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Endoskopie Wenn es aus dem Dünndarm blutet

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Dünndarmblutungen treten meist als stabile offene oder okkulte Blutungen auf. Dünndarmblutungen treten meist als stabile offene oder okkulte Blutungen auf. © iStock/myboxpra
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Etwa 5 bis 10 % aller gastrointestinalen Blutungen haben ihren Ursprung im Dünndarm. Im Gegensatz zum oberen und unteren Verdauungstrakt ist der Dünndarm mit konventionellen Endoskopieverfahren aber nicht vollständig einsehbar. Dank weiterentwickelter Untersuchungs­methoden lässt sich die Blutungsquelle in den meisten Fällen trotzdem lokalisieren.

Wenn bei der Ösophago-­Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) und der Koloskopie keine Blutungsquelle gefunden wird, obwohl es Anzeichen für eine gastrointestinale Blutung gibt (anhaltender Eisenmangel, positive Tests auf okkultes Blut im Stuhl, sichtbarer Blutverlust), liegt der Verdacht auf eine Dünndarmblutung nahe. Wichtige Differenzialdiagnosen bei Patienten unter 40 Jahren sind u.a. entzündliche Darmerkrankungen, Polyposis-Syndrome und Meckel-Divertikel. Bei Personen über 40 Jahren sollte vor allem auch an vaskuläre Läsionen und Enteropathien gedacht werden.

Um eine Blutungsquelle im oberen oder unteren Gastrointestinaltrakt sicher auszuschließen, sollte zunächst eine Wiederholung der endoskopischen Untersuchungen erwogen werden. Eine unmittelbare Untersuchung des gesamten Dünndarms ist lediglich in Ausnahmefällen angeraten, beispielsweise bei Patienten mit linksventrikulärem Herzunterstützungssystem, bei denen bis zu 30 % der gastrointestinalen Blutungen im Dünndarm verortet sind.

Videokapsel spürt bis zu 73 % der Blutungen auf

Bei okkulten oder stabilen offenen Dünndarmblutungen wird die Videokapselendoskopie als nächster Schritt nach der ÖGD und Koloskopie empfohlen. Mit dieser Methode lassen sich zwischen 53 bis 73 % der Dünndarmblutungen aufspüren. Es gibt keine absoluten Kontraindikationen für die Videokapselendo­skopie. In seltenen Fällen (1 bis 2 %) kann es jedoch auch bei Patienten ohne signifikante Risikofaktoren zu Kapselretentionen kommen. Das höchste Risiko hierfür tragen Patienten mit Morbus Crohn. Bei ihnen liegt die Rate der Kapselretentionen zwischen 3 % und 13 %.

Weitere Risikofaktoren sind ein Dünndarmverschluss in der Vorgeschichte, Verwachsungen im Bauchraum nach mehreren vorangegangenen Operationen und eine Strahlenenteritis. Um das Risiko für eine Kapselretention vor der Untersuchung abschätzen zu können, eignet sich der Einsatz einer Testkapsel. Die sogenannten Patency-Kapseln haben die gleiche Form und Größe wie die eigentlichen Videokapseln, lösen sich jedoch nach etwa 80 Stunden selbst auf.

Als Alternative zur Videokapsel­endoskopie bietet sich die Mehrschicht-Computertomographie (CT) an. Die Detektionsraten für gastrointestinale Blutungen liegen allerdings nur zwischen 28 % und 35 % und damit deutlich niedriger als bei der Video­kapselendoskopie. Bei Patienten mit Nierenerkrankungen sollte eine Mehrschicht-CT nach Möglichkeit vermieden werden.

Bei nachgewiesener Blutung steht die Enteroskopie an

Sofern eine Blutungsquelle im Dünndarm identifiziert werden konnte, gilt es anhand der Lage (proximal oder distal) zu entscheiden, ob im nächsten Schritt eine Push- oder eine ballongestützte Enteroskopie (anterograd oder retrograd) durchgeführt werden sollte. Die Push-Enteroskopie kommt vor allem zur weiteren Abklärung von proximalen Dünndarmblutungen infrage, aber auch zur Überprüfung eines negativen ÖGD-Befundes.

Die ballonunterstützte Enteroskopie ist technisch komplexer als die Push-Methode, ermöglicht aber eine tiefere Intubation des Dünndarms. Sie kann anterograd oder retrograd durchgeführt werden, um die proximalen zwei Drittel bzw. das distale Drittel des Dünndarms zu untersuchen. Bei der Doppel-Ballon-Enteroskopie liegen die Detektionsraten zwischen 53 % und 80 %.

Instabile Verläufe sind eher selten

Der Hauptvorteil dieser Methode ist die Möglichkeit, therapeutische Eingriffe durchzuführen und Läsionen zu markieren. Allerdings kommt es nach dem endoskopischen Eingriff relativ häufig zu Nachblutungen von vaskulären Läsionen wie Angio­ektasien.

Dünndarmblutungen treten meist als stabile offene oder okkulte Blutungen auf. Ein instabiler Verlauf ist eher selten. Wenn jedoch der Verdacht auf eine fulminante Blutung aufkeimt, sollte der Patient sofort in ein Krankenhaus überwiesen werden. Bei hämodynamischer Instabilität ist eine Verlegung auf die Intensivstation angezeigt. Die Einnahme von Anti­koagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmern und nicht-steroidalen Antirheumatika sollte nach Möglichkeit unterbrochen werden. Der Zielwert für die Hämoglobintransfusion liegt i.d.R. bei 7 g/dl bzw. bei 8 g/dl für Patienten mit koronarer Herzkrankheit.

Sobald der Patient stabilisiert wurde, sollte die Dünndarmblutung mithilfe einer Untersuchungsmethode, die ein schnelles Ergebnis liefert, beurteilt werden. Hier bieten sich beispielsweise die CT-Angiographie, ein konventionelles Angiogramm, eine stationäre Kapselendoskopie oder eine Erythrozytenszintigraphie mit Technetium-99m-markierten Erythrozyten an.

Quelle: Havlichek DH III et al. Mayo Clin Proc 2022; 97: 146-153; DOI: 10.1016/j.mayocp.2021.09.021

Eine Videokapsel für die Endoskopie zu schlucken, kostet so manchen Patienten Überwindung – lohnt sich aber meist.
Eine Videokapsel für die Endoskopie zu schlucken, kostet so manchen Patienten Überwindung – lohnt sich aber meist. © Science Photo Library/Molloy, Cordelia