Kursweiterbildung Theorie trifft Praxis

Gesundheitspolitik Autor: Gernot Lorenz

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Es waren zähe gesundheitspolitische Verhandlungen in den Jahren 1989 bis 1992 um die Einführung einer Pflichtweiterbildung in Allgemeinmedizin als Niederlassungsvoraussetzung zum Hausarzt. Damit war das Ende des "Praktischen Arztes" gekommen. Der damalige BPA (Berufsverband der Praktischen Ärzte – heute Hausärzteverband) setzte als Ausgleich für die Reduktion der bestehenden freiwilligen Weiterbildung in Allgemeinmedizin von 4 Jahren auf dann 3 Jahre Pflichtweiterbildung 240 Stunden Seminare als obligaten Bestandteil durch.

Niemand hatte eine konkrete Vorstellung über die Zielsetzung einer solchen obligaten Kursweiterbildung, über deren Inhalt und Durchführung, als dies unter Bundesgesundheitsminister Seehofer im GSG bzw. in der Muster-Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer (BÄK) verankert wurde. Es gab auf der Ebene der Kammergeschäftsführer nur vage Vorstellungen, zumindest Notfallmedizin und Naturheilkunde darin anzubieten. In dieser Situation reklamierte die DEGAM den Anspruch, die Inhalte vorzugeben. Die DEGAM erkannte dabei die Chance, in dieser Rolle die Allgemeinmedizin mitgestaltend in die Gesundheitspolitik einbringen zu können und damit auch für die künftigen Allgemeinärzte als relevant wahrnehmbar zu sein. Sie bildete ein Autorengremium aus den Reihen der Lehrbeauftragten (siehe Kasten) und annoncierte eine Ausschreibung an wissenschaftliche Verlage, mit ihr ein "Kursbuch Allgemeinmedizin" herauszugeben.

In dieser Situation bot sich das Referat für Fort- und Weiterbildung der BÄK an, mit seiner Unterstützung die Konzeption zu entwickeln und das zu erstellende Kursbuch gemeinsam zu redigieren und herauszugeben. Dieses Kursbuch sollte für die BÄK dann auch der Prototyp weiterer Kursbücher in der Folge sein. Auch hierin erkannte die DEGAM die Chance, dass mit einer gemeinsamen Herausgabe dann auch eine hohe Verbindlichkeit für die hauptsächlich durchführenden Landesärztekammern verbunden war. So ergab sich eine fruchtbare Zusammenarbeit. In einer frühen Redaktionskonferenz wurde beschlossen, keine ausformulierten Texte zum Inhalt zu machen, sondern nur themenbezogene relevante Items aufzuzählen. Damit entfielen langwierige Diskussionen über Formulierungen. Wie diese Items dann in den Kursen angeboten werden sollten, blieb den Kammern bzw. Referenten überlassen. Diskutiert wurde die Verteilung der 240 Stunden auf die einzelnen Themen sowie deren Substruktur und Zusammenstellung in "Blöcken". Mit der gemeinsamen Redaktionsarbeit und mit der gemeinsamen Herausgabe des Kursbuchs nahm auch innerhalb der BÄK die Information über die spezifische Arbeitsweise der Allgemeinmedizin und deren Akzeptanz spürbar zu.

Stärkung der Fachidentität

Die DEGAM sah folgende unbestreitbaren Vorteile einer fachbezogenen Seminarweiterbildung:

  • Information aller Teilnehmer über die verschiedenen obligaten Weiterbildungsinhalte in der Allgemeinmedizin, die aber nicht am eigenen jeweiligen Weiterbildungsort Gegenstand waren. Die systematische Aufzählung im Kursbuch garantierte wenigstens die theoretische Beschäftigung damit im Seminar.
  • Korrekturen individueller, oft einseitiger Ansichten an einem Weiterbildungsplatz durch möglichst wissenschaftsbasiertes Wissen (EbM), das in den Seminaren vermittelt wird.
  • Bildung und Stärkung der Identität als zukünftiger Allgemeinarzt durch Kontakte mit Kollegen in der gleichen Situation und durch vorbildhafte Referenten aus dem eigenen Fach.

Mit Spannung erwartete das Redaktionsteam des Kursbuchs die Reaktion der jungen Kolleginnen und Kollegen beim ersten Auftritt in einer Mammutveranstaltung in Würzburg 1995. Unerwartet heftig waren Vorwürfe der Teilnehmer: Nicht nur die Verpflichtung für diese Seminarstunden war lästig und neu. Vor allem deren Finanzierung durch die Teilnehmer selbst, obwohl von den Ärztekammern so beschlossen, war Gegenstand heftiger Kritik. Immerhin beliefen sich die Kursgebühren pro Teilnehmer auf insgesamt rund 2 400 DM. Dazu kam, dass viele Teilnehmer Urlaub nehmen und die Unterbringung finanzieren mussten. Junge Familien mussten die Versorgung ihrer Kinder organisieren. Diese eigentlich zu erwartenden Widerstände schmälerten das erste Echo auf die gebotenen Inhalte. Immerhin aber erwiesen sich die Seminare als durchführbar.

Ursprünglich war die Seminarweiterbildung als Kontinuum in regelmäßigen Abständen z. B. 14-tägig und wohnortnah gedacht. Letztlich setzten sich jedoch Modelle mit halbjährlicher Frequenz und "Blöcken" von jeweils 8 bis 10 Tagen mit je 80 Stunden durch. Sie wurden teils von Bezirksärztekammern angeboten, wobei sich ein bundesweiter Tourismus dorthin entwickelte, teils auch von privaten Anbietern. Akzeptanz und Beurteilungen fielen aufgrund der Qualität der Durchführung im Lauf der Zeit wesentlich positiver aus. Die Anteile zur psychosomatischen Grundversorgung und der Balintgruppen wurden besonders geschätzt. Unter den Teilnehmern war eine bemerkenswerte Gruppe von Wiedereinsteigerinnen in den Beruf, die ihre Chance sahen, mit der zeitlich überschaubaren 3-jährigen Weiterbildung und Wissensauffrischung durch die Seminare qualifiziert und neu motiviert eine Praxistätigkeit aufnehmen zu können.

Von der Kursweiterbildung zur Verbundweiterbildung

In den Folgejahren wurde klar, dass nur mit hausärztlich arbeitenden Internisten die hausärztliche Versorgung der Bevölkerung gesichert werden kann, auch wenn die Fachinternisten meist für ihre allgemeinmedizinische Tätigkeit keine spezifische Weiterbildung absolviert hatten. Um die Weiterbildungen von Internisten und Allgemeinärzten auch formal gleichzustellen, wurde die Weiterbildung für Allgemeinärzte auf 5 Jahre verlängert. Eine Weiterführung der Seminare wurde damit für nicht mehr notwendig erachtet. So konnten die Kammern die organisatorisch aufwendige Seminarweiterbildung Allgemeinmedizin aufgeben. Es blieb lediglich bei den obligaten 80 Stunden psychosomatische Grundversorgung für die niedergelassene Tätigkeit. Die erlebte Sinnhaftigkeit führte allerdings dazu, dass die Seminare teilweise von einzelnen Kammern weiterhin als freiwillige Fortbildung angeboten werden. Neuerdings entstehen um die "Kompetenzzentren für Allgemeinmedizin" an den Universitäten Weiterbildungsstrukturen, die ihren Ärzten in Weiterbildung (AiW) in einer sogenannten "Verbundweiterbildung plus" auch wieder Seminarinhalte anbieten. In der Sektion Weiterbildung der DEGAM ist über Inhalte und Evaluation einer solchen Weiterbildung derzeit eine lebhafte Diskussion im Gang.

Kursbuch Allgemeinmedizin

(Vorwort zur 1. Auflage von 1993)


Der 95. Deutsche Ärztetag hat 1992 eine Novelle der (Muster-) Weiterbildungsordnung verabschiedet, die die Verkürzung der Mindestzeit für die Weiterbildung im Gebiet Allgemeinmedizin auf 3 Jahre vorsieht. Diese Änderung wurde trotz des möglichen Risikos für die Qualität der allgemeinärztlichen Versorgung in Deutschland als Zugeständnis an den europäischen Einigungsprozess hingenommen. Um die Verkürzung zu kompensieren, sollen angehende Allgemeinärzte begleitend zum individuellen Training in Praxis und Klinik künftig Weiterbildungskurse im Umfang von 240 Stunden absolvieren. Durch die Teilnahme an diesen Kursen sollen die in der täglichen Patientenbetreuung erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten verfestigt und erweitert werden. In der Begegnung mit erfahrenen allgemeinärztlichen Dozenten und mit angehenden Fachkollegen können die eigenen beruflichen Erfahrungen kritisch hinterfragt, neu gewichtet oder bestätigt werden.


Quelle: Kursbuch Allgemeinmedizin, Auszug, Hrsg.: BÄK und DEGAM, Köln 1993.Redaktion: Prof. Dieckhoff, Lübeck; Dr. Kline, Siegen; Prof. Kochen, Göttingen; Prof. Kruse, Aachen; Dr. Lau, Niederkassel; Dr. Mader, Nittendorf; Dr. Meyer, Dr. Sandholzer, Hannover; Dr. Engelhardt, Köln; Dr. Lehmann, Köln; Prof. Lorenz, Tübingen.


Autor:
Prof. Dr. med. Gernot Lorenz, DEGAM-Präsident von 1992 bis 1996

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (2) Seite 26-28
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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