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Zustimmungslösung: Hausärzte sollen über Organspende aufklären

Gesundheitspolitik Autor: Lena Becker

Im Livestream: Die Abstimmung im Bundestag über die neue Regelung der Organspende erfolgte ohne Fraktionszwang. Im Livestream: Die Abstimmung im Bundestag über die neue Regelung der Organspende erfolgte ohne Fraktionszwang. © Deutscher Bundestag; blende11.photo – stock.adobe.com
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Von einer Widerspruchsregelung haben sich Politiker, Ärzte, Patienten und Angehörige für die Zukunft mehr Organspenden erhofft. Die Mehrheit des Bundestages pochte jedoch auf das Selbstbestimmungsrecht in Form der Zustimmung. Für die sollen nun Hausärzte und Ämter sorgen.

Die vom Bundestag beschlossene „erweiterte Zustimmungslösung“ bezieht vor allem Hausärzte in die Aufklärung über Organspenden ein. Sie sollen Patienten zu einer Entscheidung – pro oder contra Spende – bewegen. Vorgesehen ist hierfür ein Beratungsgespräch alle zwei Jahre, das extra abgerechnet werden kann. An Informationsmaterialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Unterstützung durch den Deutschen Hausärzteverband mangelt es schon heute nicht.

Zentrales Register speichert Wunsch des Bürgers

Um die Entscheidungen der Bürger zu dokumentieren, soll ein zentrales Onlineregister eingerichtet werden, auf das Transplantationsbeauftragte in den Kliniken im Sterbefall zugreifen können. Seine Entscheidung kann ein Bürger jederzeit selbst ändern. Informationen zur Organspende gibt es auch von Ausweisstellen, z.B. beim Erhalt des Führerscheins oder Verlängern des Personalausweises.

Das Abstimmungsergebnis der Abgeordneten für die Zustimmungslösung fiel eindeutiger aus als erwartet. Von 696 Abgeordneten waren bei der Schlussabstimmung 432 für die Stärkung der Entscheidungsbereitschaft, wie sie der Gesetzesentwurf der fraktionsübergreifenden Gruppe um Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) vorsah. Dagegen stimmten 200, enthalten haben sich 37 Mitglieder des Bundestages.

Warum ist es höchste Zeit für die Reform der Organspende?

2019 spendeten hierzulande 932 Menschen 2995 Organe. Zum Vergleich: Ende letzten Jahres standen mehr als 9000 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Laut Umfragen ist die Mehrheit der Deutschen (84 %) einer Organspende grundsätzlich nicht abgeneigt. Die wenigsten dokumentieren ihre Entscheidung allerdings beispielweise über einen Organspendeausweis oder ihre Patientenverfügung.

Die Kritik an der Widerspruchsregelung betrifft vorrangig ethische und rechtliche Fragestellungen. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) fand hierfür klare Worte: „Schweigen kann niemals als Zustimmung gewertet werden.“ So sieht es auch der Deutsche Evangelische Krankenhausverband. Dessen Vorsitzender Christoph Radbruch betont, eine Organentnahme sei nur dann zu befürworten, wenn die Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat oder es nach dem Tod ihre Angehörigen tun.

Die Ärzteschaft hatte sich vor der Abstimmung für die von Jens Spahn vorgeschlagene Widerspruchslösung ausgesprochen. Der Präsident der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt hätte sich von ihr mehr Erfolg bei der Gewinnung von Spendern versprochen. Dennoch sieht er die neue Zustimmungslösung als Fortschritt gegenüber dem Status quo: Das Onlineregister und die regelmäßige Abfrage der Spendebereitschaft ermöglichten es, die Menschen stärker für das Thema zu sensibilisieren. Das Gesetz müsse jetzt zum Erfolg gemacht werden.

Dr. Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg, sprach dagegen von einer vertanen Chance bezüglich der Erhöhung der Spenderzahlen auf europäisches Niveau. Auch der Präsident der Landes­ärztekammer Hessen, Dr. Edgar Pinkowski, ist überzeugt, dass Spahns Gesetzesentwurf die Zahl der Organspenden deutlich erhöht hätte. Dennoch versteht er, dass sich die Politik nicht über das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen hinwegsetzen will. Die beschlossene Lösung bringe allerdings einiges an Bürokratie mit sich, erinnert der Kammerchef. Er lobt die Änderung des Transplantationsgesetzes im vergangenen Jahr, die den Kliniken mehr Geld für die Organentnahme und den Transplantationsbeauftragten mehr Zeit für die Betreuung von Angehörigen zusichert. Es sei wichtig, dass genügend Ressourcen existieren, um mögliche Spender zu identifizieren.

Enttäuschung für alle, die ein Organ brauchen werden

Dr. Günther Matheis meint dagegen, dass die Bürger mehr in die Pflicht genommen werden müssten. Der Präsident der Landes­ärztekammer Rheinland-Pfalz hält die Widerspruchslösung „um einiges humaner als die Entscheidungslösung.“ Die Solidarität mit lebensbedrohlich Erkrankten müsse an erster Stelle stehen. Dementsprechend empfinden Organspendebetroffene die Ablehnung der Widerspruchslösung im Bundestag als einen „Schlag ins Gesicht“. Mit der Petition „Leben retten: Einführung der Widerspruchsregelung!“ setzten sie sich monatelang für Spahns Entwurf ein, trafen sich mit Abgeordneten zu Interviews und starteten eine Protestaktion. Die jetzige Entscheidung müssen sie erst einmal verdauen.

Natürlich ist auch die Enttäuschung der Verfechter des gescheiterten Gesetzesentwurfs groß. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gab sich überzeugt davon, dass die „Widerspruchslösung mehr hätte erreichen können“. Dennoch reagierte er diplomatisch und kündigte an, alles dafür zu tun, „dass die vom Deutschen Bundestag beschlossene Entscheidungslösung ein Erfolg wird“.

Sein Gefährte Professor Dr. Karl Lauterbach (SPD) kritisiert, dass sich durch die erweiterte Zustimmungslösung nichts an der Situation fehlender Organspenden ändern werde. Der Ausgang der Debatte sei eine Enttäuschung für all jene, die in Zukunft ein Organ brauchen werden. Es sei ein Recht verteidigt worden, „dass ich zwar Organe will, wenn ich sie benötige, aber selbst nicht bereit bin, je zu widersprechen, wenn ich nicht spenden will.“

Dass die jahrelangen Aufklärungskampagnen, zu denen auch die Krankenkassen verpflichtet wurden, keinen Effekt hatten, gibt die Barmer zu. Und Baden-Würt­tembergs Gesundheitsminister Manne Lucha (Bündnis 90/Die Grünen) erinnert daran, dass das Widerspruchsverfahren in Ländern, aus denen Deutschland Organe importiert, erfolgreich ist.

Medical-Tribune-Bericht

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