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Kommentar Warum dieser Vorstoß Lauterbachs folgerichtig ist

Aus der Redaktion Autor: Anouschka Wasner

© MT
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Lass die doch ihre Kügelchen nehmen, wen kümmert‘s? Nein, so einfach ist es eben nicht. Die geplante Einschränkung der Homöopathie als Kassenleistung folgt einer Logik. Und die steht der Ärzteschaft bestens zu Gesicht.

Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker – einige sprechen sich gerade gegen den Plan von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach aus, homöopathische Behandlungen nicht mehr als Krankenkassenleistung zuzulassen. Richtig, die Kosteneinsparung wird das Gesundheitssystem nicht retten. Und auch richtig: Viele Patienten wünschen sich Homöopathie. 

Aber warum präferieren Menschen eine Behandlungsform ohne Wirknachweis über den Placeboeffekt hinaus? Einer der Gründe ist, dass Homöopathen bieten können, was sog. Schulmediziner nicht haben: Zeit. Häufig ist es die Zuwendung, die Patienten über die langwierige Anamnese erfahren, die sie an das Prinzip glauben lassen. Aber: Wissenschaftliche Evidenz wird relativ, wenn das Gesundheitssystem diese Schräglage bestehen lässt.

Different, but same: In dieser Ausgabe berichten wir über Scicomm-Support. Diese Einrichtung berät Forschende bei Angriffen und unsachlichen Konflikten in der Wissenschaftskommunikation. Im Gespräch hat die Sprecherin von einer hohen Zahl Beschimpfungen und Bedrohungen gegen Forschende berichtet. Auch viele Arztpraxen sind heute Angriffen ausgesetzt – verbal, im Netz, am Praxistresen. Weil man glaubt, die eigene Wahrheit sei richtiger als wissenschaftliche Erkenntnisse.

Auch wer an Zuckerkügelchen glaubt – denn darum geht es: um Glauben –, sieht Wissenschaft als eine von vielen Wahrheiten. Natürlich, nicht jede Person, die Kügelchen nimmt, beschimpft Forschende. Aber über die Kügelchen verlassen Menschen zumindest punktuell den Boden einer gemeinsamen, faktenbasierten Realität. Und auch wer sonst fest im Sattel der Aufklärung sitzt – gedankliche Trampelpfade können zu Volkswanderwegen werden. Sprechen dann Forschende Erkenntnisse aus, aus denen die Politik unliebsame Konsequenzen ziehen könnte – wo läuft es sich dann besser, als auf einem meiner bekannten Trampelpfade, der mir diese Konsequenzen erspart? Der nächste Schritt ist für manche dann nicht weit: Sie verbreiten ihre eigene Wahrheit mit Vehemenz und lassen das die Forschenden spüren. 

Zurück zur Homöopathie: Eine Internistin soll gesagt haben, dass sich ohne die Möglichkeit, Homöopathie in ihrer Praxis abzurechnen, ihre Antibiotikaverschreibungen erhöhen werden. Wir alle verstehen, was sie meint. Aber ist das eine Logik, der man folgen will? 

Wenn Praxen mit Therapieansätzen werben, die der wissenschaftlichen Grundlage entbehren, könne man kaum erwarten, dass Patienten „den Unterschied zwischen einer leitlinienkonformen medikamentösen Therapie und Kaffee-Einläufen kennen“, sagt dagegen der Internist Dr. Janos Hegedüs. In einer Welt, in der für viele Patienten evidenzbasierte und evidenzlose Alternativmedizin quasi gleichberechtigt nebeneinander existieren, verlieren Nachweise und Fakten ihre Bedeutung. Und hat man sich daran erstmal gewöhnt: Wer kann dann schon sagen, ob nicht doch was dran ist, dass Forschende und Ärzteschaft Teil einer Weltverschwörung sind und bekämpft werden müssen.  

Anouschka Wasner
Redakteurin Gesundheitspolitik

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