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Cannabis Insbesondere junge Konsument:innen bringen sich in Gefahr

Autor: Dr. Susanne Meinrenken

Eine Cannabisabhängigkeit äußert sich durch Entzugssymptome, erhöhte Toleranz und fortgesetzten Konsum trotz negativer Folgeerscheinungen. Eine Cannabisabhängigkeit äußert sich durch Entzugssymptome, erhöhte Toleranz und fortgesetzten Konsum trotz negativer Folgeerscheinungen. © 24K-Production – stock.adobe.com
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Cannabis ist nach Alkohol und Tabak die wohl am häufigsten konsumierte psychoaktive Substanz. Besonders populär ist die Droge bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren. Doch der langjährige und intensive Konsum von Marihuana oder Haschisch birgt eine ganze Reihe von Gefahren. 

Weltweit konsumieren geschätzt 209 Millionen Menschen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren Cannabis. Das sind 4 % dieser Altersgruppe, schreibt Prof. Dr. David­ Gorelick­ von der University of Maryland School of Medicine, Baltimore. In den USA liegt bei 14,4 % der 18- bis 25-Jährigen eine Cannabis­gebrauchsstörung vor, ordnet der Experte das Missbrauchs- und Suchtpotenzial der Pflanze ein. 

Im Median beginnt die Abhängigkeitserkrankung im Alter von 22 Jahren. Das Risiko steigt, wenn die Droge bereits früh im Leben genommen wird. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden führt der Konsum Studien zufolge langfristig zu subtilen kognitiven Beeinträchtigungen und erhöht offensichtlich das Risiko für kriminelles Verhalten und den Missbrauch anderer Substanzen.

Im DSM-5-TR* sind sieben Erkrankungen gelistet, die mit dem Cannabiskonsum einhergehen können. Neben der Konsumstörung sind dort die akute Intoxikation, verschiedene subakute cannabis­induzierte Erkrankungen sowie das Cannabisentzugssyndrom genannt. Vor allem die Folgeerkrankungen können schwere Gesundheitsschäden oder gar Todesfälle nach sich ziehen, wobei der Pflanzendroge auch bei Verkehrsunfällen, Suizid sowie Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einige Bedeutung zukommt. 

Cannabis wirkt im Endocannabinoidsystem des menschlichen Körpers (s. Kasten). Sowohl im Gehirn als auch außerhalb des ZNS bindet das Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) als partieller Agonist an die Cannabinoid­rezeptoren Typ 1 und Typ 2. Cannabidiol (CBD) wirkt nur begrenzt über diese Rezeptoren. Inhaliert als Rauch oder Dampf erreicht THC innerhalb von zehn Minuten seine stärkste Wirkung, nach oraler Einnahme ist der maximale Plasmaspiegel erst nach zwei bis sechs Stunden erreicht.

Who is Who beim Cannabis

Mehr als 500 Inhaltsstoffe der Cannabispflanze hat man bislang identifiziert, rund 125 davon sind Phytocannabinoide. Die stärkste psychoaktive Wirkung kommt dem Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) zu. Cannabidiol (CBD) vermittelt vor allem anxiolytische und analgetische, möglicherweise auch antipsychotische Effekte. Anders als THC wirkt CBD nicht euphorisierend.

Je nach Konsumverhalten und Menge kommt es bei einer akuten Intoxikation zunächst zu psychischen Veränderungen, insbesondere zu Euphorie, dem Gefühl von Entspannung oder gar Sedierung sowie gesteigertem Appetit. Psychotische Symptome sind seltener. Vor allem bei hoher Dosierung können Panik­attacken oder Paranoia auftreten. Oft sind Kurzzeitgedächtnis und Konzentrationsvermögen beeinträchtigt. Hinzu kommen können verwaschene Aussprache, Koordinationsstörungen, ein Trockenheitsgefühl im Mund, gerötete Bindehaut und ein horizontaler Nystagmus, beim Inhalieren auch Husten oder Atemnot. Eine besondere Gefahr stellen mögliche kardiologische Folgen wie Hypotonie und Tachykardie bis hin zu Rhythmusstörungen dar. 

Intoxikationen verlaufen meistens­ eher mild und innerhalb von 24 ­Stunden selbstlimitierend. Für Kleinkinder kann eine Vergiftung­ jedoch Lebensgefahr bedeuten. Gründe für eine Notfallbehandlung sind starke Beeinträchtigungen, vor allem schwere psychotische Symptome. Ein Antidot ist nicht verfügbar. 

Länger andauernde psychische Symptome bei Cannabiskonsum oder -entzug können Ausdruck sub­akuter Folgeerkrankungen sein, wobei diese Krankheitszeichen bei Abstinenz innerhalb eines Monats verschwinden, schreibt Prof. Gorelick­. Er verweist auf das DSM-5, in dem in diesem Zusammenhang Angst- und Schlafstörungen, Psychosen und Delir aufgeführt sind. Angstzustände nach dem Gebrauch THC-haltiger Produkte sind ein häufiger Grund dafür, dass Patienten in die Notaufnahme kommen. Sie lassen meist innerhalb eines Tages deutlich nach.

Leichte bis schwere psychotische Beschwerden findet man bei 5–50 % der Konsumenten mit Cannabisintoxikation, abhängig davon, welchen Maßstab man anlegt. Etwa ein Fünftel bis die Hälfte derjenigen mit einer cannabis­induzierten Psychose haben langfristig mit einer schizophrenie­ähnlichen Erkrankung zu ­kämpfen.

Mit Desorientierung und Halluzinationen manifestiert sich das cannabis­induzierte hyperaktive oder auch das hypoaktive Delir. Einschlafstörungen bei fortgesetztem Konsum von Haschisch oder Marihuana sind leicht und meist vorübergehend, während der Entzug häufig schwere Schlafprobleme nach sich zieht. Diese sub­akuten Störungen behandelt man in der Regel supportiv und symptomatisch.

Etwa die Hälfte der Konsumenten, die täglich Cannabiserzeugnisse nutzen, entwickelt nach einer deutlichen Dosisreduktion oder nach Absetzen der Droge meist leicht ausgeprägte Entzugssymptome, die sich in der Regel von Tag 2 bis Tag 6 steigern, um nach mehreren Wochen abzuklingen. Typisch, aber häufig nicht behandlungsbedürftig, sind Reizbarkeit, Unruhe und depressive Stimmung. Zu körperlichen Symptomen kommt es selten.

Das Auftreten von Entzugssymptomen ist eines der Kriterien für eine Substanzgebrauchsstörung. Weitere sind eine erhöhte Toleranz sowie der fortgesetzte Konsum trotz bereits eingetretener negativer Folgen. Diagnostisch im Vordergrund steht jedoch die fehlende Kontrolle über das eigene Konsumverhalten. 

Risiko der Abhängigkeit steigt mit THC-Gehalt

Das Risiko für eine Cannabis­abhängigkeit steigt mit zunehmender Häufigkeit und Dauer des Gebrauchs: 3,5 % derjenigen, die die Droge seltener als zwölfmal pro Jahr konsumieren, entwickeln eine solche Störung. Bei täglicher oder nahezu täglicher Nutzung ist es jeder Dritte. Auch der THC-Gehalt des Cannabis spielt bei der Abhängigkeitsentwicklung eine Rolle. Grundsätzliche Risikofaktoren sind, wie bei anderen Drogen auch, genetische Faktoren sowie belastende Erfahrungen oder psychische Auffälligkeiten in Kindheit oder Jugend.

Je nach Schweregrad der Abhängigkeit kommen eine kurze beratende Intervention oder psychotherapeutische Methoden zum Einsatz. Medikamente spielen eine untergeordnete Rolle. Allerdings weisen betroffene Patienten häufig einen problematischen Konsum noch anderer Drogen auf, häufig auch psychische Komorbiditäten.

* Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5th Edition, Text Revision

Quelle: Gorelick DA. New Engl J Med 2023; 389: 2267-2275; DOI: 10.1056/NEJMra2212152