräch)

Räumlichkeiten nicht für andere Zwecke verwendbar? 

Im Juni 2022 starteten die ersten Apotheken mit diesen pharmazeutischen Dienstleistungen. Im vierten  Quartal rechneten bereits 3.819 Apotheken, also knapp ein Viertel der Vor-Ort-Apotheken, pDL ab. Insgesamt wurden dafür 1,3 Millionen Euro ausgeschüttet. Etwa drei Viertel aller Apotheken könnten es laut ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening 2023 werden. 

Doch es stehen auch noch rechtliche Fragen im Raum, die manches Angebot ausbremsen. So irritiert beispielsweise die Vorgabe, dass pDL nur in den Betriebsräumen einer Apotheke erbracht werden dürfen. In einem DAV-Symposium monierten Apotheker die Regelung in § 35a Apothekenbetriebsordnung, nach der – wie auch beim Impfen –  die Räumlichkeiten geeignet sein müssen und für andere Zwecke nicht verwendbar sein dürfen. Umbaukos­ten von teilweise 10.000 bis 15.000 Euro müsse man zunächst einmal finanzieren, betont Martin Braun von der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. 

Was sind pDL?

  • Patienten, die ambulant ein orales Antitumortherapeutikum bzw. Immunsuppressivum neu verordnet bekommen, haben Anspruch auf eine „Erweiterte Medikationsberatung“. Bei Bedarf erfolgt nach zwei bis sechs Monaten ein Folgegespräch, um potenzielle Anwendungsprobleme, Probleme bei der Therapietreue oder Nebenwirkungen zu besprechen.

  • Patienten mit diagnostizierter Hypertonie können den Erfolg ihrer medikamentösen Blutdruckeinstellung standardisiert in der Apotheke einmal alle zwölf Monate und ggf. bei Änderung der antihypertensiven Therapie ab zwei Wochen nach Einlösen einer Neuverordnung kontrollieren lassen.

  • Erwachsenen und Kindern ab sechs Jahren wird angeboten, bei der Neuverordnung von inhalativen Arzneimittel bzw. bei jedem Device-Wechsel ihre Inhalationstechnik in der Apotheke zu üben. Sie haben den Anspruch, dies alle zwölf Monate zu wiederholen, wenn sie in den letzten zwölf Monaten keine Schulung in einer Arztpraxis oder anderen Apotheke erhalten haben und nicht im DMP Asthma/COPD eingeschrieben sind.

  • Patienten mit Polymedikation (ab fünf verordneten systemisch wirkenden Arzneimittel/Inhalativa in Dauermedikation) haben die Möglichkeit, alle 12 Monate oder bei erheblicher Umstellung ihre Gesamtmedikation, inklusive Selbstmedikation, pharmazeutisch prüfen zu lassen. Das beinhaltet z.B. Prüfungen auf Doppelmedikation, Interaktionen, Anwendungsprobleme und Therapietreue.

Quelle: ABDA

Der Satz in § 35a sollte deshalb präzisiert werden, fordert er. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit, Sabine Dittmar, stellt jedoch klar: „Es ist nie Absicht gewesen, dass Sie einen isolierten Raum, der wirklich dann auch nur zum Kompression­strumpfanmessen oder was immer verwendet werden kann, zur Verfügung stellen. Die Intention war schlicht und ergreifend, dass der Patient natürlich separiert ist von der Offizin-Apotheke.“ Die SPD-Politikerin versprach, sich mit der BMG-Fachabteilung den Paragrafen nochmals anzusehen. 

Denkbar ist, dass Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl ­Lauterbach (SPD) Mitte April direkt mit der gewünschten Nachbesserung konfrontiert wird. Denn dann – so lautet zumindest die Planung – stellt er sich den politischen Forderungen der Apotheken-Verbandsspitzen in Berlin. Vorwiegend dürfte es bei diesen Gesprächen allerdings um das „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“ gehen, denn der Engpass-Ausgleich bindet zurzeit sehr viele Kapazitäten der Apotheken.

Hausärzteverband sorgt sich um die Patientensicherheit

Geredet wird voraussichtlich auch über Geld. Die Apotheker fordern u.a. eine regelmäßige, für jede Betriebsstätte gleich hohe Pauschale zur Deckung der Flächenkosten. Sie möchten zudem größere Entscheidungsfreiheiten behalten, um eine schnelle Versorgung der Patienten zu ermöglichen. Fachapotheker Christian Richter erläutert die Forderungen in einem Bericht von seiner Apotheke in einem Ort mit 2.000 Einwohnern. Im Umkreis von 20 Kilometern gebe es keine weitere Apotheke. „Die Menschen finden vor Ort keinen Arzt, das Krankenhaus ist weit weg, wir sind die ersten Ansprechpartner.“ Wenn er nachts Notdienst mache, stehe das Telefon nicht still. Er berate oft über 30, 40 Kilometer Entfernung, etwa dazu, dass die Mutter dem fiebernden Kind Wadenwickel machen soll, wenn sie nicht zur Apotheke kommen kann. „Das sind alles Dinge, die wir leis­ten – unentgeltlich.“ Man werde zur Sicherung der Versorgung  nicht umhin kommen, die Kompetenz der Apotheke zu stärken sowie pDL und Impfangebote zu verstetigen.

Ein Ärgernis ist für viele Apotheker das Verhalten der Ärzteschaft. Missmut erzeugt z.B. die Klage der KV Hessen gegen den Schiedsspruch zur Vergütung der pDL, anhängig beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Die KV bringt vor: „Indem der Schiedsspruch den approbierten Apothekerinnen und Apothekern die Erbringung von Leistungen ermögliche, welche in bestimmten Fällen in das Arzt-Patienten-Verhältnis und damit die notwendige Therapieentscheidung des Arztes eingriffen, würden die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte an der Erbringung ärztlicher Leistungen überhaupt sowie an der Erbringung in geschuldeter Qualität gehindert.“

Bürokratie schreckt manchen Patienten ab

Die Bürokratie bei pharmazeutischen Dienstleistungen macht Patienten skeptisch. So haben sie sich nicht nur eine Aufklärung über die Leistung anzuhören, sie müssen auch dreimal unterschreiben: Dass sie in den letzten zwölf Monaten die jeweilige pDL noch nicht in Anspruch genommen haben, dass sie der Verwendung ihrer Daten zustimmen und dass sie die pDL jetzt erhalten haben. Der Unmut und die Skepsis bei der Stammkundschaft hinterließen ein ungutes Gefühl, „als würde man den Patient:innen etwas aufdrängen“, wird eine Apothekerin vom Nachrichtendienst Apotheke adhoc zitiert.

Der Hausärzteverband Hessen hatte sich 2022 in die Reihe der KV-Kritiker eingereiht. Die Apotheken seien „massiv in den hausärztlichen Leistungskatalog eingedrungen“, erklärte der Verbandsvorsitzende (und heutige KV-Vize) Martin Beck. Er warnte davor, dass von Apotheken angebotene Beratungen zur Arzneimittelsicherheit, Blutdruckkontrollen oder Asthmatiker-Schulungen die Behandlungsqualität gefährden. Schlimmstenfalls stehe die Patientensicherheit auf dem Spiel, denn Apotheker könnten Indikation und Kontraindikation im speziellen Fall gar nicht berücksichtigen, da ihnen viele Informationen zu Vorerkrankungen und Laborwerten fehlten. 

Ausweitung auf weitere Impfungen ist denkbar

„Es wäre hilfreich, wenn Ärzteschaft und Apothekerschaft nicht gegeneinander arbeiten, sondern sich ergänzen würden“, mahnt Ursula Funke, Vizepräsidentin der Bundesapothekerkammer. „Jeder kann seine Profession, aber der Patient braucht beides.“ Beck bittet Dittmar, sie solle als Ärztin die Kollegen diesbezüglich aufrütteln. Dittmar sieht das Problem allerdings nicht an der Basis, hier würden Ärzte und Apotheker zusammenarbeiteten. Vielmehr knirsche es bei den Organisationen. Dass es lokal nicht knirscht, liegt aber möglicherweise auch daran, dass sich mancher Apotheker gegen ein pDL-Angebot entscheidet, um die guten Kontakte zu den Praxen vor Ort nicht zu belasten. Berichte dazu gibt es. 

Der Kinderarzt Dr. Matthias Bollinger, Frankfurt, ist gegenüber Apothekenleistungen sehr aufgeschlossen. Es gebe eine relativ flächendeckende Präsenz von Apotheken, während die hausärztliche Versorgung immer löchriger werde. Es sei deshalb „unklug, dieses Potenzial nicht zu nutzen“. Der Arzt verweist auf abzudeckende Impf­lücken in der Bevölkerung, etwa bei Masern. 

In zahlreichen Ländern ist das Impfen in Apotheken längst Usus. 2020 boten Apotheken weltweit vor allem Influenzaimpfungen an, gefolgt von Impfungen gegen Hepatitis B, Tetanus, Diphtherie, Hepatitis A, Masern, Pertussis, Pneumokokken, Röteln und Mumps. In Deutschland könnten sich 90 % der Apotheker vorstellen, neben den pharmazeutischen Dienstleistungen nicht nur Impfungen gegen Influenza und COVID-19, sondern auch gegen andere Infektionskrankheiten anzubieten.

Medical-Tribune-Bericht

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