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Patientenrechtegesetz „Waffengleichheit ist herzustellen“

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

In dem seit 2013 geltenden Patientenrechtegesetz wurden erstmals die Rechte und Pflichten im Behandlungsvertrag transparent dargestellt. In dem seit 2013 geltenden Patientenrechtegesetz wurden erstmals die Rechte und Pflichten im Behandlungsvertrag transparent dargestellt. © BillionPhotos.com – stock.adobe.com
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Schon vor zehn Jahren drängten Patienten, Verbände und Politiker auf mehr Unterstützung nach Behandlungsfehlern. Seitdem gibt es Hilfe durch das Patientenrechtegesetz. Allerdings erscheinen Nachbesserungen unabdingar. Gutachter machen Reformvorschläge. 

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach ist sich notwendiger Nachbesserungen am Patientenrechtegesetz bewusst: „Wir werden das Gesetz weiterentwickeln und in Kürze Eckpunkte dafür vorlegen“, kündigt er an. Dies soll nicht auf die lange Bank geschoben werden, mahnt die Linke im Bundestag. 

Auch der AOK-Bundesverband fordert „ein Mehr an Rechtssicherheit, Orientierung und Gleichgewicht“. Die Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann erklärt:  „Wir brauchen bei der Stärkung der Patientenrechte einen Dreiklang, der den Nachweis, die Verfahrensdauer sowie die Schadensregulierung umfasst.“ Es könne doch nicht sein, dass es unter anderem an der Qualität von Gutachten liege, dass sich Rechtsstreite über Jahre hinzögen. Belastung und Ungewissheit über mehrere Jahre hinweg hätten auch Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Menschen. 

„Konkrete Regelungen zur Stärkung der Einsichtsrechte für die Patienten haben bislang nur unzureichend Eingang ins Gesetz gefunden“, lautet die Einschätzung von Dr. Thomas Motz, Vorstand des Vereins Medizinrechtsanwälte. In einem Positionspapier des Vereins heißt es, es sei „an der Zeit, zwischen Patienten und Behandelnden bei der Durchsetzung ihrer Rechtspositionen Waffengleichheit herzustellen“. 

Der Koalitionsvertrag sieht vor, die Position der Patienten im aktuellen Haftungssystem zu stärken und einen Härtefallfonds einzurichten. Das begrüßen die Medizinrechtsanwälte. Aber auch Arzneimittelhaftungs-, Prozess- und Krankenversicherungsrecht müssten reformiert werden. 

Nachbesserungen auch bei Einsicht in die Patientenakte 

Die Juristen sprechen sich dafür aus, dass das Beweismaß abgesenkt werden sollte – auf die „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ von über 50 %. (Heute verlangen viele Gerichte eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit von über 90 bis 95 %.) Der Gesetzgeber solle auch klarstellen, dass für die Kausalität der Vollbeweis nach § 286 Zivilprozessordnung nicht geführt werden müsse. 

Weiterhin wird u.a. empfohlen:

  • Patienten sollten nicht nur Einsicht in die elektronische Patientenakte bekommen, sondern auch die Änderungs- und Speicherdaten verlangen können.  
  • Die Einsichtsrechte sollten bei Nachweis eines berechtigten Interesses auf sonstige Unterlagen der Behandlerseite erweitert werden, die zum Verständnis der Behandlungsabläufe und zum Beweis eines Fehlers erforderlich sein könnten. 
  • Die Kostenfreiheit der Übersendung der Behandlungsunterlagen sollte klargestellt werden. 
  • Die Vorlage eines Erbscheins oder einer Vollmacht aller Angehöriger eines verstorbenen Patienten ist nicht zu fordern, jeder Angehörige ist berechtigt, einen Behandlungsfehlerverdacht überprüfen zu lassen.
  • Der Verstoß gegen die Informationspflicht über einen Behandlungsfehler sollte einen eigenen Schadensersatzanspruch auslösen und nicht von der Nachfrage des Patienten abhängig sein.
  • Die bestehende Regelung zu Fehlermeldesystemen in der GKV sollte für alle Behandler verbindlich übernommen werden.
  • Die Gerichte sollten verpflichtet werden, im Arzthaftungsrecht nur Sachverständige zu wählen, die sich regelmäßigen Fortbildungen unterziehen und ihre Gutachten anhand von Leitlinien erstellen.

Kritik an der aktuellen Regelung kommt auch vom Sozialverband Deutschlands (SoVD). Von einem „Konstruktionsfehler des Gesetzgebers bei Einführung des Patientenrechtegesetzes“ spricht die Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier. Patienten werde eine viel strengere Beweispflicht auferlegt, als es für Rechtsstreitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis die Regel sei. Der Gesetzgeber stehe in der Pflicht, diese Ungerechtigkeit zu korrigieren und endlich den „Normalzustand“ bei der Beweislastverteilung wiederherzustellen. 

Vorhaben der Koalition

Die Ampel-Koalition ist gerade dabei, die Unabhängige Patientenberatung „in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen“ zu überführen. Und bei Behandlungsfehlern soll die Stellung der Patienten im Haftungssystem gestärkt werden. Auch einen Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen haben SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart. Zudem sollen mit einer Reform des G-BA der Patientenvertretung weitere Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt werden. 

Gesetzgeber ist auf halbem Wege stehengeblieben

Der SoVD unterlegt die Forderung ebenfalls mit einem rechtswissenschaftlichen Gutachten. Auf 72 Seiten äußert sich Prof. Dr. iur. Thomas Gutmann von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zu Beweisrecht und Härtefallfonds. „Die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts haben deutlich gemacht, dass der Gesetzgeber an wichtigen Stellen auf halbem Weg stehengeblieben ist“, so der Sachverständige. Nachbesserung tue not, denn der Behandlungsvertrag sei wegen der Vulnerabilität der Patienten ein besonderer Vertrag. Beim Arzt-Patienten-Verhältnis handele es sich um eine Partnerschaft zwischen sehr ungleichen Partnern durch eine erhebliche Informations- und Wissensasymmetrie. 

Der Autor benennt 16 Punkte, an denen das Gesetz verbessert werden sollte. Dazu gehören auch für ihn das Beweisrecht sowie die Akteneinsicht seitens des Patienten, die Pflicht des Behandelnden, dem Patienten Tatsachen mitzuteilen, sowie die Unterstützung der Krankenkasse bei einem möglichen Behandlungsfehler (bisher eine Soll-Vorschrift). 

Neben der Stärkung der Stellung der Patienten im bestehenden Haftungssystem sollte ergänzend ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen eingeführt werden, um besonders gelagerte Einzelfälle verschuldensunabhängig aufzufangen, die durch das Raster der abstrakt-generellen Regeln des Haftungssys­tems fallen und die nicht gerecht entschieden werden können.

Das Patientenrechtegesetz spiele eine zentrale Rolle im Gesundheitswesen, so Prof. Lauterbach beim Festakt zum 10-jährigen Bestehen. Der Minister zeigte sich überzeugt, dass die elektronische Patientenakte zur weiteren Stärkung der Patientenrechte beitragen wird, ebenso wie die Unabhängige Patientenberatung, die per Gesetz neu aufgebaut und gestärkt werden soll.

Nach Aussage von Dr. Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin Bundesärztekammer, hat das aktuelle Patientenrechtegesetz „den Blick geschärft und sensibler gemacht für das eigene Fehlermanagement“. Das Patientenrechtegesetz war ein Meilenstein, findet Stefan Schwartze, der Patientenbeauftragte der Bundesregierung. Doch es seien Anpassungen nötig und Vollzugsdefizite abzubauen. 

Medical-Tribune-Bericht

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