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Vom Arztkittel in den Superhelden-Umhang

Autor: Dr. Jörg Vogel

Wer hätte das vorhersehen können, diese rasante Entwicklung vom Homo sapiens zum Hom(e)o office? Wer hätte das vorhersehen können, diese rasante Entwicklung vom Homo sapiens zum Hom(e)o office? © hatem – stock.adobe.com; MT
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Wurde in Ihrem Wohnort auch schon applaudiert? Für das Personal an der Supermarktkasse. Für die Lieferdienste. Und natürlich für Sie, die Ärzte. Wie fühlt man sich da? Unser Kolumnist erzählt seine Geschichte.

Hurra, ich bin ein Held! Kein popeliger Allgemeinmediziner mehr. Ein Held! Das hat mir dieser Tage das deutsche Parlament höchstselbst bestätigt. Der ganze Bundestag hat mich beklatscht. So wie all die anderen Gesundheitshelden und solche aus dem „systemrelevanten Handel“.

Denn wir sorgen in Corona-Zeiten dafür, dass es den anderen zu Hause nicht ganz so schlecht geht. Wer hätte das auch vorhersehen können, diese rasante Entwicklung vom Homo sapiens zum Hom(e)o office? Gut, man bekommt durch dieses häusliche Herumsitzen „Rücken“. Aber eben kein Corona. Und man hat immer genug zu essen aus dem Supermarkt um die Ecke, zu dem man noch gehen kann.

Ich bin aber nicht neidisch. Als Homo medicinalis darf ich noch richtig unterwegs sein – ein Privileg. Und ich kann Held sein! Dieses Heldenhafte musste ich mir allerdings hart erkämpfen. Zum Beispiel, indem ich meine Praxisschränke durchwühlte. Wo waren sie denn, die FFP3-Masken, die ich damals für die Schweinegrippe bestellt hatte? Schließlich fand ich noch zwei, originalverpackt. Schwein gehabt statt Schweinegrippe! Wenigstens zwei Corona-Tage abgedeckt.

Meine Kollegen hatten nicht so viel Glück. Sie mussten von Anfang an ungeschützt den Viren trotzen. Teilweise bis heute. Nur vertrauend auf ihre arzttypische „stille Feiung“ (wenn möglich, dann bitte gegen alles!). Und wo bekam man so schnell noch etwas Desinfektionsmittel her? Jetzt zahlte es sich aus, dass ich immer nett und leutselig zu meiner Apothekerin gewesen bin. Sie stellte mir eine Halbliterflasche zurück. „Aber nicht herumerzählen!“ flüs­terte sie beim Abholen.

Angst hatte ich als Hausarzt von Anfang an nicht. Denn es gab ja auch keine amtlichen Informationen für uns. Alles was ich wusste, erfuhr ich aus der Laienpresse. Na gut, bei denen ist ja das Angstmachen Programm. Also alles halb so schlimm? Auf der Seite des Robert Koch-Instituts las sich das doch etwas anders. Und Obervirologe Kollege Drosten von der Charité verkündigte täglich immer Schlimmeres im Fernsehen.

Aber Angst? Wie sagte einst John Wayne: „Ein Mann muss tun, was er tun muss!“ Und so taten wir Ärzte und Ärztinnen es eben, auch ohne Schutzkleidung, auch ohne Maske. Eine Art „nacktes Anxiolytikum“ für die Praxisbesucher.

Als es zu den Kontaktbeschränkungen durch die Behörden kam, erhielt ich dann auch mal Post von der KV. Sie hätte irgendwo FFP2-Masken abgestaubt, und schwups, schon sieben Tage später erhielten wir zehn Stück davon. Für meine heldenhaften Helferinnen und mich. Ein gutes Gefühl. Etwa wie ein Marken-Kondom bei fehlendem Schwangerschaftswunsch der Partnerin.

Nur zu Hause war ich leider kein Held. Im Gegenteil. Meine Verwandten bezeichneten mich allen Ernstes als „Gefährder“. Nachdem abends in der Tagesschau italienische Militärfahrzeuge gezeigt wurden, die Leichen abtransportierten, ereilte meine Frau ein nächtlicher Panikanfall. Sie warf mich aus dem Schlafzimmer raus. Und ich sollte die Praxis schließen, denn ich würde das Leben der eigenen Familie aufs Spiel setzen, so ohne Schutzkleidung und ohne Testung ...

Denn eine Testung stand mir als Arzt an vorderster Behandlungsfront auch nicht zu. Ich war extra am „Corona-Zelt“ fragen. Nicht ohne nachgewiesenen Kontakt oder Rückkehr aus Italien. Wie sollte das gehen? Man konnte ja nicht mal dort hinreisen! Als dann mein zuständiges Labor mit dem Testen begann, kaufte ich mir eben selber einen. Auf eigene Kosten. Was soll’s – ich wollte zurück ins Schlafzimmer!

Aber natürlich gibt es auch undankbare Helden. So forderte eine Pflegekraft aus dem Heim doch tatsächlich auf Facebook, die Politiker sollten sich ihren Applaus „sonst wohin“ stecken. Sie und ihresgleichen fühlen sich einfach nur alleingelassen. Nun, so radikal würde ich das nicht ausdrücken. Mir reicht es schon, wenn Herr Spahn kein Kanzler wird.

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