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Neue Leitlinie Update zur Lokaltherapie chronischer Wunden

Autor:  Dr. Anja Braunwarth

Der Einsatz von Fliegenlarven ist eines von verschiedenen Verfahren zur Behandlung chronischer Wunden. Der Einsatz von Fliegenlarven ist eines von verschiedenen Verfahren zur Behandlung chronischer Wunden. © Science Photo Library/Berrod Thierry, Mona Lisa Production
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Die Behandlung chronischer Wunden bereitet vielen Ärzten Kopfzerbrechen. Die letzte Leitlinie dazu erschien vor rund zehn Jahren. Jetzt steht endlich eine Aktualisierung vor der Tür.

Eigentlich sollte die S3-Leitlinie zur Lokaltherapie chronischer Wunden bereits veröffentlicht sein. Doch wie das mit Leitlinien oft so ist, gibt es Verzögerungen. Prof. Dr. ­Andreas ­Maier-Hasselmann von der Klinik für Gefäßchirurgie an der München Klinik Bogenhausen präsentierte aber vorab einige Auszüge. Zum Update der Leitlinie wurden 400 Volltexte aus den Jahren 2012 bis 2022 geprüft, 28 neu formulierte Schlüsselfragen – z.B. wie man stark riechende Wunden abdecken sollte – werden in 56 Empfehlungen adressiert. Zentral bleibt die Therapie der Grunderkrankungen, unter anderem durch Revaskularisierung, Druckentlas­tung, Kompressionsbehandlung und Einstellung eines Diabetes. 

Bei der Wahl des Verfahrens Patientenpräferenz beachten

Zum Thema passive periodische Wundreinigung hat Hydrogel jetzt eine Kann-Empfehlung, allerdings nicht wegen der Säuberung, sondern wegen der Rehydrierung. Trotz fehlender Evidenz kann man nach Patientenpräferenz und eigenen Erfahrungen folgende Verfahren vorschlagen

  • Fliegenlarven
  • Papaingel
  • Kollagenase
  • Dauerbefeuchtung mit Poly­acrylat
  • feuchte Biocellulose
  • medizinischer Honig

Was Wundauflagen betrifft, gibt es aufgrund fehlender Evidenz keine Empfehlung für keratinhaltige Auflagen, proteasenmodulierende Produkte, Hämoglobinspray, Wachstumsfaktoren, plättchenreiches Plasma, Kryotherapie, naturheilkundliche Verfahren und Auflagen mit Polyhexanid, Biguanid, Octenidin oder Silber. Das negative Fazit für Silber wird ausführlicher begründet. In den letzten zehn Jahren gab es dazu nur drei randomisierte, kontrollierte Studien, keine konnte einen signifikanten Vorteil im Endpunkt Wundheilung zeigen. „Wir wissen nicht, welchen Einfluss die Freisetzung von Silber­ionen auf die Heilung nimmt“, sagte Prof. Maier-Hasselmann. 

Das How-to der Wundversorgung

2021 wurden abseits von Leitlinien fünf Positiv- und vier Negativempfehlungen zur Therapie chronischer Wunden veröffentlicht. Sie basieren auf wissenschaftlichen Grundlagen und (inter)nationalem Expertenkonsens. Dr. Holger Diener von der Abteilung für Gefäß- und Endovaskularchirurgie am Krankenhaus Buchholz stellte sie vor: 

Positive Empfehlung:

  • Ursache durch weiterführende Diagnostik identifizieren, um eine kausale Therapie einzuleiten
  • regelhaft eine Gefäßdiagnostik durchführen (Doppler, Knöchel-Arm-Index ABI)
  • Wunddokumentation standardisieren
  • Exsudatmanagement als wesentlichen Bestandteil der modernen Wundversorgung betrachten
  • bei kritisch kolonisierten und infizierten Wunden antimikrobiell lokal therapieren

Negative Empfehlung: 

  • Wunden nicht mit ungefiltertem Leitungswasser ausspülen (Dr. Diener: „Das Wasser ist gut, aber der Duschkopf nicht“)
  • Wasserstoffperoxid und Chlorhexidin nicht zur antiseptischen Wundreinigung, Octenidindihydrochlorid nicht zur Spülung von Wundhöhlen verwenden
  • stark exsudierende Wunden auf dem Boden einer chronisch-venösen Insuffizienz oder PAVK nicht als Kontraindikation für eine Kompressionstherapie ansehen 
  • nicht zwangsläufig eine Antibiose einleiten, wenn eine chronische Wunde beginnt, sich zu entzünden

Applikation und Kontrolle bei Silber noch unklar

Außerdem ist nicht bekannt, welche dieser Auflagen wirklich zur Bekämpfung von Infektionen bei chronischen Wunden beitragen und warum die Produkte so unterschiedliche Mengen an Ionen freisetzen. Unklarheit herrscht auch darüber, ob man besser eine Auflage mit Silber desinfizieren oder die Ionen direkt an die Wunde abgeben sollte. Und schließlich existiert kein Messinstrument, um die Aktivierung oder Inaktivierung der geladenen Teilchen in der Wunde zu erfassen. 

Als empfohlene adjuvante Maßnahmen nannte Prof. Maier-Hasselmann die Vakuumversiegelungstherapie und hyperbaren Sauerstoff. Nicht angeraten werden Reizstrom, Photo-/Ultraschall-/Ozontherapie, Magnetfelder, Stoßwellen, kontinuierliche topische Sauerstoffapplikation und Kaltplasma.

Die ablehnende Haltung gegenüber Kaltplasma steht im Kontrast zu der unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie e.V. (DGMKG) 2022 erschienenen S2k-Leitlinie „Rationaler therapeutischer Einsatz von kaltem physikalischem Plasma“. Dort findet sich der folgende Hinweis: Es kann die kurative Behandlung von chronischen und infizierten Wunden durch Applikation von physikalischem Kaltplasma und entsprechende Wundtoilette empfohlen werden. „Das ist ein klarer Widerspruch zur Kernaussage der S3-Leitlinie, dass sich eine kurative Therapie nur durch Behandlung der Grundkrankheit erreichen lässt“, erklärte der Gefäßchirurg. Und zu den beiden anderen Kernempfehlungen, das Plasma auf ulzerierten, anaerob kontaminierten Metastasen einzusetzen sowie die Anwendung an qualifizierte Fachpflegekräfte zu delegieren, haben die Autoren des Updates der S3-Leitlinie keine Evidenz aus der Literatur vorliegen. 

Insgesamt sieht Prof. Maier-Hasselmann noch einige Ansätze, um die Aussagekraft aller Empfehlungen zu optimieren, beispielsweise Ergebnismessgrößen oder Chronizität besser zu definieren oder Wundparameter intelligent zu überwachen. Publizierte Studien sollten kritisch beob­achtet werden, zum Beispiel im Rahmen von gemeinsamen Arbeitskreisen. Außerdem wäre es nützlich, die Wundentwicklung unter definierten Therapien gewissenhaft zu dokumentieren und Therapeutika systematisch einzusetzen. Nur so könne man sie wirklich vergleichen, ist sich der Referent sicher.

Kongressbericht: 05. Nürnberger Wundkongress