Glosse Weihnachtskonzert im Körper

Aus der Redaktion Autor: Tim Förderer

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Medizinisch betrachtet ist Weihnachten ein interdisziplinäres Wunder.

Medizinisch betrachtet ist Weihnachten ein interdisziplinäres Wunder. Der Körper versucht, die unterschiedlichsten auditiven (Last Christmas), olfaktorischen (Weihnachtsbäckerei), visuellen (blinkende Lichterketten), gustatorischen (Gans und Wein) und taktilen (Umarmungen) Reize gleichzeitig zu verarbeiten. Während wir uns in Besinnlichkeit wähnen, herrscht in Leber, Herz und Gehirn alles andere als himmlische Ruh.

Schon das erste im Vorbeigehen genaschte Vanillekipferl triggert über eine Verkettung afferenter und efferenter Signale eine wahre Speichelflut. Im Magen führt die abzuarbeitende Festtagsspeisekarte zum Enzymreigen. Leptin darf aber nicht mittanzen, sonst wird das nichts mit dem Nachtisch. Währenddessen verpackt die Leber Triglyzeride in handliche VLDL-Päckchen und weiß: Heute wird’s keine stille Nacht, weil langsam nicht nur am Weihnachtsbaume die Lichter brennen. Da süßer die Speisen nie schmecken, stimmt auch das Pankreas ins gastroenterologische Orchester mit ein. Im Kolon probt das Mikrobiom die Weihnachtskantate „Fermentation in F-Dur“, was zur Freisetzung weiterer akustischer und olfaktorischer Reize führen kann, die weder Freud noch Wonne sind. Alle Jahre wieder trägt das Herz-Kreislauf-System dann sein schönstes Noradrenalin auf. Beim Geschenke auspacken steigen Puls und Blutdruck– erst recht, wenn etwas nicht gefällt. Zwischendurch meldet sich die Niere, die unermüdlich filtert und sich der rotweinbedingten ADH-Hemmung beugt. Der Harndrang kommt geschneit, doch der Weg zum WC ist so weit.

Selbst gegen Ende des Abends (wohl zu der halben Nacht) gönnt sich der Körper keine Pause. Im Hypothalamus tagt der Festtagsausschuss. Dopamin schreit nach Crème brûlée, während Serotonin sich für mehr Gelassenheit stark macht. Und Melatonin hofft längst auf die rettende Stund.

Um dieser kontrollierten biochemischen Entgleisung entgegenzutreten, sollte man Weihnachten vielleicht etwas asketischer angehen. Davon könnte auch das Herz profitieren, damit es nicht einmal wirklich heißt: Last Christmas, 
I gave you my heart.

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