Primärarztsystem wirft Schatten Was bringt 2026 fürs hausärztliche Honorar?
Die neuen Vergütungsstrukturen bieten Hausärzten ab 2026 deutlich mehr Honorarpotenzial.
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Die reine Entbudgetierung konnte im 4. Quartal 2025 schon mal geübt werden. Sie ist einfach und kaum fehlerbeladen. Man bekommt für seine Leistungen nun harte Euros. Wenn man wie bisher weitermacht, sind Verluste ausgeschlossen. Aber auch mehr Umsatz ist möglich, wenn man medizinisch indizierte Leistungen erbringt, die zuvor, z. B. wegen der Diskrepanz zwischen Aufwand und Honorar, weniger zum Ansatz kamen.
Ein Beispiel sind die geriatrischen Leistungen. Insbesondere bei den GOP 03360 und 03362 handelt es sich um Versorgungsleistungen, die zusätzlich bei Menschen ab dem 70. Lebensjahr mit einem Pflegegrad oder einer definierten geriatrischen Symptomatik zum Einsatz kommen sollen. Macht man das jetzt bei all diesen Personen, steigt der Fallwert um rund 20 Euro/Quartal.
Ähnliches gilt (ggf. praxisindividuell) für weitere Leistungen, die bisher wenig oder gar nicht abgerechnet wurden. Ein Blick in die Abrechnungs- und Summenstatistik, die man von der KV am Quartalsende erhält, liefert die Erkenntnisse.
Ein anderes Ereignis wird allerdings in absehbarer Zeit die hausärztliche Arbeit verändern. Nach der SPD ist nun auch die CDU von der Notwendigkeit eines Primärarztsystems überzeugt, wie es in anderen europäischen Ländern schon lange existiert. Man will damit zumindest teilweise die wachsenden Gesundheitsausgaben in den Griff bekommen – und das könnte funktionieren.
Die HzV bringt den Krankenkassen Kostenvorteile
Studien und Evaluationsberichte zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) belegen z. B. Einsparungseffekte durch weniger Klinikaufenthalte. Allein durch kürzere Liegezeiten im Krankenhaus konnten Ausgaben von mehreren hundert Euro pro Versicherten und Jahr vermieden werden.
Auch die Reduzierung von direkten Facharztbesuchen und geringere Arzneimittelkosten durch eine konsequente und rationale Verordnungsweise sowie durch das Vermeiden von Wechselwirkungen bei Patientinnen und Patienten mit Polypharmazie haben nachweislich zu Einsparungen geführt.
Die vorliegenden Erhebungen beziffern diesen Effekt bei der HzV auf etwa 5 bis 10 % der Gesamtkosten pro Versicherten im Vergleich zu Nicht-Teilnehmenden. Bei einer chronisch kranken Person, deren Versorgung mehrere tausend Euro pro Jahr kostet, potenziert sich das noch.
Das dürfte den Gesetzgeber dazu veranlassen, das HzV-Modell als Primärarztsystem auf eine bundesweite und gesetzlich verbindliche Ebene zu heben. Gerät die Regierungskoalition zwischenzeitlich nicht ins Schlingern, ist davon auszugehen, dass eine solche Maßnahme ab 2027 in Angriff genommen wird.
Wichtig ist, dass man als Hausärztin bzw. Hausarzt im „Wald auch die Bäume erkennt“ und rechtzeitig die Weichen für die (nahe) Zukunft stellt. Schon die ab Januar 2026 gültige Vorhaltepauschale beinhaltet Elemente eines Primärarztsystems. Die Vergütung der GOP 03040 erfolgt nicht mehr allein nach dem St. Florians-Prinzip, sondern leistungsabhängig.
Die einzelnen Kriterien, die über eine Vergütung nach den GOP 03041 und 03042 entscheiden, lassen erkennen, wie man sich auf der politischen und der Kassenebene, die Primärärztin bzw. den Primärarzt vorstellt. Es werden die Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) als Modell der Zukunft bevorzugt, Impfungen als hausärztliche (Super-)Grundleistung abgefordert und Leistungen hervorgehoben, die als typisch hausärztlich eingestuft werden.
Die zehn Kriterien, die darüber entscheiden, ob eine Praxis z. B. bei 399 Fällen ohne erfüllte Kriterien ein Grundhonorar von 5.845,35 Euro im Quartal erhält oder eine Praxis mit 1.500 Fällen und der GOP 03042 als Zuschlag 31.590 Euro, signalisieren, was von einer Primärarztpraxis der Zukunft erwartet wird.
Selbstverwaltung ringt mit der Versorgungspauschale
Das wird durch die überfällige Einführung der Versorgungspauschale noch deutlicher werden. Allein die Tatsache, dass diese Leistung, die es laut Gesetz eigentlich schon zum 1. August 2025 hätte geben müssen, vermutlich erst zum 1. April 2026 kommt, zeigt, dass der Berg kreißt. Wie groß die Maus sein wird, die er gebärt, bleibt abzuwarten.
Die Verhandlungen lassen eine „primärärztliche Tendenz“ erahnen. Man hat sich bereits darüber geeinigt, dass diese Pauschale zwei Quartale umfassen und die Bewertung in drei nach Alter gestaffelten Stufen erfolgen soll. Da diese Leistung eine Versicherten- und eine Chronikerpauschale beinhaltet, wird die Bewertung spannend.
Strittig ist noch, welche Diagnosen die Pauschale auslösen kann. Die Kassen wollen das auf Hypertonus, Schilddrüsenerkrankungen und Lipidstoffwechselstörungen begrenzen. Fraglich ist dabei, ob es ggf. statt der neuen Pauschale bei den bisherigen Abrechnungsregeln bleibt, wenn eine Patientin bzw. ein Patient im Abrechnungszeitraum weitere dringende Behandlungsanlässe neben der chronischen Erkrankung hat. Es wird an eine Kontaktziffer gedacht, mit der die Anzahl der Kontakte im folgenden Quartal erfasst und so pauschal in Rechnung gestellt werden könnte.
Wie können sich Praxen auf die neue Sachlage einstellen?
Offenbar ist noch unklar, ob oder wie die Vorhaltepauschale neben der Versorgungspauschale zum Ansatz kommen kann. Völlig offen ist, welche „Sanktionen“ zum Tragen kommen, wenn eine Patientin oder ein Patient – entgegen der gesetzlichen Vorgabe – mehrere Hausarztpraxen aufsucht. Denn die Versorgungspauschale kann praxisübergreifend nur einmal berechnet werden.
Strategische Maßnahmen
Aufgrund der bereits umgesetzten und ab 2026 noch zu erwartenden Maßnahmen im Gesundheitswesen ist jede Hausarztpraxis gut beraten, rechtzeitig und möglichst umfassend folgende Maßnahmen für sich in Betracht zu ziehen:
- Nach Möglichkeit eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) oder ein MVZ gründen.
- Einen Tätigkeitsschwerpunkt auf geriatrischer Patientinnen und Patienten ausrichten.
- So umfangreich wie möglich impfen und Vorsorgeleistungen erbringen.
- Mit einem „intelligenten“ Praxismanagement bei Alltagsfällen sowie Menschen mit leichten sowie leichten chronischen Erkrankungen den Praxisablauf zeitlich entlasten.
Will man ein Abrechnungschaos vermeiden, muss zeitnah ein Primärarztsystem folgen. Denkbar wäre deshalb, dass bis dahin die Entscheidung über die Regelungen zur Versorgungspauschale ausgesetzt wird.
Erkennbar wird eine Tendenz: Die (Muster-)Hausarztpraxis soll in die Lage versetzt oder gar gezwungen werden, sich schwerpunktmäßig auf die Versorgung der nachhaltig Kranken zu konzentrieren. Dafür ist ein höheres Honorar vorgesehen und möglich. Dieses muss sich die Praxis allerdings durch strukturelle Anpassungen bei der Leistungserbringung verdienen.
Medical-Tribune-Bericht