Wegweiser für die Praxis Update der KDIGO-Leitlinie: Die Top-10-Takeaways

Die im April 2024 publizierte aktualisierte Leitlinie der Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) zur Evaluation und zum Management der chronischen Nierenerkrankung (CKD) stellt eine umfassende Revision der bisherigen Empfehlungen dar. Basierend auf aktuellen Daten aus randomisierten Studien und Kohortenanalysen adressiert die neue Leitlinie alle Aspekte entlang des CKD-Kontinuums – von der Diagnostik über die Risikostratifizierung und Therapie bis hin zu Betreuungspfaden und der Medikationssteuerung („Medication Stewardship“).
Die Empfehlungen wurden nicht nur aktualisiert, sondern grundlegend neu strukturiert: 20 evidenzbasierte Leitlinienempfehlungen und zahlreiche konsensbasierte Praxis-Punkte geben einen präzisen Fahrplan für Evaluation, Risikoeinschätzung, Therapie und Versorgungsmodelle vor.
Leitlinien der KDIGO
KDIGO-Leitlinien gibt es außer zu CKD Evaluation and Management auch zu folgenden Themen:
- Acute Kidney Injury
- Anemia in CKD
- ADPKD
- Blood Pressure in CKD
- CKD - Mineral and Bone Disorder
- Diabetes in CKD
- Glomerular Diseases
- ANCA Vasculitis
- IgAN/IgAV
- Lupus Nephritis
- Nephrotic Syndrome in Children
- Hepatitis C in CKD
- Lipids in CKD
- Living Kidney Donor
- Transplant Candidate
- Transplant Recipient
Paradigmenwechsel: Cystatin C rückt ins Zentrum der Diagnostik
Ein Paradigmenwechsel zeichnet sich bei der GFR-Bestimmung ab: Cystatin C wird nun als diagnostisches Schwergewicht anerkannt – insbesondere in Kombination mit Kreatinin zur eGFR-Berechnung. Diese Methode bietet eine verlässlichere Risikostratifizierung, etwa auch bei älteren Menschen mit grenzwertiger Nierenfunktion. Für die klinische Praxis bedeutet das: mehr diagnostische Klarheit und eine gezieltere Patientenlenkung.
Die Heat Map 2.0: Risikobasierte Entscheidungsfindung
Die bekannte KDIGO-Heat-Map bleibt ein zentrales Instrument zur Einordnung von CKD-Schweregraden. Neu ist, dass die auf Cystatin C basierende eGFR-Berechnung in die Bewertung integriert wurde, was eine realistischere Einschätzung des Progressions- und kardiovaskulären Risikos ermöglicht. Besonders relevant: Ein G3A1-Stadium wird nun nicht mehr per se als „grün“ eingestuft, was für die klinische Entscheidungsfindung bei älteren Patient:innen von großer Bedeutung ist.
Monitoring und Prognose:
Der individualisierte Blick
Die neuen Leitlinien betonen das individuelle Fortschrittsrisiko. Die KDIGO empfiehlt erstmals mit höchster Evidenzbewertung (Level 1A) den Einsatz der Kidney Failure Risk Equation (KFRE). Ab einem 5-Jahres-Risiko von 3–5 % ist eine Überweisung zur Nephrologie indiziert, ab >40 % innerhalb von 2 Jahren sollte eine strukturierte Diskussion über den Beginn der Nierenersatztherapie erfolgen.
Weitere validierte Tools:
- ADPKD: Mayo-Klassifikation, PROPKD-Score
- IgA-Nephropathie: International Risk Prediction Tool
- Kardiovaskuläres Risiko: QRISK3, PREVENT
- Mortalitätsrisiko: CKD-PC-Kalkulator
Therapieoptimierung: Neue Standards in der Nephroprotektion
Mit Blick auf medikamentöse Strategien hebt KDIGO die Rolle von SGLT2-Inhibitoren auf das höchste Empfehlungsniveau (Level 1A), unabhängig vom Diabetesstatus. Auch Finerenon als nichtsteroidaler Mineralokortikoid-Rezeptorantagonist findet mit solider Evidenz Einzug in das therapeutische Repertoire – ein Pluspunkt für Patient:innen mit hohem kardiovaskulärem Risiko. GLP-1-Rezeptoragonisten werden zwar noch mit Datenstand von 2022 empfohlen (Level 1B), die FLOW-Studie untermauert jedoch deren renale und kardiovaskuläre Wirksamkeit. Ein Update der Empfehlung erscheint absehbar.
Blutdruck, Ernährung, Lifestyle – bewährte Prinzipien in neuem Licht
Das systolische Ziel von 120 mmHg bleibt erhalten, jedoch mit zurückhaltender Evidenzbewertung (Level 2B). In Ernährungsfragen dominieren bekannte Ratschläge: pflanzliche Proteine, reduzierte Natriumzufuhr, strukturierte Ernährungsberatung. Die Empfehlung zur Proteinreduktion auf 0,8 g/kg/Tag wird bestätigt, extrem proteinarme Diäten bleiben umstritten.
Komplikationsmanagement und „Drug Stewardship“
Bei CKD-assoziierten Komplikationen wie metabolischer Azidose, Hyperkaliämie und Hyperurikämie gibt es nuancierte Neuerungen. So wird z. B. eine Therapie der Azidose ab <18 mmol/l Serum-Bikarbonat erwogen, neue Kaliumbinder bleiben mangels Endpunktdaten außerhalb formaler Empfehlungen. Eine lipidsenkende Therapie (Statin oder Statin/Ezetimib) ist bei GFR <60 ml/min und Alter >50 Jahre mit Level 1A empfohlen. Auch bei GFR >60 ml/min und erhöhtem kardiovaskulären Risiko gilt eine klare Empfehlung (Level 1B). PCSK9-Inhibitoren können bei sehr hohem Risiko eingesetzt werden.
Im Sinne des „Drug Stewardship“ rückt KDIGO den differenzierten Umgang mit Kontrastmitteln, Metformin und RAS-Inhibitoren in den Fokus. Letztere sollen – teils entgegen bisheriger Empfehlungen – pausiert werden, was kontrovers diskutiert wird.
Versorgungsmodelle: Der Pfad zur integrierten Betreuung
Die Leitlinie plädiert deutlich für eine frühzeitige nephrologische Mitbetreuung – spätestens bei einem KFRE-Risiko von > 3–5 % oder einer GFR < 30 ml/min. Neben standardisierten Behandlungspfaden stehen nun auch Lebensqualität und informierte Entscheidungsfindung im Vordergrund. Digitale Tools wie Telehealth sollen diesen Weg künftig unterstützen.
Fazit
Die KDIGO CKD-Leitlinie 2024 stellt eine evidenzbasierte und klinisch hochrelevante Neuausrichtung der nephrologischen Versorgung dar. Insbesondere die konsequente Risikoindividualisierung, Integration neuer pharmakologischer Therapieoptionen und Betonung interdisziplinärer Betreuungspfade ermöglichen eine optimierte Betreuung von CKD-Patientinnen und Patienten über den gesamten Krankheitsverlauf hinweg.
Quellen:
KDIGO: kdigo.org; Leitlinie CKD Evaluation and Management: https://kdigo.org/guidelines/ckd-evaluation-and-management/
Top-10-Takeaways: https://kdigo.org/wp-content/uploads/2024/03/KDIGO-2024-CKD-Guideline-Top-10-Takeaways-for-Nephrologists-Evaluation.pdf und https://kdigo.org/wp-content/uploads/2024/03/KDIGO-2024-CKD-Guideline-Top-10-Takeaways-for-Nephrologists-Management.pdf