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Nierenfunktion Richtig formuliert

DGIM 2022 Autor: Dr. Anja Braunwarth

Konkrete Richtlinien oder Empfehlungen für den Einsatz der (invasiv) gemessenen GFR gibt es noch nicht, sie sollen jedoch erarbeitet werden. Konkrete Richtlinien oder Empfehlungen für den Einsatz der (invasiv) gemessenen GFR gibt es noch nicht, sie sollen jedoch erarbeitet werden. © iStock/Md Saiful Islam Khan
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Dass man besser die glomeruläre Filtrationsrate als das Kreatinin zur Beurteilung der Nierenfunktion nutzen sollte, hat sich herumgesprochen. Doch zur Berechnung der GFR gibt es eine Fülle verschiedener Formeln und es ist beileibe nicht egal, welche man wählt.

Die erste Formel für die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) errechneten Cockgroft und Gault 1976 aus einem rein männlichen Kollektiv auf Basis der Kreatininclearance. 1999 folgte die MDRD (Modification of Diet in Renal Disease), errechnet aus der Clearance über Iothalamat. „Die MDRD wurde aber ausschließlich an Kranken entwickelt“, betonte Prof. Dr. Elke Schäffner vom Institut für Public Health der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Wiederum zehn Jahre später kam die CKD-EPI (Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration), die inzwischen mehrfach modifiziert wurde und Cystatin C mit oder ohne Kreatinin berücksichtigt. Für Kinder gibt es die Schwartz-Formel (CKiD). Das gesamte Altersspektrum von zwei bis 100 Jahre umfasst die 2017 erschienene FAS (Full Age Spectrum).

Was macht aber nun die Unterschiede aus? Zunächst hat die zugrunde liegende Population Einfluss. Eine Gleichung, die bei Nierenkranken entwickelt wurde, wird die GFR bei renal Gesunden unterschätzen – Beispiel MDRD – und umgekehrt. Dann spielt die mathematische Modellierung eine Rolle. Formeln, die logarithmische Funktionen benutzen wie die MDRD, überschätzen die GFR im Alter, solche mit linearen Funktionen „modellieren“ das Alter. Die CKD geht z.B. von einem Funktionsabfall ab 18 Jahren aus.

Indikationen für die invasive Messung

Konkrete Richtlinien oder Empfehlungen für den Einsatz der (invasiv) gemessenen GFR gibt es noch nicht, sie sollen jedoch erarbeitet werden. Bei folgenden Indikationen ist die invasive GFR-Messung Experten zufolge angeraten:

  • Kachexie/Adipositas
  • Festlegung von Medikamentendosierungen
  • Diskrepanzen zwischen Kreatinin und Cystatin C
  • Leberzirrhose, starke Ödeme
  • schwarze Rasse
  • Zustand vor Transition in ein Nierenersatzverfahren
  • Organempfänger (nicht Niere)
  • Lebendnierenspender

Viele Faktoren beeinflussen Kreatinin und Cystatin C

Schließlich haben auch die verwendeten Biomarker Bedeutung: Kreatinin wird z.B. von der Muskelmasse, dem Alter, Geschlecht und Ethnie beeinflusst, Cystatin C von Adipositas, Diabetes, Rauchen, chronischer Inflammation, Schilddrüsenfunktion oder Steroideinnahme.

Prof. Schäffner verdeutlichte die Auswirkungen am Beispiel einer sarkopenischen 102-Jährigen mit einem Kreatinin von 0,45 mg/dl und einem Cystatin C von 1,55 mg/dl – bei einem BMI von 17,26 kg/m2. Nimmt man für die Dame die MDRD, ergibt sich eine GFR von 128 ml/min/1,73m2, mit der CKD-EpiCrea von 82 ml/min/1,73m2, mit der CKD-EpiCrea/CysC von 53 ml/min/1,73m2 und mit der CKD-EpiCysCvon 34 ml/min/1,73m2. Dieser Unterschied von bis zu 94 ml/min reicht über vier Stadien der Niereninsuffizienz.

Welche Formel wann?

  • Kinder: CKid (Schwartz) oder EKFC, Cystatin-C-basierte Formel
  • junge Erwachsene (18–20 Jahre): EKFC (CKD-Epi überschätzt die GFR)
  • Erwachsene (30–70 Jahre): EKFC/CKD-EpiCrea, bei stark fortgeschrittener Niereninsuffizienz auch MDRD möglich
  • höheres Alter: EKFC oder CKD-EpiCreaCysC, keine MDRD
  • Sarkopenie und Athleten: Cystatin-C-basierte Formel alleine oder in Kombination mit Kreatinin
  • Patienten unter Chemotherapie: eher kreatininbasiert
  • adipöse Patienten: eher kreatininbasiert
  • Patienten auf Intensivstation (Schwerkranke, GFR evtl. instabil): eher Cystatin-C-basiert (Medikamentendosierung wichtig)

Auf der FAS und der CKD-Epi aufbauend wurde im letzten Jahr die modifzierte EKFC*-Gleichung herausgegeben. Die passt jedoch ebenso wenig für alle, betonte Prof. Schäffner. Sie nannte daher Vorschläge für verschiedene Altersgruppen bzw. Szenarien (s. Kasten). Letztlich sollte man aber auch immer seinem klinischen Blick vertrauen und diesen mit in die Entscheidung einbeziehen, welche Formel man anwendet, riet die Kollegin.

* European Kidney Function Consortium

Quelle: 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin