Neuer Hausärzte-EBM Seltsame Verwerfungen

Gesundheitspolitik Autor: H. Glatzl

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Die im letzten Oktober gestartete erste Stufe der EBM-Reform habe im hausärztlichen Bereich zu ers-

ten positiven Entwicklungen geführt, meint die für den hausärztlichen Bereich zuständige stellvertretende KBV-Vorsitzende Regina Feldmann. Durch die Herausnahme von Leistungen aus den Pauschalen könnten Hausärzte ihre Arbeit wieder besser abbilden. Doch bald schon wurden Vorwürfe laut, der EBM habe zu geführt.

Die aktuellen Zahlen, die die Rechenmaschine der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zum neuen Hausarzt-EBM ausspuckt, sind verwirrend und für allerlei Interpretation zugänglich. Klar ist lediglich, dass die politische Ausrichtung der jeweiligen „Provinzkörperschaft“ hier eine wichtige Rolle spielt, wenn es an die Abrechnung in Euro und Cent geht.

Durchaus optimistisch beurteilt die KBV-Vize Regina Feldmann die Auswirkungen der EBM-Änderungen auf Grundlage der Ergebnisse der Abrechnungsdaten für das 4. Quartal 2013. Demnach hat sich der Gesamtleistungsbedarf im Vorjahresvergleich um 2,3 % erhöht, der Leistungsbedarf nach Kapitel 3 jedoch um 4,1 %. Ohne die neu hinzugekommenen geriatrie- und palliativmedizinischen Leistungen ergibt sich bundesweit eine Erhöhung von lediglich 0,3 %.

Auffällig ist hier die große Schwankungsbreite zwischen den einzelnen KV-Bezirken. So besteht für Baden-Württemberg eine Veränderung im Gesamtleistungsbedarf von 13,1 %, während in allen anderen Bezirken das Delta lediglich zwischen -0,4 % für Rheinland-Pfalz und 4,2 % für Mecklenburg-Vorpommern beträgt. Ebenso große Ausreißer finden sich bei den Fallwerten, wobei hier Bayern mit einem Minus von 6,1 % gegenüber Baden-Württemberg mit einem dicken Plus von 13,6 % ins Hintertreffen gerät. Feldmann verweist hier auf regional unterschiedliche Honorarverteilungsmaßstäbe. Auf Nachfrage schließt die Hausarztvertreterin der KBV nicht aus, dass hier durchaus die Mehrheitsverhältnisse in den Selbstverwaltungsgremien von Bedeutung sind.

Konsultationspauschale und mehr Delegation

Ein weiteres Ziel der nächsten Stufe der EBM-Weiterentwicklung ist, die Möglichkeiten der Delegation hausärztlicher Aufgaben an besonders qualifiziertes nichtärztliches Personal zu erweitern. Solche Leistungen werden bislang nur in unterversorgten und von Unterversorgung bedrohten Gebieten bezahlt. Die KBV fordert eine Ausdehnung auf alle Regionen. Darüber hinaus will die KBV eine Konsultationspauschale einführen. Damit könnten Hausärzte wieder zeigen, wie oft ein Patient im Quartal in der Praxis war.

120 %-Finanzierungsloch

Die Auswertung zu den neu eingeführten und von den Krankenkassen mit zusätzlich fast 200 Millionen Euro für 2011/2012 ausgestatteten geriatrie- und palliativmedizinischen Leistungen zeigt ebenfalls große Verwerfungen. Bei einer errechneten Unterfinanzierung von ca. 120 % bundesweit gibt es in Baden-Württemberg nach Berechnungen der KBV eine Deckungslücke von 64 %, die in Bayern auf 105 % hochschnellt. Ein krasses Missverhältnis zeichnet sich bei diesen beiden KV-Bezirken auch bei Gesprächsleistungen ab. Während in Baden-Württemberg die Ärzte den dafür bereitgestellten Topf vollständig ausschöpfen, sind die bayerischen Kollegen äußerst zurückhaltend und es verbleiben 70 %. Feldmann vermutet, dass die regionale Zurückhaltung mit der Angst vor einer Verknüpfung mit der Versichertenpauschale zu erklären sei. Fakt ist, dass das Budget bei der Gesprächsziffer längst nicht ausgeschöpft ist. Dabei wurde gerade an dieser Stelle ein Dammbruch erwartet, den KBV und Krankenkassen mit einer Deckelung auf 50 % der Behandlungsleistungen verhindern wollten. Zusätzlich bremsend wirkte sich die Abgeltung eines Patientengesprächs mit der Versichertenpauschale beim Erstkontakt als fakultative Leistung aus. Die Angst der Ärzte vor einer Plausibilitätsprüfung war wohl einfach zu groß.

Optische Täuschung?

Häufiger abgerechnet wurden hingegen die Pauschalen für die Behandlung chronisch kranker Patienten. Denn mit der EBM-Reform hatte die KBV erreicht, dass die Pauschalen nicht erst ab zwei Arzt-Patienten-Kontakten im Quartal angesetzt werden dürfen. Die Veränderung im Jahresvergleich bei Leistungshäufigkeit der Chronikerpauschale hat jedenfalls mit 8,4 % deutlich zugenommen. Die KV Bremen liegt mit 21,4 % fast um den Faktor 10 über Schlusslicht Berlin mit 2,8 %. Insgesamt sei allerdings der Leistungsbedarf „bei Grundsummenneutralität“ gesunken, interpretiert Feldmann die Zahlen. Der Grund hierfür sei, dass die Pauschale mit 15 Euro viel zu niedrig bewertet ist, so Feldmann. Der GKV-Spitzenverband habe aber bereits seine Bereitschaft signalisiert, über eine Anpassung auf 17 Euro zu verhandeln. Für die KBV-Spitze sind die Zahlen aufgrund von Besonderheiten beim hausärztlich geriatrischen Basisassessment und der Betreuungspauschale noch verzerrt. Dies werde sich mit der nächsten Quartalsabrechnung nivellieren.

Die wirtschaftliche Sicherung der Gerätemedizin in der Hausarztpraxis – explizit angesprochen ist die Sonographie und kleine Chirurgie – soll in einer zweiten Stufe der Verhandlungen mit den Krankenkassen erreicht werden. Mit der jetzigen EBM-Regelung sei kein wirtschaftlicher Einsatz möglich, da die Auslastung der Geräte in einer Hausarztpraxis normalerweise deutlich niedriger ist als in einer Facharztpraxis, meint Feldmann. Bei den Verhandlungen gehe es „…nicht darum, Punkte zu generieren", beteuert Feldmann. Die Ausweitung beziehe sich nicht auf das Honorar, und die Auswirkungen des EBM seien in den 17 KVen durchaus unterschiedlich.

Der KBV-Vorstand plant eine Neukalkulation auch für den fachärztlichen Bereich bis Ende 2015. Die Erhebungen dazu laufen bereits, verspricht Feldmann. Der Spagat, den die KBV hier vollbringen muss, liegt darin begründet, dass die Reform bei den Krankenkassen nur um den Preis der Punktsummenneutralität das Plazet bekommt. Nur künftige Veränderungen im Leistungsbedarf – morbiditätsgetrieben und demographiebedingt – dürfen sich so betrachtet auf das Honorar auswirken. Vor diesem Hintergrund gesehen, erklärt sich die Strategie der KBV im neuen EBM, das tatsächliche Leistungsgeschehen im geriatrischen Bereich anstatt von Pauschalen abzubilden.

„Missglückte Steuerung“

Der Deutsche Hausärzteverband spricht schon jetzt von einem „missglückten Steuerungselement“. Der Verband warnte davor, die Weiterentwicklung des EBM unkritisch voranzutreiben. „Es hat sich gezeigt, dass im letzten Jahr hoch gelobte Reform-Elemente wie die sogenannte Gesprächsziffer den Hausärzten nicht geholfen haben“, so der Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt. Diese seien idealtypisch auf dem Reißbrett geplant worden und könnten nur schlecht in den Alltag einer Praxis integriert werden.

Hans Glatzl

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (12) Seite 42-44
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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