Formularflut in Arztpraxen "Wir saufen in der Bürokratie ab"
52Millionen Stunden ihrer Arbeitszeit haben die niedergelassenen Ärzte allein für die Büroarbeit durch die Vorgaben der Selbstverwaltung auf Bundesebene aufgewandt. Ein Lichtblick dabei: Im Jahr 2013 war der Aufwand mit 55 Millionen Stunden noch um 4,72 % höher. Der Bürokratieindex ist laut Studie im Bereich der ärztlichen Selbstverwaltung somit von der Basis 100 im Jahre 2013 auf den Wert 95,28 im Jahr 2016 gefallen. Dennoch: Je Praxis beträgt die Belastung 57 Arbeitstage im Jahr. Und dabei handelt es sich überwiegend um kaum delegierbare Arztleistungen.
Bescheinigungen als Zeitfresser
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen Informationspflichten aus dem Verantwortungsbereich des G-BA, dem Bundesmanteltarifvertrag sowie aus Regelungen mit der Bundesärztekammer und der KBV mit sonstigen Kostenträgern wie z. B. Unfallversicherungen. Überraschend: Während Verordnungen und Bescheinigungen knapp 35 % der Zeit fressen, tritt die Sicherung der Versorgungsqualität hier nur mit 26 % in Erscheinung, gefolgt von den Auskünften an Kostenträger mit 21 %. Allein für Überweisungen und eGK fallen immerhin 16 % der aufgewandten Arbeitszeit an. Sieben Prozent aller Pflichten verschlingen 90 % des Zeitbudgets – eine Situation die der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen mit drastischen Worten beklagt: "Wir saufen in der Bürokratie ab."
"Zwar hat es an einigen Stellen Entlastungen gegeben, beispielsweise durch die Abschaffung der Auszahlscheine im Krankengeldfall. Aber es kommen auch immer neue Belastungen hinzu. 52 Millionen Stunden sind einfach immer noch zu viel. Die Zeit der Niedergelassenen ist schließlich in erster Linie für die Patienten da und nicht für den Papierkram", betonte Gassen, "deshalb fordern wir von den Krankenkassen die verbindliche Festlegung eines Abbauziels für Bürokratie." Ein solches Ziel könnte maßgeblich dazu beitragen, dass für die Behandlung der Patienten wieder mehr Zeit zur Verfügung stehe. G-BA, KBV und der GKV-Spitzenverband seien gefordert, hier "an einem Strang zu ziehen". Die Digitalisierung sei nur begrenzt ein Ausweg und komme die Ärzte unheimlich teuer. Gassen warnt vor den technischen Unwägbarkeiten.
Bürokratie ist Niederlassungs-Bremse
Die "Top 25" im Formularmix machen laut Prof. Dr. Volker Wittberg von der FHM 50 % von insgesamt 353 verschiedenen Vordrucken aus, die ausgefüllt werden wollen. Gut die Hälfte davon könnte nach Ansicht von Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der KV Westfalen-Lippe, wegfallen, ohne dass die Praxistätigkeit dadurch beeinträchtigt werde. Diese Zeit könnte besser zugunsten von mehr Zuwendung für Patienten genutzt werden. Unnötige Bürokratie gehöre schnellstens abgeschafft, forderte Kriedel und wies darauf hin, dass 90 % der angestellten Ärzte sich wegen der Bürokratiebelastung nicht niederlassen wollten.
Am meisten belastend empfindet der KV- WL-Chef die verschiedenen Auskunftsanfragen von diversen Krankenkassen und deren Medizinischen Diensten (MDK). Diese seien "ohne Struktur und kassenindividuell, ohne Standardisierung".
Der Bürokratieindex soll künftig jährlich aktualisiert und veröffentlicht werden. Damit wollen die Initiatoren die öffentliche Diskussion um die bürokratische Belastung in Arztpraxen regelmäßig mit empirischen Fakten begleiten. Ziel ist es, die bürokratische Belastung für die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten mit den Partnern der gemeinsamen Selbstverwaltung zu reduzieren.
Online-Forum "Mehr Zeit für Patienten"
Ärzte, die konkrete Vorschläge für den Bürokratieabbau in der Praxis haben, können diese der KBV über das Online-Forum "Mehr Zeit für Patienten" mitteilen. Das Online-Forum sammelt Hinweise, wie sich der Verwaltungsaufwand in den Praxen reduzieren lässt, und macht sie öffentlich. Das Portal ist über das Sichere Netz der Kassenärztlichen Vereinigungen erreichbar. Die KBV setzt sich mit den Vorschlägen auseinander und prüft, inwieweit sie umsetzbar sind. Besucher des Online-Forums geben nach der Anmeldung im Sicheren Netz in das Browser-Fenster die Adresse buerokratieabbau.kv-safenet.de ein, oder gehen über das Portal ihrer KV und den dort eingestellten Link zum Online-Forum.
Autor:
Hans Glatzl
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (3) Seite 35-36
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.