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Zukunft der Onkologie: Robotereinsatz ist bisher nur „Angeberei“

Gesundheitspolitik Autor: Ruth Bahners

Chirurgie, Gen- oder Immuntherapie – wie sieht die Onkologie der Zukunft aus? 
Chirurgie, Gen- oder Immuntherapie – wie sieht die Onkologie der Zukunft aus? © iStock/3alexd
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„Wohin geht die Reise in der Onkologie?“ Dieser Frage widmete sich das Institut für patientenorientierte Versorgungsforschung in einem Seminar. Experten bremsten die Erwartungen an neue Therapieoptionen. Und sie halten unabhängige Studien sowie strengere Zulassungskriterien für Onkologika für unabdingbar.

Der aktuelle Nobelpreis für Medizin zeigt zwei Dilemmata, meint Professor Dr. Markus W. Büchler, ärztlicher Direktor der Abteilung für Allgemeine, Viszerale und Transplantationschirurgie der Universität Heidelberg: „Er geht immer nur an die Grundlagenforschung und in der Regel nicht nach Deutschland.“ Dabei habe die Chir­urgie gerade in der Onkologie einen hohen Stellenwert. Vor allem werde „in Deutschland zu wenig in die Forschung investiert“. Die Forschung werde weitgehend der Industrie überlassen. Weil die Chirurgie für die Pharmaindustrie „uninteressant“ sei, komme sein Fach besonders schlecht weg.

Bei soliden Tumoren „ohne Chirurgie keine Heilung“

Auch die Krankenkassen könnten sich mehr mit der Chirurgie beschäftigen, denn diese habe gerade bei der Behandlung von soliden Tumoren große Fortschritte gemacht. „Ohne Chirurgie keine Heilung“, sagt Prof. Büchler. 50 bis 70 % der Patienten mit soliden Tumoren könne man mit guter Chirurgie heilen, bei anderen die Prognose verbessern oder die Palliation sichern.

Die Gen- und Immuntherapie sieht der Arzt skeptisch, diese seien bei soliden Tumoren „eher eine Enttäuschung“. Sie kosteten viel Geld und brächten Patienten eher wenig. „Wir sind bei Weitem noch nicht bei einer individualisierten Therapie.“ Die Roboter-Chirurgie sei bisher „Marketing-Angeberei“; es dauere noch fünf Jahre, um zu entscheiden, ob sie dem Patienten nutze.

Das Fehlen unabhängiger Studien habe im Bereich der onkologischen Arzneimittel zu einem zunehmend „unübersichtlichen Markt mit kommerziellen Interessen“ geführt, beklagt Matthias Mohrmann, Vorstand der AOK Rheinland/Hamburg. Seit 2011 seien über 100 hochpreisige Krebsmedikamente zugelassen worden.

Mohrmann monierte die zunehmenden Zulassungserweiterungen bei Orphan Drugs und „Schnellzulassungen“ ohne Langzeitergebnisse zum Outcome oder zu den Nebenwirkungen einer Therapie. Bei gleichzeitig steigenden onkologischen Erkrankungszahlen stelle sich die Frage, wie künftig der Zugang zu modernen Therapien gesichert werden könne.

Auch Krankenkassen könnten sich die Beteiligung an industrieunabhängigen Studien vorstellen. Der Kassenchef unterstützte die Forderung, um „echte onkologische Innovationen finanzierbar zu halten“. In den Niederlanden seien die Krankenkassen zur Finanzierung solcher Studien sogar verpflichtet.

Im stationären Sektor sieht die AOK die Zukunft der onkologischen Versorgung in der weiteren Zentrenbildung. „Die Behandlung in Zen­tren erhöht die Chance auf Heilung“, so Mohrmann. Studien belegten, dass bei Brustzentren die Überlebensrate höher sei, bei Darmkrebszentren das Tumorgewebe häufiger vollständig entfernt werde und in Prostatazentren die Kontinenz häufiger erhalten werden könne. Bei der Zusammenarbeit vermisst der AOK-Vorstand die sektorenübergreifende Qualitätssicherung: „Was passiert nach dem Klinikaufenthalt?“ In­strumente gebe es genug, sie würden nur nicht eingesetzt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sieht sich in der Onkologie als Gralshüter der medizinischen Qualität. „Wir wissen objektiv systematisch mehr – auch als die Fachgesellschaften mit ihren Leitlinien“, meint der unparteiische G-BA-Vorsitzende Professor Dr. Josef Hecken. 30 bis 50 % der neu zugelassenen Medikamente seien Onkologika. 2017 waren 7,1 % der Verordnungen Onkologika, der Umsatzanteil am GKV-Arzneimarkt betrug dabei 16,8 %. Vor allem „Präzisions-Medizin“ sei im Trend, so Prof. Hecken.

Er bestätigte, dass es gegenwärtig vor allem zu beschleunigten oder bedingten Zulassungen kommt. Das bedeute, es lägen nur wenige Erkenntnisse zu Nebenwirkungen und Risiken vor. Erst in zwei bis drei Jahren sei mit sicherheitsrelevanten Endpunkten zu rechnen, so der G-BA-Vorsitzende. „Die Europäische Arzneimittel-Agentur ist sehr nachlässig im Nachhalten der Auflagen“, beklagte Prof. Hecken. Man lasse sich über Jahre vertrösten, sodass der Lebenszyklus der Präparate garantiert sei.

Patientenkollektive in Studien spiegeln nicht Realität wider

Ein anderes grundsätzliches Pro­blem sei das hoch selektionierte Patientengut der Studien, so Prof. Hecken. Die Patienten seien in einem relativ guten Allgemeinzustand mit wenig Komorbiditäten. Das entspreche nicht der Versorgungsrealität, um z.B. Nebenwirkungen zu beurteilen. Das Bundesgesundheitsministerium solle den G-BA daher ermächtigen, Bewertungen mit Befristungsauflagen zu versehen, die bei maximal-invasiven Therapien den Einschluss der Patienten in ein unabhängiges Register vorsähen.

Indikator Lebensqualität mehr in den Fokus rücken

Ein weiteres Problem sieht Prof. Hecken darin, dass die den Zulassungsanträgen zugrunde gelegten Studien nicht alle Endpunkte nachwiesen: „Wir haben keine Handhabe, wenn der Antragsteller bestimmte Daten überhaupt nicht vorlegt, insbesondere zur Lebensqualität.“

Seit zwei Jahren bemüht sich Prof. Hecken, eine Regelung zu erreichen, die es dem G-BA ermöglicht, die Bewertung eine Stufe herabzusetzen, wenn die Endpunkte „Sicherheit und Lebensqualität“ nicht bedient würden. „Der Gesetzgeber sollte eine erneute Nutzenbewertung mit Herabstufung zulassen.“ Umgekehrt könnte ein Zusatznutzen anerkannt werden, wenn die Verbesserung der Lebensqualität nachgewiesen werde.

Auch Professor Dr. Wolf- Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, meint, dass die bisherigen Mechanismen und das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) nicht mehr reichen. Heute wisse keiner, welches der vielen Medikamente in der ersten, zweiten und dritten Linie eingesetzt werde und in welchen Kombinationen. Notwendig seien verbindliche Vorgaben und Sanktionen, wenn die Studien nicht erstellt würden.

Zudem seien die Preise für Onkologika nicht länger tragbar. Deutschland sei ein bevorzugtes Ziel von Arzneimittelfälschungen, weil hier die höchsten Preise gezahlt würden, meint Prof. Ludwig. In den USA hätten sich die Onkologen klar positioniert gegen Kosten, die Patienten und dem System nicht mehr zumut­bar seien.

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