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Lebertransplantation sogar bei akut-auf-chronischem Versagen sinnvoll

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Aktuell werden jene Patienten bei der Zuweisung eines Spenderorgans bevorzugt, die gemäß MELD-Score (Model of Endstage Liver Disease) am schwersten erkrankt sind. Aktuell werden jene Patienten bei der Zuweisung eines Spenderorgans bevorzugt, die gemäß MELD-Score (Model of Endstage Liver Disease) am schwersten erkrankt sind. © iStock/photographereddie
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Die Zahl der Lebertransplantationen in Deutschland geht stetig zurück. Bis sich das ändert, müssen Ärzte die Prognose und Dringlichkeit weiterhin an Scores und Richtlinien abschätzen. Diesbezüglich hat sich zuletzt einiges getan.

Gerade erst wurde drei Medizinern für ihre Entdeckung des Hepatitis-C-Virus im Jahr 1989 der Nobelpreis verliehen. Mittlerweile lassen sich Zirrhosen auf dem Boden von Virushepatitiden gut kontrollieren, weshalb sie als Indikation für eine Lebertransplanta­tion zunehmend in den Hintergrund rücken. Ihren Platz eingenommen haben hepatozelluläre Karzinome und die Spätfolgen (nicht-)alkoholassoziierter Lebererkrankungen, schreiben der Internist Dr. Niklas­ F. Aehling­ vom Universitätsklinikum Leipzig und Kollegen.

Aktuell werden jene Patienten bei der Zuweisung eines Spenderorgans bevorzugt, die gemäß MELD-Score (Model of Endstage Liver Disease) am schwersten erkrankt sind. Der Score erlaubt eine Einschätzung über die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten drei Monaten an einer Lebererkrankung zu sterben. Allerdings bildet das System nicht für jeden Patienten dessen Dringlichkeit adäquat ab, weshalb die Bundesärztekammer eine individuelle Adaptation ihrer Richtlinien erlaubt, erinnern die Autoren.

Ein gutes Beispiel für die Grenzen des MELD-Scores ist das „akut-auf-chronische Leberversagen“, ein Syndrom, das neben einer dekompensierten Zirrhose von weiteren versagenden Organen gekennzeichnet ist. Problem dabei sei laut den Leipziger Kollegen, dass Ärzte die Betroffenen oftmals als zu krank einschätzen, um sie überhaupt für einen Platz auf einer Warteliste in Erwägung zu ziehen. Dabei könne eine Transplantation – wenn auch in einem begrenzten Zeitfenster – sehr wohl erfolgreich sein, sogar­ mit guter Langzeitprognose.

Mailand oder Madrid? Hauptsache, die Prognose stimmt

Die HCC-Mailand-Kriterien sollen eine valide Einschätzung des Rezidivrisikos von Patienten mit Leberzellkarzinom erlauben. Ein „sehr gutes und mit keiner anderen Therapie zu erreichendes rezidivfreies Langzeitüberleben von etwa 70 %“ wird erreicht mit
  • max. drei Malignomherden in der Leber (≤ 3 cm) oder einem Herd mit ≤ 5 cm
  • tumorfreie Hauptlebergefäße
  • keine Fernmetastasen
Neue Vorschläge gehen dahin, auch Patienten nach dem „Upto- seven“-Prinzip zu behandeln. Dabei darf die Summe aus Anzahl der Tumorläsionen und ihrem Maximaldurchmesser höchstens 7 cm betragen, keine Makrogefäßinvasion und keine Fernmetastasierung vorausgesetzt.

Vor dem Hintergrund der Zirrhose nach Alkoholmissbrauch stellt sich zunehmend häufiger die Frage: Ist die geforderte, mindestens sechsmonatige strikte Alkoholkarenz vor der Transplantation immer und bei allen Patienten sinnvoll bzw. notwendig? Natürlich, die Vorgabe hat ihre Gründe: Zum einen erholen sich Leberfunktionen und assoziierte Komplikationen oft überraschend gut, wenn sich das Organ nicht ständig am Alkohol abarbeiten muss – was eine Transplantation ggf. weniger dringlich werden lässt. Zudem könnte die strikte Abstinenz Hinweise darauf liefern, ob die Patienten auch mit einem neuen Organ auf Alkohol verzichten. Viele Experten diskutieren diese Punkte jedoch kontrovers. Nicht nur die Dauer des Verzichts, sondern auch Aspekte wie das soziale Umfeld, eine geregelte Berufstätigkeit und eventuelle psychiatrische Komorbiditäten spielen eine Rolle bei der Adhärenz, so die Argumente. Zudem sei nicht gesagt, dass eine halbjährige präoperative „Trockenheit“ der ausschlaggebende Faktor dafür ist, künftig der Flasche entsagen zu können. Eine stabile Partnerschaft stabilisiere Patienten womöglich viel stärker.

Krebskranke in spezialisierte Zentren überweisen

Zunehmend sprechen die Erfolgsraten der Transplantation bei akuter Alkoholhepatitis – sprich ohne irgendeine Karenzzeit – dafür, dass sogar bei Betroffenen mit dekompensierter alkoholbedingter Zirrhose individuell entschieden werden sollte, schreiben die Autoren. Hierzulande ist dies mit dem Gutachten einer von der Bundesärztekammer benannten Sachverständigengruppe möglich. Aufgrund der Organknappheit müssen Ärzte sogar beim Leberzellkarzinom jene Patienten priorisieren, die ein möglichst geringes Rezidivrisiko aufweisen. Grundlage dafür bilden in der Regel die „HCC-Mailand-Kriterien“ (s. Kasten). Die Autoren raten jedoch dazu, Betroffene in jedem Fall an ein spezialisiertes Zentrum zu überweisen, da sich der Tumor beispielsweise durch eine neoadjuvante Therapie in ein prognostisch günstiges Stadium „down­stagen“ lässt.

Quelle: Aehling NF et al. Dtsch Med Wochenschr 2020; 145: 1124-1131; DOI: 10.1055/a-0982-0737