Kognitive Defizite Krebspatient:innen: Verwirrt, sprachlos, frustriert

AIO-Herbstkongress 2025 Autor: Lara Sommer

Nach einer Krebsbehandlung bleiben oft Kognitive Defizite. Nach einer Krebsbehandlung bleiben oft Kognitive Defizite. © SomethingCool! – stock.adobe.com

Der Krebs geht, aber kognitive Defizite bleiben – für viele Überlebende leider Realität. Eine Expertin erörterte, wie oft Dysfunktionen vorkommen, wie sie sich beurteilen lassen und was dagegen hilft.

Kognitive Dysfunktionen (KD) gehören zu den häufigsten und für Patient:innen belastendsten Folgeerscheinungen von Krebserkrankungen und deren Behandlung, so PD Dr. Georgia Schilling aus der Asklepios Nordseeklinik Westerland, Sylt. Sie äußerten sich vielfältig (s. Kasten) und beeinflussten die Lebensqualität erheblich.

Wie oft kommt es zu Beeinträchtigungen der Kognition?

Die Inzidenz tumor- und therapiebedingter kognitiver Dysfunktionen liegt laut Literatur bei bis zu 75 % für Tumoren außerhalb des ZNS, schilderte die Expertin. 15–45 % der Patient:innen beklagten auch im Langzeitverlauf Defizite, manchmal noch 20 Jahre später. 

Das Problem sei komplex und nicht auf die Chemotherapie allein zurückzuführen: „Es gibt viele Faktoren, die zur kognitiven Dysfunktion beitragen, wie Depressionen, Ängste oder Fatigue, auch die Wahrnehmung einer verminderten Lebensqualität oder posttraumatischer Stress.“ Multifaktoriell haben zudem u. a. biologische und genetische Merkmale, soziodemografische Faktoren, Komorbiditäten und der Lebensstil einen Einfluss.

So äußert sich die kognitive Dysfunktion

Es können folgende Bereiche kurzfristig, langfristig oder auch dauerhaft funktionell gestört sein:

  • Aufmerksamkeit
  • Konzentrationsfähigkeit
  • Denkprozesse
  • Gedächtnisleistung
  • Lernfähigkeit
  • Wortfindung
  • Koordination
  • Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu erledigen

Was schadet außer der Chemotherapie?

Trotz der überholten Bezeichnung „Chemo Brain“ spielen auch andere Behandlungsformen eine Rolle. Ob eine endokrine Therapie KD verursacht oder verschlimmert, bleibt umstritten. TKI und Immunmodulatoren wie Lenalidomid haben ZNS-Nebenwirkungen, aus denen kognitive Defizite resultieren können. Zu Immuntherapien fehlen wiederum bisher Daten. „Ich bin überzeugt, dass wir, wenn wir danach gucken, das auch finden werden“, kommentierte Dr. Schilling. Strahlentherapien stellten ein Problem dar, nach einer zerebralen Radiatio entwickeln sogar 50–90 % eine KD. Nicht vergessen sollte man ihr zufolge den möglichen Effekt von Operationen auf die geistige Klarheit, insbesondere für ältere Patient:innen. Ab 60 Jahren beträfen Eintrübungen bis zu 40 % der Operierten.

Was bedeutet eine KD für die Teilhabe an Alltag und Arbeitsmarkt?

Eine KD beeinflusst die Teilnahme am Sozial- und Erwerbsleben. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2009 nehmen Überlebende mit kognitiven Defiziten seltener innerhalb eines Jahres ihre berufliche Tätigkeit wieder auf (47 % vs. 30 %). Personen mit kognitiv anspruchsvollen Tätigkeiten, etwa Lehrkräfte, Maschinenführer:innen oder Fluglots:innen, kann schon eine milde Symptomatik in ihrer Berufsausübung einschränken. Mittelschwere Gedächtnisstörungen machen wiederum potenziell sogar einfache Tätigkeiten unmöglich. 

Dr. Schilling rät aber auch, abzuwarten: „Die kognitive Dysfunktion ist kein stationäres Geschehen. Sechs bis neun Monate nach Therapieende können sich schon deutliche Verbesserungen eingestellt haben.“ Deshalb sollten Behandelnde diese während der Nachsorge regelmäßig neu beurteilen.

Grad nach CTCAE123
Ausmaß der Defizitemilde kognitive Einschränkung moderate kognitive Einschränkungschwere kognitive Einschränkung
betroffene Lebensbereichebehindert Arbeit/Schule/Alltagsaktivitäten nicht beeinträchtigt Arbeit/Schule/Alltagsaktivitäten, aber unabhängige Lebensführung möglichtiefgreifende Leistungsminderung bei Arbeit/Schule/Alltagsaktivitäten 
Hilfsbedarfeigenständige Versorgung nicht mehr möglichspezialisierte Ressourcen zumindest zeitweise/in bestimmten Bereichen nötigeigenständige Versorgung nicht mehr möglich

Wie lässt sich das Ausmaß der Defizite einschätzen?

Wie bei anderen Komplikationen bewerten Ärzt:innen den Schweregrad einer kognitiven Dysfunktion gemäß den CTCAE-Kriterien (s. Tabelle). Grundsätzlich existiert eine Vielzahl von Werkzeugen, die von visuellen Analogskalen über Fragebögen und computerbasierten Screeningansätzen bis zu einem umfassenden neuropsychologischen Assessment reichen.

Wie die Referentin beklagte, gibt es bisher keinen einheitlichen Diagnosestandard für KD unter und nach der Krebstherapie. Neuropsychologische Untersuchungen fänden in der Praxis keine breite Anwendung, da Personal- und Zeitaufwand sowie Kosten dem im Wege stehen.

Was hilft Betroffenen?

„Lösen Sie Kreuzworträtsel, spielen Sie Scrabble, machen Sie Sudokus“, rät die in einer Rehaklinik tätige Kollegin ihren Patient:innen gerne, je nach individueller Präferenz. Aber auch Memory spielen oder Kindern vorlesen könne helfen, kognitive Funktionsstörungen zu bessern.

150 Minuten moderate bis kräftige Bewegung pro Woche wirken sich zwar nicht unmittelbar auf die Kognition aus, reduzieren aber Schmerzen und Fatigue, die Kofaktoren für eine KD darstellen. Dr. Schilling fuhr fort: „Besonders gut wirken meditative Ansätze wie MBSR*, Yoga oder auch Qigong.“ Dünner gestaltet sich die Datenlage hinsichtlich verhaltenstherapeutischer Maßnahmen, sodass sie eine psychotherapeutische Behandlung aufgrund einer KD nicht generell empfehlen kann. Für die Expertin zählt die Kognitive Verhaltenstherapie aber durchaus zu einer multimodalen Strategie für bestimmte Patient:innengruppen.

Webbasierte neurokognitive Rehabilitationsprogramme konnten zumindest Verbesserungen in einzelnen Domänen erreichen. Für den Nutzen von Medikamenten wie Psychostimulanzien oder Antidementiva gibt es hingegen keine belastbare Evidenz. Eine Studie zu Donepezil bei Brustkrebsüberlebenden fiel beispielsweise enttäuschend aus.

Künftig könnten digitale Anwendungen Betroffene unterstützen. So hat bereits eine DiGA zum Gedächtnistraining die Zulassung erhalten, allerdings nur für die Diagnose „milde kognitive Einschränkung“. „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dieser App in der Reha gemacht“, schloss die Onkologin, und im kommenden Jahr werde es eine Studie spezifisch zum Einsatz bei Krebspatient:innen geben.

* Mindfulness-based Stress Reduction

Quelle:
Schilling G. 22. AIO Herbstkongress; Vortrag „Kognitive Dysfunktion bei onkologischen Patientinnen und Patienten“