Coronakrise Wie Hausärzte die Pandemie meistern

Herr Dr. Beier, wie ist die Situation aktuell in den Hausarztpraxen? Tritt die Corona-Pandemie in eine neue Phase?
Dr. Beier: Das könnte man so sagen. Nachdem es zunächst zum Schutz der Patienten und auch der Praxisteams sinnvoll war, direkte Patientenkontakte auf das Nötigste zurückzufahren, müssen wir jetzt allmählich wieder etwas Normalität in den Versorgungsalltag bringen. Langsam kommen mehr Patienten in die Praxen, und es finden auch wieder mehr persönliche Hausbesuche statt. Das ist richtig und auch wichtig, denn gerade chronisch Kranke benötigen eine fortlaufende ärztliche Betreuung – natürlich immer unter der Prämisse, dass Infektpatienten von anderen streng getrennt untersucht und behandelt werden können. Voraussetzung bleibt auch, dass wir ausreichend Schutzkleidung in den Praxen zur Verfügung haben.
Vielerorts wurden Corona-Schwerpunktpraxen eingerichtet. Was ist davon zu halten?
Dr. Beier: Hausärztinnen und Hausärzte fungieren als erste Ansprechpartner der Patienten. Dieses bewährte System sollte auch in Pandemiezeiten beibehalten werden, solange die Praxen über ausreichend Schutzkleidung verfügen und Infektsprechstunden anbieten können. Wenn aber Entlastung benötigt wird, kann die Einrichtung von Corona-Schwerpunktpraxen eine sinnvolle Lösung sein. Wichtig ist, dass die Hausärzte vor Ort einbezogen werden und eine gute Zusammenarbeit gewährleistet ist.
Wie haben sich die letzten Wochen wirtschaftlich auf die Hausarztpraxen ausgewirkt?
Dr. Beier: Die Hausarztpraxen sind größtenteils stark in die Bekämpfung des Infektionsgeschehens eingebunden, sei es in der Beratung und Betreuung von COVID-19-Patienten und Verdachtsfällen, aber auch auf Teststrecken und in Infektpraxen. Nichtsdestotrotz haben wir vorwiegend die Rückmeldung aus den Praxen, dass es im April aufgrund der Schutzmaßnahmen Einbrüche bei der Patientenzahl gab. Sollte die Entwicklung der letzten 2 Wochen jedoch bis Quartalsende so weitergehen, gehen wir davon aus, dass es keine allzu großen Umsatzeinbrüche geben wird, wobei dies regional und im Einzelfall auch unterschiedlich aussehen kann.
Hinzu kommt, dass gerade in der Hausarztzentrierten Versorgung, der HzV, schnell mit Anpassungen an die derzeitige Situation reagiert wurde. So konnten wir mit den Krankenkassen vereinbaren, dass mittelbare Arzt-Patienten-Kontakte, beispielsweise per Telefon, in der Abrechnung wie unmittelbare Arzt-Patienten-Kontakte behandelt werden. Damit tragen wir und unsere Vertragspartner der veränderten Praxisstruktur mit überwiegend telefonischer Beratung und Betreuung Rechnung. Von daher sehe ich für HzV-Praxen keine große wirtschaftliche Gefahr durch die Corona-Pandemie.
Wie sieht das in der Regelversorgung aus?
Dr. Beier: Auch beim KV-Honorar gab es Anpassungen an die Pandemie-Situation, wenn auch etwas eingeschränkter. Für den Fall, dass eine Praxis durch die Coronakrise in wirtschaftliche Schieflage kommt, hat der Gesetzgeber einen Rettungsschirm vorgesehen, der in Bayern Mitte Juni verabschiedet wird. Dieser soll greifen, wenn das KV-Honorar auf unter 90 % des Vorjahresquartals fällt.
Und wenn ein Hausarzt Umsatzeinbrüche im HzV-Bereich hat?
Dr. Beier: Dadurch, dass in allen HzV-Verträgen die Pauschalen, für die sonst ein unmittelbarer Arzt-Patienten-Kontakt Voraussetzung ist, aktuell auch mit mittelbarem Arzt-Patienten-Kontakt abgerechnet werden können, dürften die meisten Praxen hier keine großen Honorar-
einbrüche zu erwarten haben. Aber wir sind im Gespräch mit den Krankenkassen über einen Schutzschirm, falls es doch zu Honorareinbußen kommen sollte.
Keinesfalls dürfen HzV-Praxen schlechter gestellt sein als KV-Praxen.
Nach aktueller Lage können jetzt auch Praxen den Rettungsschirm in Anspruch nehmen, die für ihre Mitarbeiter Kurzarbeitergeld beantragt haben.
Dr. Beier: Ja richtig. Allerdings wird die Kurzarbeitregelung von den wenigsten Hausarztpraxen genutzt. Wie schon gesagt, hat sich die Arbeit in den Hausarztpraxen durch Corona zwar verändert, aber ist nicht unbedingt weniger geworden. Kolleginnen und Kollegen, die vorhaben, auf diese Stützungsangebote zuzugreifen, rate ich, dies unbedingt mit dem Steuerberater durchzugehen, um unerwartete Nachteile zu vermeiden.
Thema Schutzkleidung: Sie war lange Mangelware. Wie sieht es jetzt in bayerischen Hausarztpraxen aus?
Dr. Beier: In den meisten Hausarztpraxen in Bayern haben wir derzeit ausreichend Schutzkleidung, zumindest für einen überschaubaren Zeitraum. Regional stellt der Bezug von Schutzkitteln in ausreichender Qualität immer noch ein Problem dar.
Wohin können sich Kolleginnen und Kollegen wenden, denen Schutzkleidung fehlt?
Dr. Beier: Erste Ansprechpartner waren hier zuletzt die Kassenärztlichen Vereinigungen. In manchen Situationen kann es auch sinnvoll sein, sich direkt an einen Medizinprodukt-Hersteller zu wenden oder an die Apotheken vor Ort. Für die Zukunft sollten für Schutzkleidung ähnliche Bezugswege und -prozesse angestoßen werden wie beispielsweise bei Medikamenten für den Sprechstundenbedarf. So ließe sich sicherstellen, dass den Praxen Schutzkleidung in ausreichender Qualität und Menge zu angemessenen Preisen zur Verfügung steht. Da sehe ich die Krankenkassen oder den Staat in der Pflicht.
Vorstellbar wäre auch die Einrichtung eines zentralen Lagers, in dem von den Krankenkassen oder dem Staat beschaffte Schutzkleidung gelagert und verteilt wird. Denn im Pandemie und Katastrophenfall übernehmen wir hier direkt staatliche Aufgaben, die auch weiterhin, z. B. durch Bereitstellung von Persönlicher Schutzausrüstung, gestützt werden müssen.
Wie schätzen Sie die kommenden Wochen ein, was kommt auf die Hausarztpraxen noch zu?
Dr. Beier: Es ist sicher notwendig, gezielt mehr direkte Patientenkontakte zuzulassen. Allerdings sind wir von der Rückkehr zu einem Praxisalltag, wie wir ihn vor der Pandemie hatten, noch weit entfernt. Das heißt, die veränderte Arbeitsstruktur mit Separierung der Infektpatienten, mit Aufteilung der Praxisteams, um eine komplette Praxisschließung im Falle einer Infektion zu verhindern, und mit Telefonsprechstunden werden wir noch über Monate aufrechterhalten müssen, auch wenn diese veränderten Strukturen eine Belastung für Ärzte und MFA bedeuten. Deshalb setzen wir uns als Bayerischer Hausärzteverband für einen Corona-Bonus für MFA ein. Ohne unsere Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die uns Hausärztinnen und Hausärzte Tag für Tag unterstützen und sich damit einer erhöhten Infektionsgefahr aussetzen, könnten wir nicht den Schutzwall um Krankenhäuser bilden, mit dem wir bisher vergleichsweise gut durch diese Krise gekommen sind. Da hätte ich mir von der Politik schon etwas mehr Anerkennung gewünscht.
Ihr Tipp für Kolleginnen und Kollegen in der jetzigen Situation?
Dr. Beier: Wenn Sie es nicht schon tun, nehmen Sie an der HzV teil! Gerade in der jetzigen Situation hat sich dieses Versorgungsmodell, in dem wir Hausärzte direkt und auf Augenhöhe mit den Krankenkassen verhandeln, bewährt. So konnten wir zügig und bedarfsorientiert Anpassungen erreichen, die uns die Patientenversorgung in der Pandemie erleichtern.
Den Kolleginnen und Kollegen, die bereits mit der HzV arbeiten, empfehle ich: Rufen Sie Ihre HzV-Patienten an, von denen Sie über längere Zeit nichts gehört haben, und fragen Sie, wie es ihnen geht! In unserer Praxis haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Man erfährt, wenn sich bei einem Patienten der Gesundheitszustand verschlechtert hat, und kann darauf rechtzeitig reagieren. Darüber hinaus sichern Sie sich Ihr Honorar in der HzV durch die Möglichkeit zur Abrechnung von Grund- und Chronikerpauschalen. Das Quartal 2.2020 läuft noch bis 30. Juni. Nutzen Sie die Zeit!
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (11) Seite 31-33
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.