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Virologen, bitte melden

Aus der Redaktion Autor: Cornelia Kolbeck

© MT
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Bühne auf für die Virologen, hieß es zu Beginn der Coronapandemie in Deutschland. Ab März standen diese täglich im Rampenlicht – Virologen, die man bis dahin kaum kannte, weil sie eher unspektakulär im Hintergrund arbeiteten. Ein Kommentar.

Ob im täglichen TV-Report, in Zeitungen oder bei Twitter: Wer aktuell über die Verbreitung von SARS-CoV-2 informiert sein wollte, folgte den Erklärungen der Experten.

Die Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus ließ die Bevölkerung schon vor den ersten Lockdownmaßnahmen innehalten. Die Massen hingen lange förmlich an den Lippen der Virologen, sogen epidemiologisches Basiswissen ein, lernten etwas über Verdopplungszeit und R-Wert.

Und jetzt? Jene Virenforscher, die mit ihrer Politikberatung unheimlich mächtig erschienen, haben ihren Glorienschein verloren. Nicht wegen ihrer unbestrittenen Kenntnisse, sondern weil die Ministerpräsidenten das Heft des Handelns übernommen haben. Die mahnenden Rufe von Medizinern und der Kanzlerin verhallen im Hintergrund. Die Länderchefs verlassen sich, verführt von den Massen, lieber auf ihre eigene Expertise und holen das öffentliche Leben freizügig zurück. Es erinnert etwas an den US-Präsidenten Donald Trump, der sich auch gerne medizinischer Expertise entzieht – egal, was kommt, Hauptsache, seine Anhänger danken es ihm und die Wirtschaft läuft wieder an.

Auch die einst mit Ehrfurcht betrachteten Grenzwerte, täglich präsentiert vom Chef des Robert Koch-Instituts, Professor Dr. Lothar Wieler, haben sich geändert. Die Bundesländer machen ihre eigenen Limitierungen, was mancher Bürger aus seiner Sicht unfähigen Virologen zuschreibt. Einige Wissenschaftler sehen sich Beleidigungen und sogar Todesdrohungen gegenüber.

Die Angriffe gelten nicht nur Virologen, sondern auch Politikern. Grenzgänger Professor Dr. Karl Lauterbach – sowohl als Epidemiologe wie auch als Gesundheitspolitiker in Talkshows und als kritischer Kommentator medialer Ereignisse gefragt – erlebt das fast täglich, nachzulesen im Netz. Der SPD-Abgeordnete, der mutmaßte, das Virus könnte uns noch bis 2022 begleiten, hat den Staatsschutz eingeschaltet. In den Hintergrund lässt er sich durch Boshaftigkeit nicht drängen. Gut so!

Noch immer in vorderster Front steht auch der wohl bekannteste deutsche Virologe Professor Dr. Christian Drosten – zurzeit mehr oder weniger zwangsläufig, denn er muss sich gegen Angriffe des Boulevardjournalismus wehren. Es geht um eine Studie, für die der Wissenschaftler von der „Bild“-Zeitung heftig angegriffen wird. Und plötzlich tauchen andere Virologen wieder auf, positionieren sich pro und kontra. Es gibt sie also doch noch, jetzt allerdings recht strittig, nicht mehr als Politikberater, sondern wieder als Wissenschaftler. Und solche brauchen wir in der Krise.

Cornelia Kolbeck
Hauptstadtkorrespondentin

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