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Suspekter Online-Handel von Blutzuckerteststreifen

Gesundheitspolitik Autor: Ruth Bahners

Ökonom warnt vor Millionenschaden für die GKV durch suspekten Online-Handel
Ökonom warnt vor Millionenschaden für die GKV durch suspekten Online-Handel © iStock.com/Kwangmoozaa
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Im Internet hat sich ein regelrechter Schwarzmarkt für Blutzuckerteststeifen entwickelt, von zweifelhafter Herkunft und ungeprüfter Qualität. Der Schaden für die gesetzlichen Krankenkassen wird auf 16 Mio. Euro pro Jahr geschätzt.

In Online-Handelsportalen wie Ebay werden von privaten Verkäufern Blutzuckerteststreifen zum Kauf angeboten, deutlich unter den Apothekenpreisen. Mal sind es nur einzelne 50er-Gebinde, mal sind auch Großangebote von mehreren Hundert Streifen zu finden. Professor Dr. Heiko Burchert, Ökonom am Fachbereich Wirtschaft und Gesundheit der Fachhochschule Bielefeld, hat diesen Schwarzmarkt über Jahre beobachtet und dabei erstaunliche Dimensionen zu Tage gefördert.

Packung mit 50 Teststreifen im Schnitt für 18,60 Euro vertickt

Allein auf dem Internetportal Ebay fand Prof. Burchert pro Tag durchschnittlich 1520 Angebote von mehr als 1000 Verkäufern, die jeden Tag online sind. Sie realisierten durchschnittlich 18,60 Euro für eine Packung mit 50 Teststreifen.

Pro Jahr würden 27,7 Mio. Teststreifen mit einem Umsatz von 10,25 Mio. Euro auf diesem Weg gehandelt, hat Prof. Burchert ausgerechnet. Die meisten Käufer und Verkäufer stammten aus Nordrhein-Westfalen. Angebote von Online-Apotheken wurden von der Betrachtung ausgenommen.

Wer kauft diese Teststreifen? Nach Auffassung des Ökonomen sind es in erster Linie „ängstliche Diabetiker“, die mit der verordneten Menge Teststreifen nicht auskommen, sowie nicht-insulinpflichtige Diabetes-Patienten, die seit 2011 keinen Anspruch mehr auf eine Verordnung dieser Teststreifen haben. Auch Privatpatienten kaufen bei Ebay ein, vermutet Prof. Burchert, vor allem diejenigen, die einen preiswerten PKV-Tarif gewählt hätten.

Er bezweifelt allerdings, dass die Qualität im Online-Privathandel in jedem Fall stimmt. Schon allein die sachgerechte Lagerung sei nicht garantiert. „Daraus können durchaus falsche Messwerte entstehen“, warnt Prof. Burchert.

Wer sind die Verkäufer? Aufgrund seiner drei Jahre langen Beobachtung von knapp 1000 Anbietern definiert der Wissenschaftler verschiedene Gruppen. Als erste Gruppe nennt er Diabetiker, die einen Teil der Teststreifen, die sie für ihr Therapie-Selbstmanagement erhalten haben, verkaufen, statt diese zu benutzen. Diesen Schluss zieht Prof. Burchert daraus, dass diese Anbieter regelmäßig einmal im Monat oder Quartal Teststreifen in kleiner Menge derselben Marke anbieten.

Verkäufer von Restbeständen und Powerseller mit Quellen

Prof. Burchert äußerte gegenüber Medical Tribune auch den Verdacht, dass sich Diabetes-Patienten durch Doktorhopping größere Mengen von Teststreifen beschaffen. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung bestätigte, dass bei einer Analyse anonymer Verordnungs- und Diagnosedaten 400 Patienten auffällig wurden. Darunter war ein Patient, der in einem Quartal mehr als 30 Ärzte wegen dieser Verordnungen aufgesucht hatte.

Unverbrauchte Produkte als „Trinkgeld“ für den Pfleger

Eine andere Gruppe nennt der Ökonom „die dankbaren Versorger“. Das seien Personen, die nahe am Diabetes-Patienten seien wie etwa Mitarbeiter von Pflegediensten und -heimen. Sie würden gewissermaßen als „Trinkgeld“ Teststreifen geschenkt bekommen, entweder von den Patienten selbst oder von deren Angehörigen.

Diesem Personenkreis sei auch die Gruppe der „Entsorger“ zuzurechnen. Diese verhökerten Teststreifen verschiedener Hersteller, zum Teil von verstorbenen Patienten. Beide Gruppen böten auch andere Produkte wie Kanülen, Lanzetten, Blutzuckermessgeräte oder Insulinpumpen an. Während ein Diabetes-Patient mit dem Verkauf seiner Teststreifen im Jahr 200 bis 300 Euro verdiene, würden hier 2000 bis 4000 Euro erzielt.

Spitzenverdiener machte 40.000 Euro Umsatz

Noch ganz andere Umsätze realisieren die „Powerseller“.Der Spitzenverdiener erzielte in den drei Jahren einen Umsatz von 40 000 Euro. Diesen Anbietern unterstellt Prof. Burchert einen professionellen Zugang. Sie verkauften über eine lange Zeit mehrmals am Tag nur eine Sorte. Im dreijährigen Beobachtungszeitraum hätten diese Verkäufer zusammen knapp 400 000 Teststreifen veräußert, was einem Anteil von 16 % dieses Ebay-Marktes entspreche.

Aus dieser großen Menge schließt Prof. Burchert, dass es sich um Mitarbeiter von Pharmafirmen oder -großhändlern, aber auch von diabetologischen Schwerpunktpraxen oder Kliniken handeln könnte.

Prof. Burchert, der in Sachen Online-Handel auch als Gutachter vor Gericht gefragt ist, weiß z.B. von einem Fall, bei dem die Mitarbeiterin einer Pharmafirma, die geklaute Teststreifen via Ebay verkauft hatte, wegen Diebstahls verurteilt worden ist. Auch der Vorwurf der Hehlerei kann Anlass für ein strafrechtliches Verfahren werden.

Arzt sieht Differenz zwischen Verordnung und Verbrauch

Den Schaden, der der GKV durch den Verkauf verordneter Teststreifen entsteht, beziffert Prof. Burchert mit 15,8 Mio. Euro pro Jahr. Die Gesamtausgaben der gesetzlichen Kassen für diese Produkte belaufen sich auf rund 738 Mio. Euro jährlich.

Eine Maßnahme zur Trockenlegung des Schwarzmarktes wäre eine Vereinheitlichung der je nach KV unterschiedlichen verordnungsfähigen Höchstmengen auf ein für die Patienten ausreichendes Volumen.

Größere Chancen sieht Prof. Burchert allerdings bei Systemen zur Übertragung der Blutzuckermesswerte in die Arztpraxis. „Durch Telemonitoring würde der behandelnde Arzt nicht nur exakte Messwerte erhalten, sondern auch den individuellen Bedarf an Teststreifen kennen.“

Dem GKV-Spitzenverband fehlen belastbare Fakten

Der GKV-Spitzenverband äußerte sich auf Anfrage von Medical Tribune noch abwartend. Im Einzelfall fehlten bislang noch „belastbare Ergebnisse, wie die einzelnen Verkäufertypen die Blutzuckerteststreifen tatsächlich bezogen haben bzw. in welchem Umfang die Verkäufer überhaupt gesetzlich krankenversichert sind“.

Prof. Dr. Heiko Buchert, Ökonom der Fachhochschule Bielefeld. Prof. Dr. Heiko Buchert, Ökonom der Fachhochschule Bielefeld. © privat
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